Ein epischer Rückblick, in 2 Teilen, auf Tim Schafers Kultspiel, seinen Einfluss auf die Metal-Szene und wie es ein Spiel schaffte, ein unsterbliches Denkmal zu setzen.
1. Zwischen Bühnennebel und Pixelgewittern
Es gibt Videospiele, die man einmal spielt und schon während des Spielens selbst vergisst. Und es gibt jene, die sich ins Gedächtnis brennen wie ein Gitarrenriff, das auch Stunden nach dem Konzert noch im Ohr bleibt und einen mitreißt. Brütal Legend, veröffentlicht im Jahr 2009, liegt für mich eindeutig in der letzteren Kategorie.
Entwickelt vom kreativen Chaoskopf Tim Schafer und seinem Studio Double Fine Productions, ist es mehr als nur ein Action-Adventure. Es ist eine spielbare Liebeserklärung an die Welt des Heavy Metal – mit all ihren Klischees, Übertreibungen, Ikonen und Mythen.
Aber zuerst springen wir etwas in der Zeit zurück. Wir schreiben das Jahr 2009, wir sind in Wacken und soweit ich mich korrekt erinnere, war es in der Umbauphase vor Running Wild. Man möge mir verzeihen, wenn ich mich irre, es ist ja nun doch schon einige Zeit her. Was aber definitiv hängen blieb, war das Feeling und die Reaktionen des Publikums als der Trailer über die Videowalls flimmerte. Leider lässt es sich nicht mehr wirklich sagen, welcher Trailer genau gelaufen ist bzw. gibt es keine Artikel die es definitiv benennen. Aber stellvertretend hier ein Trailer der es ziemlich gut einfängt:
Aber zurück nach 2009, wo eine Horde Metalheads vor den Videowalls standen, zu Am I Evil von Metallica im Trailer abrockten und mit offenen Mündern aufnahmen was sie sahen. Nur unterbrochen von Jubel und Begeisterung über das Gesehene. Besonders an den Stellen welche die Besetzung preisgegeben haben: Jack Black, Lita Ford, Lemmy Kilmister, Rob Halford und Ozzy fucking Osbourne. Die Fans waren kaum zu halten. Kein Wunder, sie waren ja nicht nur Metal-Fans, nein, das war die Generation, welche mit Videospielen groß geworden war.
Und es war auch allen sofort klar: Das hier wird kein gewöhnlicher AAA-Titel. Kein Hochglanz-Militärshooter, keine Fantasy-Welt aus dem Standardbaukasten. Nein, das hier wird mehr: Schädelberge, Lavaflüsse, dämonische Hot Rods, eine Prise absurder Humor und METAL!
Im Zentrum des Ganzen steht Eddie Riggs, ein Roadie, der die Bühne nicht als Rampenlicht, sondern als Arbeitsplatz kennt. Ein Typ, der weiß, dass ein perfektes Konzert nicht nur vom Sänger abhängt, sondern von den unsichtbaren Händen, die Kabel verlegen, Verstärker schleppen und Pyrotechnik zünden.
Gesprochen und verkörpert von Jack Black, einem bekennenden Metal-Nerd, bekommt Eddie eine Authentizität, die sonst selten in Videospielen vorkommt. Jack Black ist nicht nur Schauspieler, sondern selbst Musiker und Brütal Legend trägt diese Mischung aus Leidenschaft und Selbstironie in jeder Zeile Dialog und Story mit.
Der Anlass, warum ich gerade jetzt, im Jahr 2025, wieder besonders intensiv über dieses Spiel spreche, mich damit beschäftige und es zum X-ten Mal wieder gespielt habe, ist leider bittersüß: Der Tod von Ozzy Osbourne. Der „Prince of Darkness“ war nicht nur musikalischer Meilenstein, sondern auch ein prägender Bestandteil von Brütal Legend. Gemeinsam mit Lemmy Kilmister, der bereits 2015 verstarb, bildet er im Kontext zum Spiel, ein einmaliges digitales Denkmal der Metal-Geschichte, ein Monument, das uns daran erinnert, dass Musik und Legenden im virtuellen Raum unsterblich werden können.
2. Von einer Idee zum Kultspiel
Bevor wir in die Spielwelt eintauchen, lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen. Tim Schafer, der Mann hinter Brütal Legend, ist kein Unbekannter in der Games-Branche. Er begann bei LucasArts, wo er an Klassikern wie Monkey Island und Grim Fandango arbeitete. Spiele, die für ihren Humor, ihre Charaktere und ihren unverwechselbaren Stil bekannt sind.
2000 gründete er Double Fine Productions und mitveröffentlichte 2005 Psychonauts, ein Titel der kommerziell leider zunächst enttäuschte, aber später zum Geheimtip wurde und bis heute ein Kult-Titel blieb.
