An einem verregneten Samstagvormittag konnte man in Köln nicht nur den Dom, sondern auch viele schwarze Gestalten in sehr aufwendigen Kostümen betrachten. Natürlich kann das nur eine Sache bedeuten: Das Amphi Festival ist wieder in der Stadt. Das wahrscheinlich schwärzeste Familientreffen am Rhein lockte zahlreiche Besucher trotz des ekligen Wetters auf das Gelände des Tanzbrunnens und wurde zu einem Schaulaufen von Freaks in allen Formen und Farben, wobei schwarz natürlich dominierte. Die Familie wird ja nicht ohne Grund „Schwarze Szene“ genannt. Der Einlass funktionierte hervorragend, auch erleichtert durch die Luggage Lane für Rucksäcke und Taschen. Die Securities waren größtenteils sehr freundlich und sorgten für einen reibungslosen Ablauf.
Nachdem wir es durch die Kontrollen geschafft hatten, mussten wir uns erstmal einen Überblick verschaffen. Die erste negative Erfahrung des Tages: Die Schließfächer kosten zwei Euro, aber nicht als Pfand. Man musste sich genau überlegen, was man ins Fach tut und ob es einem jedes Mal zwei Euro wert ist, etwas aus dem Fach zu holen. Positiv zu erwähnen sind die zahlreichen kostenlosen Trinkwasserstellen mit ausreichend Wasserhähnen, sodass man nie lange warten musste, ebenso wie die sauberen Toiletten, von denen es aber gerne mehr hätte geben können. Nachdem wir uns eingenordet und alles gefunden hatten, wurde auf der Main Stage schon das Festival eröffnet.
Synthattack machten einen würdigen Opening Act. Die Bässe dröhnten über das Gelände und die noch nicht so umfangreiche Menge stampfte ausgelassen. So konnte man Industrial Dancer nicht nur auf der Bühne beobachten. Leider hatte die eigentliche Keyboarderin Nicole einen Hörsturz (gute Besserung an dieser Stelle), weswegen sie durch die zweite Hälfte vom Nebenprojekt Basscalate, Julia, vertreten wurde. Kurzweilige 40 Minuten später war der Spaß aber auch schon wieder vorbei.
Nach kurzer Pause folgte ebenfalls auf der Mainstage das Projekt A Life Divided von Eisbrecher-Gitarrist Jürgen Plangger und sorgte mit verzerrten Gitarren für viel Kopfnicken in der Menge. Wo eben noch ausgelassen die Arme geschwungen wurden, flogen nun Haare, denn dieser Auftritt stand diametral zu Synthattack. Sie feierten dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum und brachten erst vor kurzem das neue Album Down the Spiral of a Soul auf den Markt, entsprechend gaben sie viele Songs davon zum Besten und rockten die Bühne.
Direkt im Anschluss wurde die Theater Stage von Xotox eröffnet, deren neues Album Ich bin da Ich funktioniere am Tag zuvor erschienen war. Bässe wummerten, eine schwarze Masse bewegte sich im Dunkeln des Theaters wie in Trance zur Musik, die alles und jeden durchdrang. Eine klare Message wurde auch gesandt: Gebt Nazis keine Chance, schlagt zurück! Viel vom Auftritt habe ich aber kaum miterleben können, denn es war brechend voll im Theater, vielleicht flüchteten einige vor dem einsetzenden Regen, vielleicht aber auch vor der rockigeren Musik, denn ein weiteres Mitglied von Eisbrecher sollte auf der Mainstage spielen.
Natürlich ist der Mann gemeint, der mit Sonnenbrille und Glatze immer gut aussieht und mit allen Fotos macht: Der Checker himself, Alex Wesselsky. Die Menge war inzwischen deutlich angewachsen und es ging munter weiter. Dieses Jahr gab es ausschließlich Songs der Band Megaherz zu hören, die er 2003 verließ. Dies war der zweite Auftritt seit 2013 und somit feierten die Herren Wesseslky auch ihr zehntes Amphi-Jubiläum. Alex stellte auch fest, dass ein Jahr ohne Amphi irgendwie unvollständig sei und wir alle eine große Familie wären. Das Motto der Amphifamilie und des Familientreffens zog sich wie ein roter Faden durch das gesamte Festival und war nicht nur hier Thema. Die Sonne schien inzwischen in die teilweise bemalten Gesichter des Publikums, den Wettergöttern gefiel der Act wohl. Wesselsky überzeugte nicht nur mit Songs, sondern auch mit Humor und Schlagfertigkeit. Sprachprobleme und Textaussetzer waren auch zu entschuldigen, denn 14 Uhr ist wirklich keine Uhrzeit für Rockmusiker.
