Ich möchte euch Künstler aus verschiedenen Bereichen vorstellen. Mia habe ich dieses Jahr auf der Roleplay-Verse kennengelernt. Sie ist ein kreatives Multitalent, wie ich finde. Sie selbst nennt sich „Dark-Art“- Künstlerin. Wer, wenn nicht sie, kann uns daher vielleicht die ersten Fragen genauer beantworten:
Hi Mia, was bedeutet „Dark-Art“ für Dich? Was beinhaltet dieses Genre? Und würdest Du Dark-Art als Kunstrichtung bezeichnen?
Vielen Dank zuerst einmal, dass ich heute dieses Interview geben darf und es freut mich sehr, dass dir meine unterschiedlichsten Arbeiten gefallen haben! Zu deiner Frage, „Dark-Art“ umfasst für mich eine alternative Kunstrichtung, die sich über Normen und Richtlinien des allgemeinen Mainstream hinwegsetzt, aber dennoch eine düstere Ästhetik und alternative Sichtweise auf die Kunst wirft.
Du bist auf vielen LARP-Events unterwegs. Ich bin beeindruckt von der Vielfalt Deiner komplexen Outfits und Gewandungen. Stellst du diese alle selbst her?
Ja, ich stelle alle meine Outfits selbst her, von der ersten Skizze bis hin zum fertigen Charakter. Das tollste Gefühl ist, wenn ich den Charakter zum aller ersten Mal, mit Maske, Make Up, Schuhen und kompletten Outfit trage und ihn im Spiegel betrachten kann. Dann hat er plötzlich dieses innere Feuer, es ist nicht mehr nur eine Gewandung, er ist quasi zum Leben erwacht, das macht mich immer unfassbar glücklich! Ich freue mich immer riesig, wenn ich andere Leute mit meinen Ideen inspirieren kann und so etwas neues, großartiges entsteht!
Manche Leser können mit LARP evtl. noch nicht viel anfangen. Was steckt dahinter? Ist es eine Traum- oder Fantasiewelt, in die man sich zurückzieht, ähnlich dem Computerspielen?
LARP ist eine Abkürzung für Live Action Role Play, also ein Live Rollenspiel, eine Art Improvisationstheater; hier entscheidet jede:r Teilnehmer:in, was sie/er spielen möchte. Zunächst einmal, ob als SC (Spieler Charakter), GSC (Gesteuerter Spieler Charakter), oder als NSC (Nicht Spieler Charakter) – jede Kategorie bietet tolle Darstellungsmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Genres. Egal, ob klassisches Fantasy-Mittelalter, Sci-Fi, Horror, Postapokalypse, Western, Vampire, Cthulhu uvm, es gibt mittlerweile zahlreiche Genres, die man bespielen kann. Die Veranstaltungen finden oft an wundervollen Locations/Geländen statt; manche indoor, manche outdoor, dabei stört beinahe nichts die Immersion. Die Veranstaltung ist für gewöhnlich eine geschlossene Veranstaltung, zu der nur die Teilnehmenden Zugang haben, man braucht also keine Sorge haben, komischen Blicken ausgesetzt zu sein, man ist unter sich. Es ist eine Mischung aus Improvisationstheater, Computerspiel und einem abwechslungsreichen Mix aus immer mehr Technik (z.B. Musik oder Geräusche, die über Lautsprecher abgespielt werden, für mehr Immersion, oder fantastische Lichttechnik) – die NSCs hauchen dieser Welt dann Leben ein, ob als einfache Dorfbewohner, die vielleicht mal eine Tipp für die SCs haben, oder einem fiesen Dämonenlord, der das Dorf, in dem die SCs gerade sind, terrorisiert und der besiegt werden muss. Es gibt aber auch Wirtschaftssimulationen mit Spielwährungen, Überweisungssystemen, klassische Ambiente Veranstaltungen, kampflastige Veranstaltungen (ob nun klassisch mit Schwert und Schild oder mit modernen Waffen z.B. Airsoft Markierer), dabei werden Fehden gespielt und vieles, vieles mehr.
LARP ist ein Ausgleich zum oft grauen, eintönigen Alltag, man kann es nutzen, um einfach mal abzuschalten und Zeit mit richtig tollen Menschen verbringen, oder sich auch völlig neu entdecken und Wesenszüge spielen, die man im realen Alltag so nicht zeigen würde. LARP gilt als Kontaktsport und ist für mich einfach das schönste, kreativste und abwechslungsreichtes Hobby der Welt, ohne Druck, perfekt sein zu müssen. Jede/r macht, was für sie/ihn möglich ist und erfährt auf der Veranstaltung eine wunderbare Wertschätzung von den anderen Teilnehmenden. Wichtig ist, auch einmal zu verlieren, quasi „Held:in der zweiten Reihe“ zu sein und auch anderen Teilnehmenden die Chance zu geben, einmal im Mittelpunkt zu stehen! Im LARP nennt sich das dann „Play to struggle“.