Die Idee zu Brütal Legend entstand laut Schafer aus zwei Leidenschaften: Videospiele und Heavy Metal. Inspiriert von den epischen, oft völlig übertriebenen Albumcovern der 70er und 80er Jahre, wollte er eine Welt erschaffen, in der diese Kunstwerke lebendig werden. „Ich wollte eine Landschaft, in der ein Berg wie ein Gitarrenhals aussieht und trotzdem keiner fragt, warum?“, so Schafer in einem Interview.
Die Zusammenarbeit mit Jack Black ergab sich fast automatisch: Schafer hatte bereits mit ihm bei Psychonauts zusammengearbeitet, und Black war sofort Feuer und Flamme. Seine Begeisterung und sein Schaffen im Metal-Bereich machte ihn zum idealen Gesicht (und Stimme) für Eddie Riggs.
Hinzu kam die Idee, echte Metal-Legenden ins Spiel einzubinden. Nicht als bloße Cameos, sondern als vollwertige Charaktere, die dem Spieler helfen, die Welt zu retten. Lemmy Kilmister, Ozzy Osbourne, Rob Halford und Lita Ford wurden Teil des Casts – und damit bekam das Spiel ein Alleinstellungsmerkmal, das bis heute unübertroffen ist.
3. Wenn Albumcover lebendig werden
3.1 Setting & Story
Das Spiel beginnt unscheinbar: Eddie Riggs arbeitet als Roadie für eine moderne, glattproduzierte Nu-Metal-Band, deren Musik er höflich erträgt. Bei einem Bühnenunfall wird er jedoch unter einem riesigen Bühnenprop begraben und sein Blut erweckt das Bühnenbild, welches gleichzeitig ein uraltes Monster ist. In einem Feuersturm wird Eddie in eine andere Dimension gezogen: eine Welt, in der Heavy Metal buchstäblich die Naturgesetze bestimmt.

Die Landschaft ist eine visuelle Explosion aus Lava, Schädeln, monumentalen Statuen und endlosen, von Verstärkertürmen gesäumten Ebenen. Hier gibt es keine nüchternen Städte oder grauen Vororte. Alles ist über stilisiert und bewusst übertrieben, ganz in Homage von den klassischen Metal-Albumcovern der 80er und 90er.

Eddie wird schnell in einen Konflikt hineingezogen: Die Menschheit ist versklavt, und dämonische Herrscher tyrannisieren die Welt. Gemeinsam mit Rebellencharakteren wie Lars Halford (welcher dem typischen Manowar Cover Protagonisten mehr als ähnlich sieht), Lita Halford (eine Anspielung auf Lita Ford und Rob Halford), Ophelia (die mit ihrer leichten Goth Charakteristik etwas heraussticht) und vielen mehr, zieht er in den Kampf, um die Freiheit zurückzuerobern.
3.2 Action trifft Echtzeitstrategie
Auf den ersten Blick wirkt Brütal Legend wie ein klassisches Third-Person-Actionspiel: Eddie kloppt mit seiner Axt „The Separator“ auf Gegner ein oder setzt mit seiner Gitarre „Clementine“ verheerende Blitze frei und steckt Gegner in Brand.
Doch nach den ersten Stunden treten die strategischen Elemente in den Vordergrund: In sogenannten „Stage Battles“ baut der Spieler eine Basis auf (in Form einer riesigen Konzertbühne), rekrutiert Einheiten (Musiker, Roadies, Pyrotechniker) und kommandiert diese nicht nur in offenen Schlachten gegen den Feind, er selbst zieht mit ihnen in die Schlacht.
Das Ergebnis ist ein Genre-Mix, der seiner Zeit voraus war, aber auch gleichzeitig stark polarisiert hatte. Actionfans fühlten sich von den Taktikelementen überfordert, während Strategiefans die Simplizität der Mechaniken bemängelten.
Dennoch: Gerade diese Mischung macht den einzigartigen Reiz des Spiels aus.
4. Ein Museum des Metal
Der Soundtrack von Brütal Legend ist nicht einfach nur eine Ansammlung von Hintergrundsongs, die man während des Spielens beiläufig hört. Sie sind das pulsierende Herz dieser Welt.
Über 100 lizenzierte Songs wurden für das Spiel ausgewählt, sorgsam kuratiert von Tim Schafer und seinem Team. Dabei ging es nicht darum, die offensichtlichsten Hits unterzubringen, sondern auch versteckte Perlen zu präsentieren, die selbst eingefleischte Metal-Fans vielleicht nicht auf dem Schirm hatten.
4.1 Genrevielfalt als Konzept
Die Musikauswahl deckt eine beeindruckende Bandbreite ab:
- Klassischer Heavy Metal: Judas Priest, Iron Maiden, Black Sabbath – die „Urväter“, ohne die es dieses Spiel wohl nie gegeben hätte.
- Thrash & Speed Metal: Bands wie Anthrax und Megadeth sorgen für Adrenalin in den actiongeladenen Schlachten.