Es wurde auf einmal sehr nerdig, denn Starpilot meldete sich auf Channel K aus dem All. Ganz in weiß gekleidet in wie Raumanzüge anmutenden Outfits brachten S.P.O.C.K mit Synthies, Laptops und einer Keytar bewaffnet wieder elektronische Musik auf die Bühne. Das war natürlich ein starker Kontrast zu den eher gedeckten Farben der Menge, in ihren teils sehr ausgefallenen, teils sehr minimalistischen Outfits. Sänger Alexander Hofman sprach nicht viel Deutsch, aber er kann wenigstens den wichtigsten deutschen Spruch: „Hau wech die Scheiße“ und beging damit zusammen mit seinem Bier feierlich das 35-jährige Jubiläum der Band. Den Abschluss sollte eigentlich das klassische Zugabespiel gespielt werden, aber aus Zeitmangel blieb die Band auf der Bühne. Es gab trotzdem Zugaberufe, die dankend angenommen und auch umgesetzt wurden.
Leider setzte der Regen wieder ein und diesmal richtig übel. Die Überdachung der Mainstage zahlte sich aus, aber leider reichte sie nicht für alle aus. Auf einmal ploppten überall bunte Schirme auf und die Menge war gar nicht mehr so schwarz. Das restliche Gelände war leider nur spärlich mit Schirmen ausgestattet, die Sitzgelegenheiten an den Essensständen gingen größtenteils baden.
Nach Ende des Schlimmsten, verschlug mich mein Weg das erste Mal auf die Orbit Stage. Das besondere hier ist, dass die Bühne auf der MS Rheinenergie steht. Der Regen der letzten Woche hatte sogar eine gute Sache an sich: Der Wasserstand war hoch genug, dass das Schiff am Kennedyufer liegen konnte, was einen 20 Minuten Fußweg oder den Weg mit einem Shuttlebus in die Altstadt ersparte.
Hier spielten schon seit dem frühen Nachmittag Bands, unter anderem auch Selofan. Es war sehr voll, aber der Einlass war begrenzt, denn maximal 1650 Personen dürfen auf dem Schiff sein. Entsprechend klein war auch die Bühne und der Zuschauerraum. Der Vorteil hier: Die Bühne ging über zwei Decks, die durch eine Galerie voneinander getrennt waren. Das obere Deck war bestuhlt und ein Platz für Rollstuhlfahrer war hier auch reserviert, damit auch jeder das volle Erlebnis genießen konnte.
Selofan hatte anfängliche Soundprobleme. Sie war nur sehr leise zu hören und hörte sich selbst anscheinend gar nicht. Die Probleme waren aber nach dem ersten Song sofort behoben und die melancholischen Klänge zogen ohne weitere Störungen durchs Schiff. Leider hat der Bass sehr übersteuert, was ein wenig vom Rest des Mixes verschluckt wurde. Unterstützt wurde die Klangatmosphäre durch Videos, die auf den Hintergrund projiziert wurden. Sie gab zwei ganz neue Songs zum Besten, die auch freudig aufgenommen wurden. Etwas schräg, aber doch sehr cool, aber was der Hummer mit der ganzen Sache zu tun hatte, habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden. Zum Abschluss wurden aber Rosen ins Publikum geworfen, die so freudig gefangen wurden, wie Plektren bei anderen Bands.
