Am 06.09. fand die vierte Ausgabe der Atmospheric Arts im Mannheimer 7er Club statt, der wir nur zu gerne erneut beigewohnt haben. Ein Blick auf das diesjährige Line-up versprach erneut atmosphärisch und emotional intensive Musik aus dem Spektrum des Black Metals, mit bekannteren Gruppen wie Happy Days und den selten live zu sehenden Eldamar, ebenso wie für manche noch eher als Geheimtipp zu betrachtende Bands wie den italienischen Eyelessight.
Ein interessantes Detail war dabei, dass die ersten drei Bands (Bovary, Ernte, Eyelessight) weiblichen Gesang mitbrachten; insbesondere außerhalb des Bereichs dessen, was als „klassisch schön“, bzw. im konventionellen Sinn „harmonisch“ oder „melodisch“ im Metal gilt, eine nach wie vor etwas seltenere Sichtung.
Angesichts des durchaus als sommerlich zu bezeichnenden Wetters spielten die Bands im überdachten Außenbereich, während Getränke und Merch drinnen zu erwerben waren. Der Einlass begann um 17Uhr, wobei sich bereits zuvor eine gute Menge an Besuchern am 7er Club eingefunden hatte. Für Kurzentschlossene gab es allerdings auch die Möglichkeit des Ticketerwerbs an der Abendkasse.
Der Beginn der Veranstaltung war auf 17.30Uhr angesetzt, und nach Soundcheck sowie einer kurzen Wortmeldung des klassischen Windows-Geräusches eröffneten Bovary den Abend.
Bovary
Bereits ab dem ersten Lied des Sets, Par amour du vide vom gleichnamigen Album (2023) veranschaulichte die Band eindrucksvoll jene Eigenschaften, die die Musik von Bovary kennzeichnen und ihr ihren Wiedererkennungswert geben: Neben kompromissloser Authentizität im emotionalen Ausdruck schwebt da, trotz aller musikalischen und Gefühlsausbruchsbrutalität oft auch eine gewisse Leichtigkeit, zeigt sich eine sanft-verletzliche Zärtlichkeit, die der Musik nicht nur eine sehr persönliche, intime Note gibt, sondern sie gleichzeitig umso zielsicherer und tiefer einschneiden lässt.
Diese besondere Note, in Verbindung mit der Stimme Salomé Mangninis (neben Gesang und Gitarre bei Bovary später auch als Gitarristin bei Happy Days, sowie beim letzten Atmospheric Arts als Live-Gitarristin von Suicidal Madness vertreten), weckte dabei ein wenig Assozationen an die ebenfalls französische Gruppe Përl und dem ebenfalls sehr charakteristischen Gesangs- beziehungsweise Schreistil ihrer Sängerin.
Im Unterschied zu den Post Metallern dieser Gruppe bewegen sich Bovary musikalisch allerdings deutlich im DSBM-Bereich.
So blieb jene Leichtigkeit dann auch stets eine melancholische, deren Präsenz insbesondere ab der zweiten Hälfte des Sets zudem immer weiter zurückgenommen wurde. Wendepunkt diesbezüglich war Dialogue Amputé, schlicht und treffend als „Sad Story“ angekündigt und unterstützt durch Malsain, dem Bruder von Salome (aktiv bei Sucidial Madness).
Dass auch die Band bewegende Musik nicht „nur“ spielt, sondern wirklich fühlt, ließ sich im Laufe ihres Auftritts immer wieder an kleineren Aspekten wie der Mimik beobachten, sehr deutlich aber beim letzten Lied, Bonheur Lethargique. Girarrist Garçon, an seinem Instrument vom erneut auftretenden Malsain abgelöst, übernahm hier große Gesangsparts, wanderte im Verlauf des Songs durchs Publikum und lag am Ende schlicht am Boden.
