- Ära des Stahls
- Schüttel dein Haupt
- Magst du Mittelalter (feat. Chris Harms)
- Metamnesie
- Sündenbock
- Alptraum
- Walhalla
- Midwinter
- Spieglein, Spieglein
- Auf St. Pauli
Die Eisheilige Nacht 2019 wurde, so laut Zitat des Marketings, von den „Newcomern Vogelfreu“ [sic!] eröffnet, die dort ihr fünftes Album „Nachtwache“ nach anderthalb Jahrzehnten Bandgeschichte vorstellten.
Nach fünf Alben haben sich Vogelfrey stilistisch endgültig eingeschossen und in der Szene ihre eigene, einzigartige Identität gefunden. Bass, Gitarre und Drums aus dem Metal, dazu Cello, Geige, und je nach Wahl Bouzouki, Rauschpfeife oder Zweitgitarre, clever, verspielt, von ernst bis augenzwinkernd, ist alles dabei. Metallischer Mittelalter Rock oder Folk Metal mit einem Fuß noch in der Marktszene? Ja. Vogelfrey halt. 6 Vaganten.
Das Album steigt ein mit einer fast an Viking Metal gemahnenden Melodie in „Ära des Stahls„. Hätte es eine kleine Prise Black Metal, könnte es als Grimner-Song durchgehen. Was jetzt beileibe nichts schlechtes ist. Textlich ist es ein mit einer Prise Selbstironie gewürzter Rundumschlag durch alle möglichen mythischen Heldentaten – „Die Nymphen verführt, das Einhorn gezähmt / Der Kampf mit dem Kraken sei auch noch erwähnt“. Was man Samstags abends halt so macht.
Im darauf folgenden „Schüttel dein Haupt“ ist in etwa drin, was drauf steht. „Metall und Met ein Leben lang“ – kann man eigentlich so unterschreiben. Das erwartete Rifffeuerwerk zündet aber leider dann doch nicht ganz. Vielleicht fehlt einigen Riffs etwas an Sprunghaftigkeit, vielleicht gibt es zu viele Breaks, vielleicht ist „Schüttel dein Haupt, Schüttel schüttel dein Haupt“ als Refrain auch einfach zu klobig, aber irgendetwas fehlt…
Das ist aber nicht weiter schlimm, denn magst du Mittelalter? Das ist jetzt keine rhetorische Frage, sondern der Titel des dritten Songs und ersten Höhepunkts des Albums, bei dem auch Chris Harms (LOTL) mitwirkte. Quasi die selbstironische Antwort auf das sarkastische „Mittelalter Rockstar“. Bei „Bouzouki-Intro, flotte Melodie auf der Geige und nur Bouzouki + Drumrolls in den Strophen“ könnte man vielleicht an „Schuld ist nur der Met“ oder „Tanz für mich“ denken, aber der alte Trick funktioniert immer noch: Es geht ab. Es ist fröhlich, flott, eingängig wie Hölle und fantastisch geschrieben. A propos geschrieben: der Text steht der Musik in nichts nach. Jede Strophe erzählt in schlaglichtartigen Stichworten („Jungfrau, Drache, Feuer, Not / Ritter, Lanze, Drache tot“) eine kleine, witzige Geschichte, die jeweils auf dem Mittelaltermarkt endet, und das Fazit, dass Mittelaltermärkte geil sind, ist zwar unverrückbare Tatsache, aber darf gerne widerholt werden.
„Metamnesie“ – ich musste den Titel auch zweimal lesen. Und natürlich gibt‘s nen Song über Met, was denkst du denn? Über der hübsch groovigen 4-to-the-floor Kickdrum geht es um den „Morgen danach, doch wonach, doch wonach?“ Vielleicht nach der „Rauschpfeife“ vom letzten Album, die Platzierung in der Trackliste würde es vermuten lassen. Oder es ist doch nur der Met schuld. „Rauschpfeife“, „Metamnesie“, „Magst du Mittelalter?“, „Schüttel dein Haupt“ – schreibt Jannik, indem ihm ein witziger Titel einfällt und er sich denkt „da bau ich mal nen Lied d‘rum“? Bei „Feenfleisch“ damals war‘s ja auf jeden Fall so…
Auf „Sündenbock“ geht‘s vorsichtig in Richtung Sozialkritik, nicht zum ersten (man denke an „Blutgericht“), und auch nicht zum letzten Mal. „Vorsichtig“ deshalb, weil der Text nicht zwingend tagesaktuell gelesen werden muss. Dass ein Mob einen Sündenbock wie die Sau durchs Dorf treibt, ohne zu hinterfragen, ist ja nichts neues. „Die vierte Macht das Urteil spricht“ – sind es frühneuzeitliche Flugblätter oder die Bild? Wer weiß es schon? Es ist die Bild. Diese Art der zeitlosen Sozialkritik steht, finde ich, Mittelalter Rock sehr gut, ich glaube sogar, darin liegt eine Wurzel des Genres. Aber das gehört nicht hierher.
