Review: Fjoergyn – Judasmesse

Release: 02.06.2023

Genre: Avantgarde-Metal, Symphonic Black Metal

Spieldauer: 59:30

Label: Trollzorn Records

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Tracklist:

  1. Sturz
  2. Kain
  3. Komm Abel lass uns aufs Feld gehen
  4. Prometheus I – Briefe eines sterbenden Kosmos
  5. Prometheus II – Uranos Zorn
  6. Prometheus III – Plagen
  7. Vater(s)land
  8. Non Verviam
  9. Warfarin

Die Band Fjoergyn feiert in diesem Jahr 20 Jahre Bandbestehen und passend dazu veröffentlichen sie ihr sechstes Album. Seit sechs Jahren warten Fans auf eine neue Veröffentlichung und ihre Gebete wurden erhört. Judasmesse heißt das Album und die ersten Geburtswehen wurden auf dem Ragnarök Festival 2023 präsentiert. Fjoergyn durften auf diesen Festival als allererste Band auftreten und kurz vor dem Ende des Auftritts präsentierten sie ein erstes Lied vom neuen Album. Lange mussten wir nicht auf weitere Neuigkeiten warten! Am 12. Mai wurde die Single Kain auf Spotify veröffentlicht und beinhaltet die Lied Kain und Prometheus III. Weniger als zwei Monate später wurde endlich Judasmesse veröffentlich und Dark-Art präsentiert euch dieses Review dazu.

Vorab, die Struktur des Albums und der einzelnen Lieder erinnerte mich wenig an viele moderne Veröffentlichungen, mit denen wir in den verschiedenen Genres regelrecht überschwemmt werden. Viel eher fühlte es sich wie eine Sammlung von Liedern eines Opernstückes an. Dies liegt an unterschiedlichen Gesangseinlagen (welche teilweise zu einem Monolog mit den Sänger selbst führen), den unterschiedlichen Strukturen der Lieder und den unterschiedlichen Instrumente, welche vereinzelt in den Liedern eingefügt werden. Ich weiß, dass Vergleiche zwischen Künstlern und Alben schwierig sind und von Musikern und Fans ungern gesehen werden, aber hier kann ich es mir nicht verkneifen. Das Album Judasmesse erinnert mich an die Musik von Samsas Traum, besonders das Album Heiliges Herz. Dieses Album sticht aus der Diskographie von Alexander Kaschte, dem Mastermind hinter Samsas Traum, hervor, weil das Album eine eigene, avantgardistische, melodische Interpretation von Black Metal sein möchte. Judasmesse arbeitet wiederholt mit Elementen des Black Metal, besonders in den letzten drei Liedern, und kombiniert mit anderen Elementen. Wer aktiv nach Black Metal sucht, wird hier wenig fündig und könnte frustriert werden. Aber wer einen interessanten Genre-Mix sucht, der findet musikalisch einen besonderen Leckerbissen. So ein Album werdet ihr nur selten in den jährlichen Neuerscheinungen finden. Also schauen wir uns diese besondere Oper etwas genauer an.

Ich werde die Lieder in Akte unterteilen, um dem Charakter einer Oper oder eines Musicals einzufangen, und weil sich das Album dafür gut anbietet. Also auf zum ersten Akt, der Geschichte zweier Brüder. Der erste Akt beschreibt den Fall der Menschheit bei ihrem ersten Urahnen, welche außerhalb des Paradieses geboren wurden, und zwar Kain und Abel. Den Auftakt dazu macht der Titel Sturz, welcher in einer hektischen und verzerrten Stimmung einen Eindruck vom Verlust der Erlösung vermittelt. Die elektronischen, verzerrten Sounds am Anfang und die krächzende Stimme von Stephan L. bildet einen Kontrast zur Ruhe und den choralen, hohen Gesangseinlagen. Danach werden unsere beiden Protagonisten vorgestellt: Kain und Abel. Dem Bruder mit mörderischen Tendenzen wird ein eigenes Lied gewidmet. Dieses Lied durften wir vorab in der gleichnamigen Single bewundern. Dieses Lied ist auch der erste starke Track auf dem Album. Wechselnde Gesangsarten und Tonhöhen führen einen musikalischen Disput eines zerrissenen Kains. Durchbrochen von Keyboards und einem fast paukenartigen Drumset wird hier musikalisch ein großes Stück konzentriert. Mit aber 6:38 Minuten ist dieser Disput eine Wucht und man benötigt eine gewisse Ruhe und Zeit, um das Lied in seinem gesamten Aufbau zu begreifen. Abschluss vom ersten Akt macht Komm Abel lass uns aufs Feld gehen, die sanfte Einladung eines Bruders mit bösartigen Plänen. Hier findet sich eine erste Pause und das Album fährt bereits im dritten Track runter. Das Saxofon ist eine tolle Idee, aber die Pause hätte ich gern später gehört, denn wirklich aufgeheizt war ich noch nicht.

