Meinungsbeitrag: Künstliche Intelligenz: Fluch oder Segen für die Metal-Szene?

„Schöne neue Heavy Metal Welt?“ ist eine Kolumne unseres Autors Josef. Es handelt sich hierbei um einen persönlichen Meinungsbeitrag, der unabhängig von den Standpunkten der leitenden Redaktion agiert.

Völlig fertig und abgeschlagen kommst du nach Hause. Der Tag war einfach nur Scheiße (deine dir unterstellte Sekretärin ist ungewollt schwanger, deine hässliche Schwiegermutter hat sich für einen Zwei-Wochen-Besuch angekündigt oder deine WG-Mitbewohner haben dir den Kühlschrank leergefressen, such dir deine passende Katastrophe aus). Du hast einfach keine Lust mehr irgendetwas anzufangen und willst einfach nur abschalten. Dabei geht dein Griff zum Handy (für Generation Z, damit ist das Smartphone gemeint). Schnell und routiniert tippst du mit deinen Wurstfingern auf deine Streaming-App und fütterst diese mit diversen Schlagwörtern. Eingängig soll das ganze klingen, ohne großes Bling Bling im Soundbild. Textlich hast du Bock auf eine Mischung aus dystopischer Romantik und brutalen Krieg. Also hämmerst du in dein Smartphone Begriffe wie „catchy power metal“, „dystopian war lyrics“ sowie „simple chorus“ ein. Danach fragt dein Gerät, welche Gesangstimme es den bitte sein soll. Zwischen „randomly generated voice“ und einer Liste von Stimmen, die von Elize Ryd bis zu Tom Angelripper reicht, entscheidest du dich diesmal für Simone Simons, weil der Name dich gerade im Moment so schön angelacht hat. Nachdem du noch schnell die Spiellänge und die Anzahl der Songs eingestellt hast, spuckt dir deine Streaming-App ein Album Cover aus. Wenige Sekunden danach ertönt schon das erste Lied aus deinen Boxen.

The sand is scorching on the ground
We live in fear of every sound
We know they’re coming in our town…

Du drehst die Lautstärke lauter und kannst nun endlich dein Gehirn abschalten, durchatmen und für eine kleine Weile deine Probleme vergessen.

Ich weiß, ich bin etwas spät, um auf den Hype Train „Künstliche Intelligenz“ aufzuspringen. Viele YouTuber, Nachrichtenportale oder auch Social Media Creator haben sich schon ordentlich an diesem Thema abgearbeitet und dabei viele Dinge gründlich beleuchtet. Trotzdem möchte ich gerne das Thema aufgreifen und mich mit der Frage beschäftigen, ob die künstliche Intelligenz ein Fluch oder Segen für die Metal-Szene ist.

Bevor ich auf diese Frage versuche eine Antwort zu finden, gehen wir erstmal kurz auf mein Szenario ein, was ich oben erläutert habe. Vieles davon ist heute schon umsetzbar und dabei kinderleicht zu bedienen. Das Album-Cover, der Bandname sowie die kurze Lyrics-Passage wurden von mir via KI erzeugt. Dabei hab ich nur Bing Chat gefragt, ob er mir ein paar Bandnamen vorschlagen kann sowie einen Songtext mit der Thematik Krieg und Wüste ausspucken könnte. Wenige Sekunden später gab es ein paar Vorschläge und ich musste mir nur etwas heraussuchen, was mir zusagt. Beim Album-Cover dasselbe Spiel. Mit dem Satz: „Desert landscape with a wrecked car and a nuclear explosion in the background“ wurde mir eine Minute später mein Cover erstellt. Nur noch den Namen auf das Bild geklatscht und fertig war meine klischeehafte Band und ihr Debütalbum. Auch der Einsatz von digital erstellten Stimmen, die sich als Vorlage echte Künstler zu Brust nehmen, kann man im Internet schon häufig beobachten. Es gibt sogar schon mit der Band Frostbite eine Metal-Gruppe, die extrem viel anhand der magischen Rechenleistung der Computer auf die Beine gestellt hat und ihre musikalischen KI-Werke im Internet darbietet. Zusammengefasst lässt sich sagen, die ganzen Werkzeuge sind vorhanden. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese gebündelt mit passendem Interface vorliegen und dann massenhaft zum Einsatz kommen. Aber was bringt uns das? Erstmal klingt es sehr verlockend, dass man bald jederzeit, überall und so oft man will genau seine Mischung bekommen kann, auf die man gerade Bock hat. Dabei entsteht auch eine große Zeitersparnis. Statt sich durch irgendwelche Playlisten zu wühlen, um dort an neue passende Künstler ran zukommen, hat man sofort seine persönliche Musterlösung am Start.

