Konzertbericht: Boysetsfire – Thirty and Counting Tour 2024 – Wiesbaden, Schlachthof

Es war Samstagabend und wir machten uns auf den Weg, um das 30-jährige Jubiläum einer der Legenden des Hardcore-Genres zu feiern – Boysetsfire. Lange Schlangen tummelten sich vor dem Schlachthof und so freuten wir uns auf einen Abend mit vielen Erinnerungen oder schönen neuen Momenten.

Michael Rudolph Cummings

Ein Mann, eine Gitarre – und er durfte als erster auf die Bühne. Seine Aufgabe: die Menge einheizen. Viele Zuschauer waren schon vor der Bühne, um dem Singer und Songwriter zu lauschen. Michael Rudolph Cummings ist der Sänger und Gitarrist der Band Backwoods Payback. Er verfügt über eine rauchige Stimme, die tief und voll klingt. Mit ihr verleiht er seiner Musik Wärme und Ausdruck.

Der Sänger forderte das Publikum nicht zu großen Aktivitäten auf, sodass es sich um einen entspannten, aber auch beeindruckenden Start in den Abend handelte. Er zog uns alle mit seiner Performance in seinen Bann und wir lauschten andächtig seiner Musik und seinen Geschichten. Michael Rudolph Cummings bedankte sich bei Boysetsfire, dass er mit ihnen auf diese 30-Jahre-Jubiläums-Tour gehen durfte und fragte, wer von uns denn schon dreißig Jahre in einem Unternehmen sei. Am Ende seiner Aufführung holte er alles aus dem Verstärker heraus und neben E-Gitarren-Passagen kamen auch sanfte Akustik-Gitarrenklänge aus den Boxen. Die Show war fantastisch und leider viel zu schnell vorbei. Sie zeigt, dass es nicht immer viel mehr braucht als gutes Licht, eine beeindruckende Stimme und eine gute Performance.

Leider kann ich euch die Setlist nicht zur Verfügung stellen, denn der Sänger meinte, dass sich hinter der Bühne ein Spaß daraus gemacht wird, dass er nur 1 % der Setlisten auch immer so spielen würde, wie er es notierte. Es hat doch echt etwas für sich, allein auf der Bühne zu stehen.

In der kurzen Umbaupause konnte man sich etwas zu Trinken holen und mit den Fotografen kurz zu reden. Dann ging es mit der zweiten Band weiter.

Strike anywhere

Nach einem kurzen Intro betrat die Band die Bühne und die Hardcore-Party begann. Klassischer Hardcore mit Punk-Anleihen und Skatervibes, der mich in die frühen 90er Jahre zurückversetzte. Etwas ungewohnt, denn heutzutage höre ich nur noch selten den Sound, der weniger abgemischt und wirklich handgemacht ist.

Die Energie auf der Bühne war phänomenal und so gab es neben dem einen oder anderen Scream auch peitschenden Gesang, antreibende Drums und dazu passende Gitarren und Bass. Der Bassist und die Gitarristen wirbelten über die Bühne oder sangen die Backing Vocals. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die Band vorher Gummibärchensaft getrunken hatte, so wie sie auf der Bühne herumgehüpft sind – das waren bestimmt fast ein Meter aus dem Stand!

Es dauerte auch nicht lange und der eingängige Sound sprang auf die Hardcore-Fans über. In der Mitte bildete sich ein kleiner Kreis, in dem gepogt, getanzt, mitgesungen und auch schon das Crowdsurfen geübt wurde. Auch wenn ich als nicht eingefleischter Fan der Band nicht wirklich unterscheiden konnte, wann ein Lied endete und das nächste begann. Die Halle und die Luft kochten von Song zu Song mehr. Und was will man mehr von einer Band, die für den Headliner einheizt?

Das letzte Lied sang Sänger Thomas dann im Fotograben direkt an der ersten Reihe und ich hatte nicht nur einmal das Gefühl, dass er am liebsten stagediven würde. Noch in den Song vertieft, brach er plötzlich ab, ging direkt an mir vorbei und gab dem kleinen Jungen neben mir ein High Five, um anschließend aus der Halle zu gehen. Der Junge durfte kurz darauf ein Plektrum der Band sein Eigen nennen.

Nun gab es wieder eine Umbaupause und vor allem frische Luft, denn die Luft knisterte schon. Was die Zuschauer aber nicht daran hinderte, geduldig auf den Start der Band zu warten.

Boysetfire

Es wurde dunkel im Saal, die Bühne war in Blautöne getaucht. Eine Männerstimme eröffnete die Show mit einem Prolog. Es war die Rede davon, dass wir alle Menschen sind und dass es die Künstler sind, die die Menschen am besten verstehen. Mit einem Loblied auf die Dichter (Künstler) wurde die Rede beendet und die Band setzte ein.

Mit After the Eulogy wurde die Show eröffnet. Die ersten Töne erklangen und die Menge tobte, ein großer Pogo-Ring in der Mitte und textsichere Fanchöre formierten sich. Nat Grey brauchte nur eine Geste zu machen, die Finger in die Luft zu heben, und die Menge hüpfte begeistert mit der Band. After the Eulogy heizte die Stimmung gut an und zu den dröhnenden Schlagzeug- und Gitarrenklängen machen sich die ersten Crowdsurfer auf den Weg. Wenn die perfekte Wellen ähm Songs kommen, sollte man sie auch mitnehmen.

