Review: Rammstein-ZEIT

Release: 29.04.2022

Genre: Neue Deutsche Härte, Industrial Metal

Spieldauer: 44 Minuten und 16 Sekunden

Label: Universal Music Group

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Tracklist:

  1. Armee der Tristen
  2. Zeit
  3. Schwarz
  4. Giftig
  5. Zick Zack
  6. Ok
  7. Meine Tränen
  8. Angst
  9. Dicke Titten
  10. Lügen
  11. Adieu

Vorwort:

Was kommt raus, wenn man einen Rechtschreibfehler, ein tragisches Flugzeugunglück aus dem Jahre 1988, kontroverse Liedtexte sowie skandalträchtige Musikvideos miteinander addiert? Nun, für die Lösung muss man kein Mathegenie sein, jeder der etwas Ahnung hat und die letzten Jahre nicht auf einem Baum verbracht hat, weiß welche Band bei dieser Beschreibung gemeint ist. Die richtige Antwort ist natürlich, wie könnte es auch anders sein, die Band Rammstein. ZEIT heißt das neuste Werk der Jungs rund um den Frontmann Till Lindemann und ist inzwischen das 8. Studioalbum der Band. Ob ZEIT ein würdiger Nachfolger zum letzten Album ist, das vor ca. 3 Jahren veröffentlicht wurde, klären wir jetzt in diesen Review. Zunächst sollte man sich eine Frage stellen: Was macht eigentlich ein „richtig gutes“ Rammstein Album aus?

Für mich ist das ganz klar eine Kombination von großartigen Texten, die mit Themen bestickt sind, die man allgemein als kontrovers oder schambesetzt bezeichnen kann, gepaart mit einer Priese skandalös bis brisant. Wichtig hierbei ist, dass gerade diese durchaus für manche Leute schwierigen Themen nicht nur aus reinen plumpen Profikation bestehen, sondern auch in Form von Doppeldeutigkeit und lyrischer Wortspielerei verpackt sind. Die musikalische Untermalung sollte dabei eine Mischung aus Heavy Metal mit großangelegten elektronisch Klängen sein, die Anleihen von Techno, Hardcore sowie Hard Rock miteinander vereint, so wie man es von einer Neue Deutsche Härte Band erwartet. Doch wie sieht es beim Album ZEIT aus? Werden die von mir eben genannten Punkte erfüllt und umgesetzt? Hat Rammstein wieder einen Volltreffer gelandet und uns den Heavy Metal Standort Deutschland wieder einen Exportschlager beschert? Es wird ZEIT (Achtung schlechter Wortwitz) uns nun das Album zu Brust zunehmen, damit diese Fragen endgültig geklärt werden können.

Das Album:

Grundsätzlich bleibt Rammstein erstmal bei seiner alten Erfolgsformel. Es gibt auf dem Album drückende bis militant wirkende Gitarreneinlagen, eine ordentliche Portion Keyboardklang sowie Lyrics, die durchaus Interpretationsspielraum und kontroverse Inhalte bieten. Trotzdem erkennt man bei ZEIT, dass Rammstein hier und da beim Soundbild an der Schraube gedreht hat, stellenweise klingt das Album etwas „digitaler“, dunkler und beklemmender als seine Vorgänger. Als Beispiel an der „digitalen Front“ kann der Track Lügen als Paradebeispiel herhalten. Hier wimmelt es im Klanghintergrund nur von einem digitalen Soundgewitter / Auto-Tune-Geschepper. In dieselbe Kerbe, bezogen auf den großzügigen Einsatz von digitalen Soundeffekten, schlägt auch Giftig. In Gegensatz zum eben genannten Song Lügen kann man Giftig als einen wirklich catchy gespielten Mitgröl-Track bezeichnen, der einen beim zweiten Mal hören schon mitsingen lässt. Was das Thema „musikalische Dunkelheit im Klangbild“ betrifft, würde ich Schwarz in das Feld führen. Der Song agiert eher als nachdenkliche Ballade und behandelt textlich das Thema der Einsamkeit sowie der Versuchung des Finsteren. Wer eher ein Freund von Rammsteins harten Gitarreneinschlägen sowie ihrer plumpen Art der Provokation ist und keine Angst von kleinen „Ballermann-Schlager“ Einschüben hat, wird dagegen mit Dicke Titten seinen Spaß haben. Wie der Name des Liedes schon vermuten lässt, geht es hierbei um das üppig ausfallende sekundäre Geschlechtsmerkmal der Frau. Dicke Titten kann man hierbei durchaus als großangelegten Seitenhieb gegen die Volksmusikschlagerindustrie und dessen einfachen Songstrukturen sowie ihrem stellenweisen fragwürdigen Gesellschaftsbild verstanden werden. Ebenfalls etwas derb und grobschlächtig kommt auch OK daher. Flott und pulsierend wird hier über den Spaß beim ungeschützten Geschlechtsverkehr gefrönt. Besonders der Refrain „Ohne Kondom“, der extrem lang gezogen wirkt, glänzt dabei mit seiner stumpfen Einfachheit. Deutlich ernster und textlich durchdachter hingegen ist der Track Angst Hier wird wohl für die meisten Hörer schnell klar, dass sich Angst eindeutig mit Thematik der Fremdenfeindlichkeit und dessen politischen Feldern wie Asyl und Einwanderung beschäftigt. Bevor wir zum Abschlussfazit kommen, blicken wir noch auf den letzten Track den ZEIT zu bieten hat, nämlich Adieu. Das Stück erinnert mich, ohne dass ich wirklich sagen kann wieso, an ein kraftvolles Seefahrerlied, das man mit seinen Kameraden trällern kann, bevor man in hohe See sticht. Der Spielraum, wie genau man den Text verstehen kann, ist auch mehr als groß geraten. Ist Adieu ein Abschied an die Fans der Band, dass Rammstein ihr musikalisches Wirken in naher Zukunft beenden wird oder bezieht sich das Adieu auf das Ende des Albums? Die Frage lässt sich schwer im Hier und Jetzt beantworten und wird sich erst mit der ZEIT (tut mir leid, der Wortwitz musste wieder sein) endgültig klären.