Doch welche Probleme bringt so eine Entwicklung mit sich? Ich behaupte mal ganz dreist, dass unsere Musikrichtung Heavy Metal (und seine ganzen Spielarten) mehr in Richtung Wegwerfprodukt gepresst wird. Für mich war das Hören eines Songs immer verbunden mit einer Art von „Verstehen“ und „Fühlen“. Dies geschieht entweder bewusst oder unbewusst im Hinterstübchen beim Konsumieren eines Liedes. Was möchte mir der Künstler eigentlich mit dem Song sagen, welche Gefühle will er in mir wecken, was soll das Gitarrensolo genau an dieser Stelle usw. sind dabei die Fragen, die sich dabei im Hirn breit machen. Dieses „Fühlen“ und „Verstehen“ bewirkt dann kombiniert mit dem mehrmaligen Hören eine engere Verbindung mit dem Kunstwerk und lässt dann einen zum Beispiel auf etwas im Album freudig entgegenfiebern, weil es aufgrund des durchlaufenden Lernprozesses dir nun die volle Freude schenken kann. Das fällt mit der Musik aus der digitalen Tube deutlich flacher aus. Es gibt nichts zu verstehen auf der emotionalen Ebene, weil kein Mensch mit Gefühlen oder Gedanken am Werk gesessen hat, sondern nur ein Programm, das sich stur an seine Code-Reihenfolge hält. Die Wertschätzungskurve sinkt durch diese KI-Musik dramatisch. Das ganze eben genannte „Drumherum“, das benötigt wird, bis man das Werk in all seinen Ebenen vollständig liebgewonnen hat, wird dann aus Bequemlichkeit übersprungen. Statt diesen ganzen Ritt aus mehrfachen Hören, einprägen, verstehen und gewöhnen mitzumachen, bevor man das Lied oder Album voll und ganz wertschätzen kann, nimmt man gerne eine Abkürzung. Dank der KI kann ja einfach schnell was Neues erschaffen werden, was vielleicht sofort und ohne Umwege direkt einen den ersehnten Hörorgasmus verpasst. Ein weiterer negativer Punkt ist, dass mit der Zersplitterung durch Millionen an Solo-Musikmacher (also alle mit der Macht der KI) auch unser Austausch innerhalb der Metal-Szene stark aufgrund von Themenverengung leidet.