Setlist Bovary: Par Amour Du Vide // Ana // Sans Moi // Je Ne Serai Plus Là // Dialogue Amputé // Bénies Soint Les Putains // Bonheur Léthargique
Ernte
Corpse Paint, zwei größere Knochen und eine Wirbelsäule am Mikrofonständer, der gekrönt wurde von einem kleineren Tierschädel – rein optisch bereitete ich mich bei erster Sichtung der Schweizer von Ernte auf etwas mehr old school vor. Nach einer Verzögerung von etwa 15 Minuten startete die Band mit sphärischem dunkel-blaulila Licht und unwirklich-bedrohlichen Tieftönen, passend zu Phantoms vom 2023er-Album Albsegen.
Im Vergleich zur vorherigen Band klangen Ernte tatsächlich mehr „oldschool“ in dem Sinn, das hier durchaus stellenweise ein wenig norwegische Second Wave Vibes aufkamen. Dies aber stets nur als Assoziation, nie als Stil-Agenda oder gar Konventionenkopie um der Konventionen willen; so zeigte sich etwa bei Ruler of Chaos, Bringer of Storms auch eine gewisse Epik und getragenere Melancholie.
Dennoch, Ernte gelang es, trotz solcher epischeren Momente stets auf die richtige Art böse und finster-brachial zu klingen und eben das auch über ihre Inszenierung auszustrahlen: Das kühldunkle Licht des Beginns wurde im Verlauf des Sets helleres weiß, gerne auch mal abgelöst durch charmantes höllenrot, es wurde genebelt, Arme und Hörner gehoben, und konsequenterweise gab es zum letzten Song, The Witch (Was Born In Flames), ein „Hail Satan and fuck Religion!“
Hinsichtlich des emotionalen Ausdrucks und der Atmosphäre eine komplett andere Band als Bovary und die im Anschluss als dritte Band folgenden Eyelessight, haben Ernte durch ihre Position zwischen diesen beiden Gruppen genug Raum erhalten, um angemessen für sich wirken zu können; gleichzeitig entstand durch den musikalischen Kontrast eine Gelegenheit, sich emotional wieder etwas zu sammeln.
Setlist Ernte: Phantoms // When The Moon Is Calling // Ruler Of Chaos, Bringer Of Storm // Cutting The Stars From The Sky // Montane Mastery // The Witch (Was Born In Flames)
Eyelessight
Als Ausnahmeband in jeder Hinsicht erwiesen sich für mich Eyelessight aus Italien.
Ganz konkret zeigte das auf der visuellen Ebene – ich glaube, ich habe seit Todtgelichter keine Band mehr in Weiß gesehen. Hinzu kamen mit Bandagen verbundene Augen und im Fall der Sängerin/Gitarristin Kjiel, deren zerfleddertes weißes Minikleid in Verbindung mit den Augenbandagen ein wenig Silent Hill – Assoziationen weckte, knallpinke Haare. Drei weiße Banner, jeweils mit einem Wort beschriftet, verkündeten auf italienisch „unsere ewige Agonie“. Als ausgesprochene Freundin reduzierter Inszenierungen, die eine Betonung visueller Aspekte schnell als, im besten Fall, ablenkend, im schlechtesten als störend („gute Musik kann für sich stehen und wirken“) empfindet, gebe ich zu, etwas nervös geworden zu sein.
Das hat sich bereits innerhalb der ersten Sekunden von Nostomania geändert. Ab Monofobia habe ich begonnen, im Kopf einen Beitrag für unsere Kategorie Band der Woche zu schreiben.
Zwischen Dispnea und 7.12 die Augen geschlossen, um mich komplett auf das musikalische Erlebnis zu konzentrieren, wie es später auch aus Richtung des Schlagzeugs vorgeschlagen wurde („Close your eyes, so you can really see“).
Und nach Assenza hab ich dringend ein neues Taschentuch gebraucht. Und vielleicht auch eine Umarmung.
Musikempfinden ist etwas sehr Persönliches, erst recht im Bereich des atmosphärischen Black Metals und des DSBMs, und eine schlichte Empfehlung, der geneigte Leser möge sich die Band selbst anhören, um sich ein eigenes Bild zu machen, erweckt oft den Eindruck eines wenig aussagekräftigen Allgemeinplatzes. Im Fall von Eyelessight fehlen mir schlichtweg die Worte. Das Inventar der deutschen Sprache enthält keinen Begriff, der angemessen ausdrücken könnte, was mich die Musik hat fühlen lassen, und keine Metapher, die es wirklich verbildlichen kann. Und ich kenne schon ein paar Wörter und Metaphern, ich bin Germanistin.