Ein Anführer ist nur Anführer, so lange er auch die Untergebenen hat, die ihn dazu machen, es ist also eine große Verantwortung, so eine Rolle zu spielen und man trägt außerhalb des Spiels eine große Verantwortung, für alle um einen herum, auch schönes Spiel zu generieren, Spiel abzugeben und abzuwägen, was nun sinnvoll ist in der Spielsituation. Solange etwas ein gutes Spiel produziert, ist es nicht wichtig, ob das vielleicht untypisch für meinen Charakter ist, das wichtigste ist, dass alle Spaß haben und mit einem tollen Gefühl nach Hause fahren! Denn! Wir verbringen hier gemeinsam unseren Urlaub ?!
Würdest Du Dich als Geek bezeichnen?
Ja, ich würde schon sagen, dass ich ein ziemlicher Geek bin ? das hat nicht nur mit meinem exotischen Hobby LARP zu tun, ich interessiere mich auch für viele andere „nerdige“ Bereiche, wie Anime/Manga, überhaupt die ganze moderne und altertümliche Japan Kultur, Horrorkram aller Art (z.B. Filme), ich bin Urbexer und gerne an Lost Places unterwegs. Außerdem bin ich Kuriositätensammlerin, besonders auf meine wachsende Taxidermie Sammlung bin ich sehr stolz!
Wie kommt man auf die Ideen, deine manchmal ziemlich morbiden und dunklen Charaktere? Es gibt Geschichten dahinter, oder?
Die Ideen habe ich häufig beim schauen von Horrorfilmen, oft inspirieren mich dabei ambiente Musik oder auch Geräusche, gar nicht unbedingt irgendwelche Kreaturen, die dort gezeigt werden. Die Stimmung kreiert direkt Bilder in meinem Kopf, ein ganz typisches Beispiel ist dabei die bekannte Spiele- und Filmreihe „Silent Hill“, die Musik finde ich fantastisch und sie inspiriert mich immer wieder zu neuen, düsteren Kreationen! Ich sehe vor meinem inneren Auge, wo der Charakter lebt, durch meine zahlreichen Lost Place Erfahrungen habe ich ein genaues Gefühl in mir, ist es klamm-kalt in der Umgebung? Wie riecht es dort? Modrig, nach Betonstaub, verwest…? Wie bewegt sich der Charakter, aufrecht oder krabbelt er auf allen vieren, hat dieser starke animalische Züge? Was macht das entsprechende Tier aus? Wie bewegt es sich typischer Weise? Und dann entwickeln sich ganz automatisch Geschichten in meinem Kopf, wie lange ist der Charakter an diesem Ort, was hat er in der Vergangenheit erlebt, hat er davon vielleicht Narben oder Äußere Veränderungen erlitten? Wie wirkt sich das auf das Verhalten aus. Das so im groben, was hinter der Entstehung zu den Charaktergeschichten steckt.
Für Dich als Künstlerin spielt Upcycling sicher eine große Rolle. Es gibt LARPer, die „echte“ Dinge, wie beispielsweise Knochen, Duplikaten vorziehen, damit das Cosplay „authentischer“ wirkt. Gibt es etwas, was für Dich ein No-Go wäre? Woher beziehst Du Deine Materialien?
Ja richtig, Upcycling spielt für mich und meine Kunst eine sehr große Rolle! Ich verwende alle möglichen Materialien, egal, ob vermeintliche Abfallprodukte wie Dosenlaschen, rostige Metallteile, alte und kaputte Zierbeschläge z.B. von Möbeln, aber auch natürliche Produkte wie alte Knochen, Zähne, echtes Fell (z.B. von alten, gebrauchten Pelzmänteln), echtes Leder usw. … ein No-Go wäre für mich z.B. einen neuen Pelzmantel zu kaufen und daraus etwas zu kreieren und dass dafür extra ein Tier sein Leben geben müsste. Ich kann gut verstehen, wenn meine Materialwahl nicht jeder/jedem zusagt, denn gerade tierische Produkte sind da ein heikles Thema, das immer wieder für große kontroverse Diskussionen sorgt. Ich verwende in dieser Richtung ausschließlich altes, gebrauchtes Material mit deutlichen Gebrauchsspuren, so bringt es eine eigene Geschichte mit sich und diese spiegelt sich in meinen Werken wieder.
Ich finde hierzu vieles auf Flohmärkten, aber auch auf Wertstoffhöfen oder bei Haushaltsauflösungen und so manches offen auf der Straße liegen.
Du verkaufst nicht nur Deine Kunstobjekte und Accessoires, sondern bist auch selbst als Model unterwegs. Und, wie ich gelesen habe, gern in sogenannten „Lost Places“, wie man auch unschwer an den Backgrounds Deiner atmosphärischen Fotografien oder Videoproduktionen erkennen kann. Du begibst Dich dafür sogar in niedrige Tunnel und enge Schächte. Hast Du keine Angst vor den Gefahren? Was reizt Dich an diesen Plätzen?
