„Alles mit mehr als 100 monatlichen Spotify-Hörern ist Kommerz!“, so oder so ähnlich klingt es manchmal mehr oder weniger ernst gemeint aus der Black Metal Szene. Auf der anderen Seite stehen erfolgreiche Bands, die jenseits jeglicher Genregrenzen agieren, aber Millionen von Menschen begeistern. „Aber die sind doch kein Metal mehr! Die sind nicht mehr true!“, heißt es dann häufig. Aber was macht denn eine Band „true“? Muss sie dafür den krassesten Underground spielen und darf bloß nicht bekannt werden, weil sie sich und ihre Prinzipien dann verkauft?
Was bedeutet „true“ sein?
Fangen wir mit der Bedeutung des Wortes „true“ an. Das Cambridge Dictionary definiert „true“ als „telling of something that really happened; not invented; agreeing with fact; not wrong“. In Bezug auf Musik, und das beschränkt sich nicht nur auf Metal, bedeutet das also prinzipiell erstmal, dass die Musik oder die Band echt ist, sich selbst treu und den Menschen nichts vorspielt. Ein:e Künstler:in ist also dann „true“, wenn sie authentisch ist. Auch im Hip-Hop, Rave, Punk und sogar im Blues oder Folk gibt es einen Fokus darauf, wie authentisch jemand ist.
Authentizität ist dabei nichts Objektives. Steve Redhead schreibt in seinem Buch „The End-of-the-Century Party: Youth and Pop Towards 2000“, dass Authentizität ein rein soziales Konstrukt ist und daran anschließend schreibt David Grazian im Artikel „The symbolic economy of authenticity in the Chicago blues scene“, dass Authentizität immer etwas künstlich Konstruiertes ist. Authentizität kann immer ein:er Künstler:in (also auch Bands), ihren Songs, den Auftritten und der Fanbase zugeschrieben werden. Jetzt sind Pop und Blues nicht zwangsläufig mit Metal vergleichbar, aber die Aussagen zur Authentizität liefern zumindest einen Anhaltspunkt. Gerade weil diejenigen, die sie anderen zuschreiben, Authentizität als eine absolute und inhärente Eigenschaft betrachten, ist Authentizität niemals unumstritten. Die Definition ist niemals fest und ändert sich ständig und ist gleichzeitig auch Interpretationssache jedes Einzelnen.
Authentizität und Genre
Für manche bedeutet Authentizität einfach nur, sich selbst treu zu bleiben, hinter der eigenen Musik zu stehen und sich nicht für andere zu verstellen. Auf der anderen Seite verschwimmt gerade im Metal, wo Stilgrenzen oft als identitätsstiftend verstanden werden, Authentizität schnell mit der Vorstellung davon, was „echter“ Metal sein soll. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass Genregrenzen innerhalb des Metals, aber auch die Grenzen zu anderen Genres ebenfalls eher subjektiv sind. Wo hört Hard Rock auf und wo beginnt Metal?
So kritisiert Benjamin Hillier in seinem Paper „Considering Genre in Metal Music“, dass viele Genre-Definitionen nicht durch klar-musikalische Merkmale, sondern eher durch Fan-Diskurse entstehen. Authentizität ist oft mit Genre-Wissen verbunden. Eine Band, die behauptet, ein Genre zu repräsentieren, aber aus der Sicht von Menschen mit Genre-Wissen eigentlich einem anderen zugeordnet werden sollte, wird nicht als authentisch wahrgenommen. Das erscheint innerhalb eines Genres einleuchtend, weicht aber an den Grenzen auf. Diese sind oftmals fließend, wodurch eine Einordnung subjektiv erfolgt.
Wenn die Genre-Einordnung also subjektiv und die Authentizität an Genregrenzen gekoppelt ist, ist die logische Konsequenz, dass Authentizität auch subjektiv ist. Niemand spricht Motörhead Authentizität ab, auch wenn sie beim besten Willen keinen Rock’n’Roll spielten, auch wenn Lemmy bis zu seinem Tod das Gegenteil behauptete. Man wird so aber niemals einen „common ground“ finden, auf dessen Basis man etwas einordnen kann, wenn die Diskussionsparteien alle eine jeweils andere Definition des Begriffs haben. Das ist ein großes Problem in der Diskussion um die „Trueness“ von Musik. Natürlich sollte ein:e Künstler:in hinter der eigenen Musik und Kunst stehen, aber geht die Glaubwürdigkeit tatsächlich verloren, weil sich über die Jahre der Klang verändert hat? Steht das nicht sogar im kompletten Widerspruch?
Death to False Metal?
Für diesen Ausspruch ist Manowar einst bekannt geworden. Auf Wacken gab es bis 2016 die True Metal Stage. Diese Einteilung in „true“ und „false“ spiegelt eine sehr exklusive Idee davon, was „echter“ Metal sein soll. Aber wer entscheidet das? Joey DeMaio? Dürfen Metalheads nur noch Manowar hören? Das ist natürlich Unsinn, aber zeigt wieder, wie subjektiv die gesamte Einordnung ist.