„Alptraum“ – mindestens ein explizit und unnötig brutales Stück pro Album ist ja mittlerweile Tradition bei Vogelfrey. Und hui, es knallt. Und hui, er growlt im Refrain. Und der Text – „In die Seele schneid‘ ich Löcher“ – herrlich. Und groovige Riffs unter langsamen bis statischen Rauschpfeifen kommen immer gut. Fragt Tanzwut.
A propos Tradition, wenn auch in völlig anderer Stimmung: „Die Hörner längst schon auf dem Feld erklangen“ – jeder Vogelfrey-Fan horcht da direkt auf. „Walhalla“, die Ballade des Albums, knüpft textlich direkt an den ewigen Klassiker „Waffenbruder“ an. Es erzählt von dem gefallenen Waffenbruder und seinem Aufstieg nach Walhalla. Angemessen ruhig am Anfang, steigert es sich mehr und mehr ins Erhabene, bis beim Refrain allein die Musik das Bild vom strahlenden Sonnenaufgang über den mit goldenen Schilden gedeckten Dächern Walhallas entstehen lässt, wo ein lange vermisster, alter Freund die Hand ausstreckt, um dich zu empfangen. Das steht alles auch so im Text, aber den braucht‘s eigentlich gar nicht, die Musik erzählt die Geschichte allein. Gut, das alles klingt etwas schnulzig. Aber es ist schön. Nein, ich weine nicht. Schau weg, verdammt!
Ah, gut, nächster Song.
„Midwinter“. Haben Sa-Mo mit „Willkommen in der Weihnachtszeit“ einen Trend losgetreten? Knasterbart und die Hurleys haben ja auch Weihnachtslieder rausgebracht. Die Position als Song acht von zehn ist alles andere als ein Ehrenplatz, und ganz ehrlich – ja. Der Song ist nicht schlecht, keinesfalls. Ich weiß nicht, ob Vogelfrey einen schlechten Song schreiben können. Aber nichts als eine eingängige Geigenmelodie, eine galoppierende Rhythmusgitarre und ein Text übers Saufen ist etwas zu schlicht um interessant zu sein. Besondere Momente oder Überraschungen gibt‘s weder im Songwriting, noch im Instrumentarium noch im Text. Der Song ist solide genug, nicht negativ aufzufallen aber zu uninteressant, außerhalb des Albums gehört zu werden. Andererseits, es ist ein Weihnachtslied. Die sind selten interessant. Also doch Mission erfüllt?
Die „vorsichtige Sozialkritik“ noch auf dem Schirm? „Schirm“ ist ein gutes Stichwort, es geht um‘s Smartphone. Keine Chance, mittelalterlich zu verstehen, was das „Spieglein, Spieglein“ sein soll. Musikalisch ist der Song wohl das, was „typisch Vogelfrey“ am nächsten kommt: von der bloßen Basis, Cello, Drums & Bass steigert es sich mit harter Rhythmusgitarre und klagender Geige, um in einem getragenen, hymnischen, fast klagenden Refrain zu enden. Über allem singt Jannik im hämischen, leicht gepressten Tonfall aus der Perspektive des Smartphones. Der Text selbst ist angemessen hinterlistig, er beginnt voll lockender Versprechungen vom „Geist aus der Maschine“ und endet mit dem Haken an der Sache, vom „Gott aus der Maschine“.
Das Album endet mit „Auf St. Pauli„. Mit Stakkato-Melodie und einer Menge Lokalkolorit („Hummel Hummel – Mors Mors“) geht’s (knallhart deduziert, Dr. Watson!) um eine abendliche Tour auf St. Pauli. Das Stück ist flott und tanzbar und der Text steckt voller netter, spezifischer Details, sodass dem Album auch noch ganz zum Schluss nicht die Luft ausgeht.
Dieses Album ist weder so frisch wie Zwölf Stritte zum Strick, noch so experimentierfreudig wie In Extase. Es ist ein sehr gutes Album und es klingt wie Vogelfrey, nicht mehr und nicht weniger. Es liefert den Fans einen weiteren Schwung hervorragender neuer Songs, ohne zu große Überraschungen aber mit genug kleinen Spielereien um interessant zu bleiben. Es untermauert Vogelfreys Status als eine der interessantesten Bands des Genres, wenn auch leider ohne ihn groß auszubauen.
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