Der zweite Akt, die Prometheus Trilogie. Allein mit den Namen der Lieder lädt Fjoergyn mich ein, ihre Lieder in Pakete zu verschnüren.

Das erste Lied, Prometheus I – Briefe eines sterbenden Kosmos, nimmt sich erstaunlich viel Zeit für einen weitschweifenden Anlauf, bevor der Gesang einsetzt. Hier klagt Prometheus die Welt und ihre Fehler an, nur um sanfter, resignierter einen Monolog mit sich selbst zu beginnen. Neben Kain ein weiterer Anspieltipp, da hier die Gesangsvariationen wahnsinnig hoch ist. Eine Stärke Stephans, welche schon in früheren Alben heraussticht und Fjoergyn als Projekt aus dem Meer aus Bands hervorstechen lässt. In Prometheus II – Uranos Zorn und Prometheus III – Plagen endet dieses Kontrastspiel nicht, aber stumpft in seiner Vielschichtigkeit ab. Das musikalische Rückgrat der Lieder ist der Black Metal, wird aber gelegentlich durch höhere Klänge durchbrochen und so das Gesamtwerk aufgelockert. Als Beispiel bietet sich Prometheus III – Plagen an. In Plagen wird die schwarze Klangwand dazu immer drückender und tiefer. Hier findet sich der Tiefpunkt unserer Oper, aber sehe ich da Sterne, ich meine Rock´n´Roll Elemente, am Firmament? Die Bandbreite an musikalischen Genres, an den sich Fjoergyn, bedient, wird breiter und breiter. Trotzdem endet der zweite Akt mit einem schweren, schwarzen Vorhang.

Auf zum dritten und letzten Akt. Das erste Lied, Vater(s)land, ist für Fans nicht neu. Im März 2022 veröffentlichte die Band dieses Lied bereits bei Bandcamp. Das Lied erinnert in seiner Struktur an eine Anrufung und Anklage an das jeweilige Ursprungsland als Grund für aggressive Handlungen und/oder eine verlangte Opferbereitschaft. Die größte Stärke des Liedes ist dabei der Refrain und der merkbare Meinungswechsel. Mit Hilfe von zwei unterschiedlichen Gesangsarten führt der Sänger einen Dialog, welche von der Anklage hin zu einer hoffnungsvollen Betrachtung gleitet und das in fünf Minuten. Das ruhige Ende von Vater(s)land wird von Non Serviam aufgegriffen und noch tiefer geführt. Mit Grabesstimme beginnt eine musikalische Selbstgeißelung und entwickelt sich zu dem wohl düstersten Stück bisher. Mit Warfarin finden wir das orchestrale Ende des Albums und mit über neun Minuten auch den längsten Track. Ein schweres Stück, welches ohne Refrain auskommt und melodisch nicht mehr aus dem bodenlosen Abgrund kommen will. Nur rundet Warfarin das Album nicht ab, sondern lässt den Hörer einfach allein.

Zusammengefasst ist das Album ein schweres Stück Musik, welches aber viel zu entdecken bietet und den Hörer auch gleichzeitig erschlagen kann. Wäre es eine Oper, es wäre eindeutig ein kleines Geschwisterchen von Wagner. 

Viele der Lieder sind sehr lange und benötigen viel Zeit um sich aufzubauen und zu entfalten. Im Black Metal ist dies nicht ungewöhnlich und genauso verhält es sich mit Judasmesse. Dem Zuhörer wird viel Aufmerksamkeit, Konzentration und Geduld abverlangt, aber dies wird belohnt. Pauken, Trompete, Saxofon und verzerrte Gesangseinlagen verstecken sich in den unterschiedlichen Liedern, was den einzelnen Stücken wirklich einen einzigartigen Charakter verleihen, aber schnell überfordern kann. Und diese überladene Sammlung an Elementen ist auch die zweite Schwäche an dem Album. Es wirkt, als wollte die Band so viel auf eine einzelne Scheibe pressen, ohne sich vorher zu einigen. Alles wird in den Topf geworfen und kräftig verrührt, nur leider entstehen nicht immer so gute Gerichte. Ich könnte nach mehrfachem Hören nicht den Kern der Musik benennen. Das finde ich sehr schade, denn an sich ist die Musik für sich allein grandios. Trotzdem ist es kein abzulehnendes Chaos, sondern immer noch ein gutes Album. Hört ruhig rein.

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