Nach diesem Ausflug ging es zurück zur Mainstage, denn Covenant spielten auf. Versunken im Nebel heizten sie dem Publikum ordentlich ein, aber es gab auch ruhigere Nummern zu hören, gerade die Älteren. Natürlich hörte man auch den Song, der der Amphi Eröffnungsveranstaltung von Freitag ihren Namen gab: Call the Ships to Port. Der Regen ließ die Besucher ziemlich unbeeindruckt, denn es wurden wieder in Windeseile Regenschirme aufgespannt und die vorher vorwiegend schwarze Menge war auf einmal bunt. Passend dazu gab es außerdem einen schönen Regenbogen zu sehen, während die Bässe über das Gelände waberten und alles einlullten. Unter der Überdachung vor der Stage wurde getanzt, was sich außerhalb als schwierig erwies. Hier wurden dafür Regenschirme im Takt auf und ab geschwenkt.
Ebenfalls auf der Mainstage kam das Projekt Front 242 in der Abendsonne zum Glänzen. Das Motto war „you’ve got the body so move your body“, was auch freudig angenommen wurde. Kaum jemand stand still, es war eine riesige Party. Seifenblasen schimmerten in der sich wieder zeigenden Sonne und spiegelten die ausgelassene Stimmung wider.
Im Theater herrschte eine ausgelassene Stimmung und eine erstaunlich gute Luft, als Welle: Erdball die Bühne in ihren Besitz nahmen. Im 50er Stil in gepunkteten Kleidern und stilvollen Anzügen traten sie hinter den Leinwänden hervor und lieferten eine beeindruckende Show ab. Sich selbst nicht allzu ernst nehmend wurde das Publikum mit Luftballons, Papierfliegern und Kinosnacks in die Show mit einbezogen. Ein Comodore 64 wurde ebenfalls zwischen die Leute geworfen, darin enthalten eine VIP-Karte zu ihrer dreißigjährigen Jubiläumsshow am 9.9. in Oberhausen. Eine bitter-süße Geste gab es in der Mitte des Sets. Es wurde um eine Schweigeminute für den am Tag vorher verstorbenen Tommi Stumpff gebeten, seines Zeichens Deutschpunk und EBM-Legende. Ihm wurde auch anschließend der Song Das Original gewidmet.
Das Publikum hatte trotzdem den Spaß seines Lebens und ich möchte an dieser Stelle einmal die Menschen vor Ort loben und das nicht nur, weil sie es schafften, während der Schweigeminute fast komplette Stille in den Saal zu bringen. Neben mir standen eine Mutter mit ihrem autistischen Sohn. Sie hatte uns gebeten, nicht zu nah bei ihm zu stehen und jeder hat es respektiert. Der Security, der bei uns stand, hat das natürlich mitbekommen und ihm sogar einen der Luftballons geschenkt, die während der Show in den Graben gefallen sind. Ich habe noch nie so viel Freude im Gesicht eines Menschen gesehen.
Das Festival war zwar offiziell für diesen Tag vorbei, aber einen besonderen Programmpunkt gab es noch: Veranstalter und Moderator des Festivals Mark Benecke wollte selbst seine Gesangskünste zeigen. Zusammen mit Bianca Stücker, spielten sie alle möglichen melancholischen, exotischen Versionen von bekannten Songs über Tod, Suizid und Liebeskummer wie Back to Black oder Chelsea Hotel #2 begleitet durch Nyckelharpa oder Hackbrett. Das Ganze spielte sich auf der Orbit Stage ab, während das Schiff den Rhein abwärts bis zur Altstadt fuhr. Im Anschluss fand hier auch die große Afterparty statt, falls man den ganzen Tag über noch nicht genug Musik hatte.
Ein langer erster Festival Tag ging zu Ende, mit vielen schmerzenden Füßen (Steinboden sei Dank) und noch viel mehr Musik. Außer den hier beschriebenen Bands haben noch Rabengott, Vanguard, Whispers in the Shadow, Future Lied to Us, Das Ich, Centhron, Calva y Nada, Clan of Xymox, Lebanon Hanover, Zerpahine, Deine Lakaien und Diorama gespielt. Durch den sehr parallelen Spielplan war es leider nicht möglich, alle Bands spielen zu sehen, von Das Ich und Deine Lakaien zeigen wir euch trotzdem Bilder:
Das Ich:
Deine Lakaien:
Impressionen vom Festival auch abseits der Bühne:
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