Aber manchmal lassen sich Sachen verbal nur unvollständig erfassen, Germanistik hin oder her.
Und manchmal, da scheitert Sprache.
Das war kein Schmerz, sondern pure Agonie; nicht einfach DSBM, sondern eine Tortur, und nicht einfach Musik, sondern Kunst. Der Geist der Hölle ist empor gestiegen, das Leid von tausend Existenzen kreischend. Ganz, ganz großes Kino und für mich nicht nur Highlight des Konzerts, sondern des ganzen Jahres.
Setlist Eyelessight: Nostomania // Monofobia // Dispnea // 7.12 // Vuota Solitudine // Assenza
Aorlhac
Nach erneuter Umbaupause und mit neuem Bier in der Hand ging es mit Aorlhac zurück nach Frankreich.
Technische Probleme beim ersten Song ignorierte Sänger Spellbound (den einige auch von Jours Pâles kennen dürften) gekonnt und schrie ebenso unbeirrt wie professionell weiter, bis sein Mikro wieder kooperierte. Musikalisch lieferte die Band soliden, klassisch-rotzigen Black Metal der französischen Schule, der, ähnlich wie zuvor bei Ernte im Anschluss an Bovary, auf nicht unangenehme Art mit der vorangegangenen Band kontrastierte. Passend dazu wurde hier auch vergleichsweise viel und direkt mit dem Publikum interagiert, etwa durch gelegentliche Aufforderungen zum Hände heben und die Frage, ob man ihn den höre (die, wenn die Bestätigung nicht laut genug ausfiel, durchaus auch mal wiederholt wurde).
Überwiegend schnörkellos und direkt, wenn auch nicht vollständig ohne das Quäntchen leidende Emotion im Schreien, präsentierten Aorlhac ein solides Set und eine gute Show, die definitiv auch ihre Fans fand. Subjektiv wurde es, trotz für sich betrachtet wirklich starker Songs und charismatischer Bühnenpräsenz, ab der zweiten Hälfte ein kleines bisschen eintönig, was aber Geschmackssache ist.
Setlist Aorlhac: La révolte des tuchins // La guerre des esclops // Le bûcher des Cathares // Au travers des nos cris // Mandrin, l’enfant perdu // Nos âmes aux mornes idées // Infâme Saurimonde
Eldamar
Als musikalisches Projekt, bei dem visuelle Elemente ebenso eng wie organisch verflochten mit der Musik wirkten, zeigten sich Eldamar. Ab dem ersten Song, mit weiblichem Gesang, entstand visuell ein recht starker Fokuspunkt durch die im Bühnenhintergrund ablaufenden Bildprojektionen, die sich zunächst, passend zu den durch tiefblaues Licht und Nebel unterstützten, kühltranszendenten Andersweltklängen, thematisch im Weltraum bewegten. Zu First sight of a new realm wechselte man in Waldgebiete, aber auch das im Übergang so fließend und organisch gestaltet (wie auch die Übergänge der einzelnen Lieder), dass kein Bruch entstand, der die Immersion hätte stören können.
Überhaupt wirkte diese Verflochtenheit von visueller Inszenierung und Musik wie ein integraler Aspekt des Auftritts; erfolgte so dicht und wirkte so untrennbar, dass es angemessener erscheint, hier nicht von einem Set oder einem Bandauftritt zu sprechen, sondern von einer multimedialen Erfahrung.
Eldamar sind dabei ein wenig das musikalische Äquivalent eines Charakterschauspielers: Eigensinnig und eigenständig genug, um kein entspanntes Popcornkino zu sein und sicherlich auch nicht jeden Geschmack zu treffen, in ihrer dichtamosphärischen und bisweilen ans Transzendente grenzenden musikalischen Nische aber ein Phänomen mit hohem Wiedererkennungswert, hörbarer Kunstfertigkeit und sichtlicher Leidenschaft.