Der Begriff „True“ selbst, ist sehr ideologisch aufgeladen und nicht immer deckungsgleich mit „authentisch“, aber in jedem Fall nah verwandt. Neben der großen, mittlerweile eher nostalgischen Diskussionen um den „einzig wahren Metal“, hält sich die „Trueness“ prominent im Black Metal. Hier sind Anti-Christentum bzw. Anti-Religion und damit verbunden eben auch satanische Motive klassische Themen. Diese werden je nach Subgenre und zeitlicher Phase durch beispielsweise Naturbezug, Misanthropie oder „hässliche“ Themen ergänzt. Eine stumpfe Reproduktion dieser Themen in Form von Klischees wird oft ironisch als „true“ bezeichnet, ist aber keine wahre Repräsentation von Authentizität. Man sieht sich Anti-Mainstream, aber was konkret Mainstream ist, ist wieder subjektiv.
Die Illusion vom wahren Kern
An diesem Punkt zeigt sich das eigentliche Problem: „true“ wird sehr unterschiedlich definiert und bleibt dadurch ein flexibles Etikett, das nach Belieben genutzt wird. Die Grenzen sind fließend, warum sich also einschränken lassen? Metal lebt von Entwicklung. Er entwickelte sich in den späten 60ern aus dem Hard Rock, Bluesrock und Psychedelic Rock. In den späten 70ern und den 80ern spaltete er sich in Subgenres, wie die New Wave of British Heavy Metal oder Power Metal auf, die neue Impulse brachten. Er fragmentierte letztendlich ab den 90ern, sodass wir heute mit einem extrem diversen Genre leben. Gerade in den extremen Ecken bildeten sich hier vermehrt neue Subgenres, wie Hillier in „Considering Genre in Metal Music“ aufzeigt. Man kann argumentieren, dass Metal inzwischen nicht mal mehr ein eigenes Genre, sondern eher eine eigene Domäne der Musiklandschaft ist.
Diese kleine Geschichtsstunde zeigt, wie wandelbar Metal ist und schon immer war. Er hat sich nicht aus einem Guss entwickelt, aber viele Fans standen neuen Entwicklungen trotzdem immer erstmal skeptisch gegenüber. Denn je vielfältiger Metal wurde, desto stärker entstand auch der Wunsch mancher Fans, eine Art „Kern“ zu bewahren. Das hat schon angefangen, als Iron Maiden 1986 auf Somewhere in Time Synthesizer einsetzten und damit erstmal auf viele kritische Stimmen trafen. Heute sind Synths in vielen Subgenres der Standard.
Eine aktuelle Entwicklung, die öfter kritisiert wird, ist der Einfluss anderer Genres auf die Metal Szene. Dabei gibt es Kreuzungen mit anderen Genres schon ewig. Metal und Hip-Hop? Nu-Metal. Metal und EBM? Industrial Metal. Metal und Klassik? Symphonic Metal. Daraus entsteht eine große Vielfalt an Genres, die viele tolle Bands hervorgebracht hat.
Der Blick über den Tellerrand
Bands, die diese Grenzen noch stärker aufweichen, liefern da natürlich den perfekten Nährboden für Diskussionen. Die Speerspitze des aktuellen „ist das noch Metal?“-Diskurses ist Sleep Token. Auf der einen Seite eine geniale kreative Bereicherung, auf der anderen Seite „kein Metal mehr“. Trotzdem wird ihnen ein Metal-Label gegeben, das oft im gleichen Atemzug wieder entzogen wird. Aber sie gehen mit Slipknot auf Tour und spielen auf den größten Metal Festivals. Gleiches gilt (vor allem seit dem Stilwechsel) für Bring me the Horizon, Spiritbox oder Bad Omens. Dabei kommen auch Namen wie Poppy oder Babymetal auf. Sie mischen Metal mit (J-)Pop, Hyperpop, Elektronik, Trap-Elementen oder Alternative-Rock so selbstverständlich, dass manche Metalheads das als Entfremdung empfinden, während andere darin die nächste Evolutionsstufe sehen.
Electric Callboy entfernen sich seit dem Sängerwechsel immer weiter von ihren Metalcore-Wurzeln und sammeln auf dem Weg vor allem Techno-Elemente auf. Sind sie jetzt weniger Metal? Vielleicht. Ein Stilverlust wird oft befürchtet, dabei sind es auch in der Vergangenheit immer wieder diese Stilbrüche gewesen, die neue Impulse setzten. Somwhere in Time ist ein großartiges Album und heute ein Fan-Liebling.
Gerade in diesen Grenzgebieten tummelt sich viel spannende Musik. Diese ist dann vielleicht nicht mehr „true“, aber in der Regel trotzdem authentisch. Offenheit dem Neuen und Experimentellen gegenüber schadet in keinem Fall. Und wenn man schon dabei ist, die Grenzgebiete zu erkunden, kann man auch den Schritt auf die andere Seite wagen und sich dem Neuen stellen. Dort draußen gibt es unfassbar viele Künstlerinnen und Künstler, die großartige Musik machen. Man muss nur die Ohren offen halten und findet die ein oder andere Perle.
Wenn Fenriz von Darkthrone House hört und sogar als DJ aktiv war, wie schlimm kann es dann also sein?
Bei der Aktion Adventskalender geht es dieses Jahr drum, einige Themen zu besprechen und zu diskutieren. Dinge, die bei Reviews, Konzertberichten und anderen Artikeln gerne untergehen. Persönliche Meinungen, Beobachtungen, Erlebnisse. Und auch ihr seid gefragt, antwortet gerne auf diese Themen, wir sind gespannt.
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