Fazit:

Was kann man jetzt zum Abschluss zu ZEIT sagen? Hat Rammstein mit ZEIT das beste Album ihrer Laufbahn hervorgebracht? Muss jetzt mit dem Erscheinen dieses Albums die musikalische Zeitrechnung neu erschaffen werden? Muss man dem Album treu bleiben für alle Zeiten!? Die mehr als nüchterne Antwort ist ein einfaches und kraftvolles NEIN! (Ich gebe es gerne zu – Die Refrain-Anspielung von Du hast ist jetzt wirklich nicht gerade kreativ) Versteht mich nicht falsch, damit möchte ich nicht sagen, dass die Jungs um Frontsänger Till Lindemann komplett ins Klo gegriffen haben oder in irgendeiner Form meine Ohrmuscheln beleidigt haben, dafür ist das Album nach meiner Ansicht zu gut, aber wirklich richtig hat mich ZEIT nicht überzeugen können. Bevor nun manche Hardcore Fans wütend in die Tasten hauen, möchte ich gerne aufklären, wieso das so ist. Mir fehlen bei ZEIT einfach Knaller in der Größe von Deutschland, Engel oder Keine Lust, die einen sofort dieses warme „Wow, was für ein Brecher“-Gefühl geben. Was ich auch vermisse, ist die Kunstform des Skandals und der Provokation, die Rammstein seit ihrer Bandgeschichte fast schon brutal genial ausführt. Klar kann mir man jetzt entgegenwerfen das ZEIT doch diese Kunstform bedient. Die Lyrics schlagen ja in eine Bresche, die von häuslicher Gewalt/ Inzest (Meine Tränen) bis zum plumpen Besingen von ungeschütztem Geschlechtsverkehr (OK) geht. Das Problem hierbei, sie schockieren einfach nicht und sind sehr vorhersehbar gewesen. Ich sehe in keinem der neuen Tracks Potenzial für einen, der nur im Ansatz für eine Kontroverse sorgen kann, wie es damals zum Beispiel das Musikvideo zu Deutschland aus dem Vorgängeralbum geschafft hat. Dort hat Rammstein nämlich mit seiner Darstellung der deutschen Geschichte wirklich geschafft, stark polarisierend auf mehreren Ebenen Leute unterschiedlicher Schichten in eine Diskussion zu führen oder diese in Schnappatmung zu versetzen, ohne dabei billig zu wirken. Als älteren Ansatz für diese Skandalform, die ich meine, könnte man auch das Musikvideo zum Depeche Mode Cover Stripped als Beispiel erwähnen. Rammstein sorgte mit diesem Clip für hitzige Debatten, ob man Politik und Kunst klar trennen kann und sollte. Natürlich muss man bei dieser von mir ausgeführten Kritik erwähnen, dass wir heutzutage im Jahre 2022 leben und wir was sowas angeht schon deutlich mehr abgestumpft sind. Diverse Geschmacklosigkeiten sowie verbale Ausfälle aller Art sind nun deutlich häufiger in diversen Musikstücken und Genres zu finden und haben deutlich an Schockkraft verloren. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Rammstein etwas über seine eigene Genialität stolpert, jahrelange hochwertige Musik zu produzieren und diese dann zu übertrumpfen, ist halt wirklich schwierig. Trotz seiner Schwächen verglichen mit seinen Vorgängeralben, macht ZEIT durchaus Spaß. Gerade Tracks wie OK, Zeit und Dicke Titten, die auch aus der Anfangszeit der Band hätten stammen können, haben mir richtig Freude gemacht. Sie haben mich an meine Jugend erinnert, als man es mit 15/16 richtig cool fand, mit einem „Steck Bratwurst in dein Sauerkraut“ T-Shirt die Gegend auf seinen 4-Takt-China-Roller unsicher zu machen.

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