Insofern ebenso schön wie passend, einen der eher seltenen Liveauftritte von Eldamar im Rahmen einer Veranstaltungsreihe erleben zu können, die den Titel Atmospheric Arts trägt.
Setlist Eldamar: Intro/ I Must Be Dead // Because This Feels Too Good… // To Be True // First Sight Of A New Realm // New Understanding // Spirit Of The North
Happy Days
Mit dem Entzünden einer Reihe kleiner Kerzen, dem Bereitlegen von Schädel, Strick und Frankreich-Flagge und ohne große Worte starteten Happy Days. Eröffnet wurde das Set mit J’y étais des aktuellsten Albums En enfer, j’ai régné (2023), das auch sonst die Songauswahl prägte, ergänzt durch Titel aus anderen Schaffensperioden. Mit Soiled Flowers hatte z.B. auch ein älterer Track von der Split mit Deadspace einen Platz in der Setliste gefunden.
Wer Happy Days auf Platte schätzt, hatte hier die Gelegenheit, ihre Musik auf nochmal unmittelbarere und entgrenztere Art und Weise auf sich wirken zu lassen, untermalt von einer nicht übertriebenen, aber teilweise durchaus zum Grotesken tendierenden Darbietung:
Zu Hollow wurde der präparierte Strick ausgepackt, der anschließend mit durchs Set begleitete, während Morbid, mit rastloser Getriebenheit, stets einen Schädel in der Hand, an dem er sich nahezu festzuhalten schien, das Leid der Menschlichkeit rausschrie, zwischendurch auch mal ein paar Schritte langsamen Walzer tanzte, die Frankreich-Flagge präsentierte und anschließend unterm Schädel begrub, oder mit Schlinge um den Hals kurz die Bühne verließ. Das verschmierte Corpse Paint der anderen Musiker wurde im Fall des Bassisten Alrinack durch kontinuierlich aus seinem Mund fließendes Blut ergänzt, das in seiner schieren Menge derart beeindruckend war, dass es sich eine extra Erwähnung verdient hat.
Nun sind das ja letztlich Äußerlichkeiten, und eigentlich geht’s um die Musik. Und die war mehr als überzeugend. Happy Days sind, wie vieles, Geschmackssache. Ich schätze sie, denn für mich sind sie eine der Bands, die sich eindringlich ins Gehirn graben und dort unnachgiebig an der modrigen Tapete des geistigen Wohnzimmers kratzen, bis der schwarze Dreck darunter raus-explodiert. Das taten sie auch live, auf musikalisch sehr hohem Niveau.
Setlist Happy Days: J’y Étais // Hollow // Soiled Flowers // Mors Vincit Omnia // Non Ducor // Saudade // Bretagne // En Enfer J’ai Régné //Ne me quitte pas
Eine Überraschung am Ende, die wohl nicht nur fürs Publikum unerwartet kam und durch das spezielle Timing eine ganz besondere Art an Romantik entfaltete: Ein Heiratsantrag.
Nach Ne me quitte pas, dem Ende des Auftritts und einem kurzen Moment, in dem sich die ersten Besucher bereits verabschiedeten, da es so aussah, als würde jetzt abgebaut werden, kniete Alex von Bovary (dort Bass, bei Happy Days Gitarre) vor seiner Bandkollegin (Bovary: Gesang/Gitarre, Happy Days: Gitarre), dem Anschein nach um ihre Hand anhaltend; soweit wir es gesehen haben, hat sie angenommen.
Heiratsantrag nach zwei gemeinsamen Auftritten an der gleichen Veranstaltung, komplett abgekämpft, mit verschmiertem Corpse Paint, auf einer kleinen, aber feinen Clubbühne und ganz spezifisch nach NMQP und Happy Days?
Mir ging und geht unironisch das Herz auf. Romantik ist nicht tot.
Bericht: Tanja
Bilder: Matthias
Mehr vom Atmospheric Arts bei Dark-Art findet ihr hier:
Antworten