Diese Welle an Energie schwappte von der Bühne auf uns über. Wenn man nicht gerade von einem übermotivierten Fan zur Seite geschubst wurde, machte es Spaß, diesem Spektakel zuzusehen. Vier Dinge konnte man während des gesamten Konzertes beobachten: textsichere Fans, viele Besucher in den ersten Reihen in ihrer eigenen Welt, durchgehendes Pogen, Crowdsurfen, Tanzen und die Dankbarkeit sowie die Energie der Band. Immer wieder nahmen Gitarrist Chad Istvan und Bassist Robert Eberhardt die Bühne für sich ein, standen mal für ein Solo auf der Lautsprecherbox, um die Menge noch mehr anzuheizen, spielen zusammen oder unterstützten mit Backing Vocals.

Bei Requiem wurde der Refrain hauptsächlich von den Fans getragen, die Hände in die Luft gestreckt und in blaue Farbe getaucht wurde jedes Wort mitgesungen. Nat Gray nutzte die ruhigen Momente des Liedes und setzte sich auf die Lautsprecherbox. Ich fand, dass sie durch diese Positionswechsel, die sie im Laufe der Show immer wieder vornahm, noch mehr Nähe zum Publikum aufbaute.

Vor My Life in the knife trade machte sie eine Ansage. Die Band sei sehr dankbar für die 30 Jahre, die sie im Geschäft sind, und für die Zeit, die wir mit ihnen bei diesem Konzert verbrachten. Es bedeutete ihr sehr viel, dass wir die für uns begrenzte Zeit mit ihr und ihren Bandkollegen verbringen wollten.

Die Sängerin begann mit den ersten Zeilen von My life in the knife trade und die Fans sangen lautstark mit, schlossen die Augen und wie gesagt, jeder war in seiner Welt. Auch wenn man die Lieder nicht 100%ig textsicher mitsingen konnte, wurde einem während der Show bewusst, welche Tiefe in den Texten steckt und dass es nicht umsonst heißt, dass Lieder einem durch die eine oder andere Krise helfen können. Dieses Lied war wirklich ein Fanliebling, denn nicht nur in der Mitte wurde zu diesem Lied getanzt, sondern wenn man sich umschaute, in der ganzen Halle.

Die Songauswahl war gut getroffen und so wurde zwischen Post-Hardcorekrachern immer wieder mal Lieder eingestreut, welche eher in das Emocore gehörten, sodass man nie zu viel von einem Genre hatte. Gesanglich war Nat Gray voll auf der Höhe und neben sehr gefühlvollem Klargesang wurde auch gescreamt und den Emotionen freien Lauf gelassen.

Prey begann nicht mit Nat Gray, sondern mit Chad Istvan. Bisher war er mir eher als Backing Vocalist und Gitarrist aufgefallen. Der Song entwickelte sich zu einem mehr oder weniger Duett zwischen ihm und der Sängerin Nat und wurde auf Wunsch der Fans akustisch und mehrstimmig verlängert. Ich bin dankbar, dass ich diesen Moment miterleben durfte, denn Nat Gray wird die Band nach dieser Tournee verlassen.

Nach lautstarken Zugaberufen wurde die Band nach der Hauptshow noch mal auf die Bühne geholt und sie spielten uns drei Zugabelieder.

Vor dem letzten Lied wurde es noch einmal emotional:

Sängerin Nat Gray bedankte sich persönlich bei allen, die sie auf ihrem Weg begleitet haben. Sie sei angekommen und das bedeute ihr alles. Sie gehe davon aus, dass jeder eine Zeit habe, in der er sich verloren fühle. Nat dankte ihrer Familie und allen, die sie in dieser Zeit, in der sie sich verloren fühlte, unterstützt haben. Sie gab uns noch eine Botschaft mit auf den Weg: „Du bist nicht allein, die Musik ist immer bei dir. Wir alle waren an einem Punkt in unserem Leben, an dem wir nicht wussten, wie es weitergehen soll, aber dann hörten wir diese eine Textzeile, dieses eine Lied und wir wussten, es geht weiter. Das ist der Grund, die Magie, warum wir heute hier sind. Die Magie der Musik und ihre Kraft“. Mit den Worten von Chad Istvan „Auf geht’s!“ wird das letzte Lied angestimmt.

Melancholisch, glücklich und verschwitzt strömen wir aus dem Saal. Und um die Worte von Nat Gray aufzugreifen, es war ein wirklich besonderer und magischer Abend.

Nat Gray wird uns also ab jetzt mit The Iron Roses beglücken und hoffen wir darauf, dass auch Boysetfire eine/n würdige/n Nachfolger/in finden.

Setlist:

After the Eulogy // Cavity // Release the dogs // Requiem // Deja Coup // In Hope // Vehicle // Cutting Room Floor // My Life in the knife trade // Bled dry // Foundatations to burn // Prey // Eviction Article // Closure Pure // Empire // Walk Astray // One Match // Rookie

Bericht: Andrea
Bilder: Eric

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