- Doom Metal: Candlemass und Cathedral liefern den Soundtrack für düstere Erkundungstouren und bedrohliche Bosskämpfe.
- Power Metal & Epic Metal: Manowar, HammerFall und Iced Earth untermalen die heroischen Momente mit bombastischen Hymnen.
- Glam Metal & Hard Rock: Mötley Crüe und Ratt bringen den ironischen, selbstbewussten Glanz ins Spiel.
- Extreme Metal: Dimmu Borgir, Enslaved und 3 Inches of Blood sorgen für die harten Kanten.
Diese Vielfalt war nicht nur als Fanservice gedacht, sondern auch als eine Art Lehrpfad. Viele jüngere Spieler, die vielleicht nur die modernen Bands kannten, lernten so ganze Subgenres kennen.
4.2 Dynamische Einbindung
Die Songs wurden auch nicht wahllos platziert. Bestimmte Tracks laufen ganz gezielt in passenden Momenten:
- Offene Welt: Wenn man mit „The Deuce“, Eddies heißem Hot Rod, durch die Landschaft rast, erklingen epische oder schnelle Riffs, um das Fahrgefühl zu verstärken.
- Bosskämpfe: Oft wird ein ikonischer Track eingesetzt, um den Kampf dramatischer zu machen – z.B. „Through the Fire and Flames“ von DragonForce während der Flucht nach einer intensiven Schlacht.
- Story-Szenen: Lemmys Auftritt wird von basslastigen Stücken begleitet, Ozzy hingegen von treibenden Black-Sabbath-Klassikern.
4.3 Lizenzhölle und Leidenschaft
Schafer gab später zu, dass die Beschaffung der Musikrechte, einer der teuersten und nervenaufreibendsten Teile der Produktion waren. Manche Verhandlungen zogen sich monatelang hin, und mehrere Wunschbands konnten nicht integriert werden, weil die Rechte unklar waren. Dass am Ende trotzdem ein so imposanter Katalog zustande kam, zeigt, wie sehr hier Herzblut eingeflossen ist.
5. Vom Konsolenriff zum PC-Remaster
5.1 Die Konsolen-Ära (2009)
Brütal Legend erschien im Oktober 2009 zunächst für Xbox 360 und PlayStation 3.
Die Konsolenfassungen waren spielbar, litten aber an kleineren technischen Macken:
- Framerate-Einbrüche bei großen Schlachten
- Pop-in-Effekte, wenn die offene Welt zu schnell erkundet wurde
- Ladezeiten von über 30 Sekunden zwischen bestimmten Bereichen
Trotzdem war die Konsolenfassung zum Release ein Erlebnis – und für viele Spieler der erste Kontakt mit einer so „metalisierten“ Spielwelt.
5.2 Der PC-Port (2013)
Vier Jahre später folgte die Überraschung: Eine PC-Version via Steam. Diese brachte mehrere Verbesserungen:
- Höhere Auflösungen bis 2560×1440 und darüber hinaus
- Bessere Texturen und schärfere Schatten
- Unbegrenzte Framerate (abhängig von Hardware)
- Angepasste Steuerung für Maus & Tastatur, was besonders die RTS-Elemente erleichterte
- Alle Updates & Multiplayer direkt integriert
Besonders interessant: Auf dem PC fanden sich neue Zielgruppen. Strategiespieler konnten die Mechaniken mit präziser Maussteuerung besser genießen, und Modder begannen, kleinere Anpassungen vorzunehmen (z.B. Fan-Übersetzungen, veränderte HUDs).
5.3 Heutige Verfügbarkeit
Heute ist Brütal Legend digital auf Steam, GOG, PlayStation Store und Xbox Marketplace erhältlich.
Die PC-Version ist technisch die beste Wahl, während auf Konsolenseite die Xbox-Fassung über Abwärtskompatibilität auch auf aktuellen Konsolen problemlos läuft.
In Sales ist das Spiel regelmäßig günstig zu haben – eine Gelegenheit, bei der sich selbst Gelegenheits-Metal-Fans nicht zurückhalten sollten.
Eine besondere Geste erfolgte 2025, kurz nach dem Tod von Ozzy Osbourne. Double Fine machte das Spiel auf itch.io für genau 666 Minuten kostenlos verfügbar. Nutzer konnten das Spiel in dieser Zeit gratis herunterladen und für immer behalten.
Damit beenden wir den ersten Teil unseres Rückblicks und freuen uns, wenn ihr morgen wieder dabei seid bei Teil 2!
_________________________________
Bei der Aktion Adventskalender geht es dieses Jahr drum, einige Themen zu besprechen und zu diskutieren. Dinge, die bei Reviews, Konzertberichten und anderen Artikeln gerne untergehen. Persönliche Meinungen, Beobachtungen, Erlebnisse. Und auch ihr seid gefragt, antwortet gerne auf diese Themen, wir sind gespannt.
Antworten