Unsere Fan-Kultur braucht Berührungspunkte und Anlaufstellen, über die sie sprechen und sich austauschen kann. Diese werden oft von Big-Playern/großen Bands gesetzt, die ein Genre besonders dominieren oder geprägt haben. Themen wie „Welches Album ist das Beste der Bandgeschichte“, „Welcher Song knallt live on Stage besonders gut“ oder „Welches der Bandmitglieder ist am sympathischsten“ bringen dabei feinste Unterhaltung mit sich und lassen uns als Gruppe zusammen wachsen. Es verleitet uns außerdem auch dazu, die Musik noch mehr wertzuschätzen aufgrund der Tatsache, dass man erst Zeit investieren muss, bevor eine Antwort auf solche Fragen gefunden werden kann. Um solche Gespräche führen zu können, braucht es aber Bands, die bekannt sind. Wenn aber nun jeder sein eigener Musikmacher ist und es keine klassische Band als solches mehr gibt, fällt diese Unterhaltung weg. Es wird einfach viel zu unübersichtlich und es bleibt nur noch übrig über die Musikgenres (Symphonic Metal, Power Metal etc.) zu reden statt über die Band und deren Genres-Interpretation. Was man in diesen Zusammenhang auch sagen muss, ist, dass mit dem Einzug den digitalen Endgeräten auch eine Art von emotionaler Kälte durch die, normalerweise nach Schweiß stinkenden Konzerthallen gepeitscht werden wird. Eine Band besteht ja bekanntlich aus Leuten, die sich vorher Gedanken gemacht haben, was sie uns Zuschauern präsentieren wollen. Um etwas präsentieren zu können, muss man Hirnschmalz und Talent haben. Eine Gitarre bedienen, ein Schlagzeug zu trommeln oder seine Stimme ertönen zu lassen, ohne dass die Katze vor Schreck vom Hund schwanger wird, erfordert Fähigkeiten, die nicht jeder Mensch besitzt. Das alles bekommst du dann bei einem live Konzert als Augenblickaufnahme auf die Ohren gehauen. Diese ganze Arbeit, die vorher erdachte Kreativität und die auf der Bühne versammelten Band-Power geben uns den emotionalen Kick, den wir schlussendlich lieben. Wieso ist das so? Weil wir wissen, sowas auf die Beine zu stellen kann halt nicht jeder. Der Moment ist nicht 1 zu 1 wiederholbar, sondern bleibt für immer etwas Besonderes. Wie sieht es dagegen beim Musik-Generator aus? Nun ja, deutlich weniger emotional. Tipp deine Sachen ein, den Rest macht das Programm dann für dich. Womöglich flackern dann ein paar Hologramme auf der Bühne, die dann so tun, als ob sie eine Gruppe wären. Wer möchte, kann auf speichern drücken und dasselbe Konzert beliebig oft wiederholen. Sowas raubt die ganze Magie eines Konzertes vollständig.

Fazit:
Heißt das nun, dass wir die KI verfluchen sollten und diese mit gespitzten Stöcken oder, wer Power Metal Fan ist, Schwertern verjagen sollten? Ich sage ganz klar nein. Künstliche Intelligenz wird, da bin ich mir sicher, unsere Szene deutlich aufmischen und bestimmt innerhalb unserer Welt weitere Untergruppen aufleben lassen. Sowas wie Konzerte, bei denen nur das Genre vorgegeben ist und der Rest einfach passend zu aktuellen Stimmung erstellt wird, kann ich hierbei mir sehr gut vorstellen. Ich vermute auch, die musikalischen Ergüsse, die aus der Hand des Computers stammen, mehr die Leute ansprechen wird, die zwar Metal-Musik hören, aber wenig bis gar keine Berührungspunkte mit der Metal-Szene haben. Für diese Personengruppe wird wohl diese Knopfdruck-Musik aufgrund seiner oben genannten Vorteile eine gute Wahl werden und vermutlich häufiger genutzt werden als von Szene-Kennern und Liebhabern.
Außerdem muss man bei der ganzen Diskussion folgendes bedenken: Gerade bei Studioalben wird doch schon kräftig mit Rechenleistung nachgeholfen. Der Sänger hat nicht alle Töne getroffen? Kein Problem, bügelt der Rechner glatt, sodass sich alles perfekt anhört. Wir brauchen noch krasse Lasersounds im Titel-Track? Macht die Soundbox in Handumdrehen. Ich brauche noch ein Instrument im Song, aber habe es leider nicht in Griffreichweite? Kein Problem, lässt sich ja programmieren und später per Mausklick in das Lied einbauen.
Wir sehen, richtig eingesetzt kann unserer neuer Freund die KI das Leben leichter machen und auch die Kreativität fördern. Somit ist mein Fazit zum Einsatz der computergenerierter Musik schlicht und einfach folgendes: Sie hat, wenn man es übertreibt, ihre negativen Schattenseiten, aber als Unterstützung kann sie neue Impulse in unsere Szene bringen. 

Was ist deine Meinung dazu? Wird die KI unsere Musikszene nachhaltig positiv oder negativ verändern oder bist du der Meinung, das macht gar keinen Unterschied? Ich bin gespannt und nehme gerne eure Kommentare entgegen.

 

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