Genau, ich bin gerne an sogenannten Lost Places unterwegs und nutze diese einzigartigen Hintergründe, Strukturen und Patina von Wänden und die Ausstrahlung solcher Orte. Sie sind für meine szenische Darstellung sowohl bei Foto- als auch bei Videoaufnahmen ein absolutes „must-have“. Ich liebe die vergängliche Atmosphäre an diesen Orten und finde es fantastisch, diese Momente einzufangen und in einem Foto oder Video festzuhalten!
Natürlich muss man sich der Gefahren solcher Orte zu jedem Zeitpunkt bewusst sein! Der Boden kann marode sein und schon bei geringer Belastung plötzlich nachgeben, oder auch aus der Decke über einem können plötzlich Stücke herunter fallen. Man kann in engen Tunneln oder Schächten stecken bleiben und sollte sich und seinen Körper sehr gut kennen und im Zweifel lieber einmal zu viel als zu wenig zurück gehen! Außerdem sollte man mindestens immer zu zweit sein, falls doch mal etwas passiert, das einer Hilfe holen kann.
Ich muss aber zugeben, dass mich genau diese Gefahr dabei auch reizt! An diesen Orten werden meine Outfits, das Make-up und die Accessoires die ich kreiert habe „lebendig“ und ergeben dann ein Gesamtkunstwerk, es ist nicht mehr nur ein Kostüm, es ist ein vollständiger Charakter in seiner Welt wie aus einem Film oder Videospiel!
Vor ein paar Jahren hast Du mit einem Team einen interessanten postapokalyptischen Kurzfilm mit 10 Episoden an einem Lost Place gedreht, bei dem Du auch als Schauspielerin vor der Kamera standest – „Green Sanctuary“. Nimm uns Leser gern mal mit hinter die Kulissen. Wie kam es zu diesem Film?
Oh ja, das ist auch schon wieder fast 10 Jahre her, das war eine richtig tolle Erfahrung, wie auch bei der letzten Antwort schon beschrieben, wurde der Charakter an der Location „lebendig“! Ich kann nicht beschreiben, wie viel Glück wir damals hatten, die Locations, die Darsteller, das Wetter, Kamera, Musik, Postproduktion – alles hat reibungslos funktioniert! Zu dem Film kam ich übers Endzeit LARP, das ich zu der Zeit sehr exzessiv bespielt habe und gesagt habe, das Feeling möchte ich jetzt doch mal richtig festhalten! Ich habe mich riesig gefreut, dass wir, obwohl wir so ein kleines Produktionsteam waren, das umsetzen konnten!
Bei meinem aktuellen Filmprojekt „Azukas Reise“ verlief der Dreh auch wunderbar und mit deutlich mehr Darsteller:innen an auch wundervollen Locations! Leider hakt es bis heute an der Postproduktion, derzeit arbeiten noch der Audiocutter und der Regisseur, der sich nun die Cutter Skills selbst angeeignet hat, an dem Projekt und versuchen, es fertig zu stellen! Ich bin so froh, dass das Projekt nun doch noch fertig gestellt wird, es dauert aber leider noch immer ein bisschen und ich kann noch kein Veröffentlichungsdatum abschätzen.
In den sozialen Medien bezeichnest Du Dich als „cats lover“. Du spielst auch häufiger Tierwesen in Deinen Rollen. Hast du selbst Haustiere?
Ja richtig, ich liebe Katzen über alles! Ich liebe es auch, selbst in tierische Rollen zu schlüpfen, egal, ob als Katze, Hase, Hyäne, Ratte, Fledermaus, Hund, Spinne und vieles mehr, das macht mir großen Spaß! Hier kann ich viel ausprobieren (Masken, Make Up, andere Körperhaltungen, tiertypische Geräusche uvm.), ohne dabei aber zu sehr in eine zu überspitzte, lächerliche Darstellung abzurutschen, wie man es z.B. vom Karneval kennt; ein „Miau!“ oder „Wau, wau“ wird man von mir nicht hören ?!
Leider sind in dem Haus, das mein Mann und ich derzeit angemietet haben, keine Haustiere erlaubt… da fehlt mir echt was… aber das wird sich mit dem nächsten Umzug in die eigenen vier Wände hoffentlich wieder ändern. Aber auch dann erst, wenn es mit meinen ganzen Projekten etwas ruhiger geworden ist, denn so ein Gefährte (ich mag das Wort Haustier nicht so gerne) ist eine große Verantwortung, der ich dann vollumfänglich nachkommen will!
Vielen lieben Dank, Mia, dass du dich meinen Fragen gestellt hast! Wir freuen uns auf weitere spannende düstere Projekte von Dir.
Ich sag Danke für das tolle Interview! Ich bleibe dran, vielen Dank an alle, die mich auf meiner düsteren Kunstreise begleiten und dabei unterstützen!
Fotos:
Thomas Kilian (Soulcatcher Photography)
Mark Wehrmann
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