Review: The Hu – The Gereg

Review: The Hu – The Gereg

Veröffentlichungsdatum: 13. September 2019
Label: Eleven Seven
Genre: Folk Metal, Heavy Metal
Spieldauer: 47 Minuten 42 Sekunden
Tracklist:
  1. The Gereg
  2. Wolf Totem
  3. The Great Chinggis Khaan
  4. The Legend of Mother Swan
  5. Shoog Shoog
  6. The Same
  7. Yuve Yuve Yu
  8. Shireg Shireg
  9. Forevermore

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Sie kamen wie aus dem Nichts, erschienen plötzlich aus der Steppe, eroberten, worauf ihr Blick nur fiel…

Ja, Pointe erraten, es geht um The Hu. Die beiden Musikvideos der Sensation aus der zentralasiatischen Steppe haben in den letzten anderthalb Jahren fast 75 Millionen Klicks auf Youtube gesammelt, sie sind wohl lange kein Geheimtipp mehr. Im September 2019 legten sie ihr erstes Album nach, das hier besprochen werden soll, zusammen mit der – meiner Meinung nach interessanteren – Frage: „Wo zur Hölle kam das denn bitte her?“

TL;DR zum Album: Es löst ohne Schwachpunkte das ein, was die ersten Songs versprochen haben.

The Hu werden als mongolischer Folk Metal gehandelt. Aber, auch wenn’s kein mongolischer Folk Techno ist (das gibt’s, und es ist überraschend gut), sind Hu eher Folk, der für Metalfans aufbereitet wurde. Weit war der Schritt nicht: traditionelle mongolische Musik zeichnet sich aus durch sehr rhythmische Melodien und kratzigen Kehlkopfgesang. Mit einem Schlagzeug und einer etwas bassigen Produktion sollte alles getan sein, um den Metaller zufrieden zu stellen, oder?

Das ist in etwa das Rezept von The Hu: Die bekannten Merkmale mongolischer Musik – die Pferdekopfgeige Morin Chuur, Maultrommel, die gitarrenartige Tovshuur und Kehlkopfgesang – werden auf eine Art aufbereitet, die Fans westlicher Rockmusik entspricht, ohne dabei allzu offensichtlich zu sein. Das Ergebnis klingt fremd, aber nicht befremdlich, es trifft die goldene Mitte zwischen neu und vertraut, und der Erfolg spricht für sich.

Der erste Song The Gereg ist Opener, Namensgeber und Mission Statement des Albums in einem. Tovshuur und Maultrommel bilden ein erwartungsvolles Intro, quasi den fernen Hufschlag bevor der Rest des Albums hinter den Hügeln hervorkommt. Zuerst erscheinen Schlagzeug und Backgroundgesang, als Späher und Vorboten vor dem Kern der Reiter, dem Wechselspiel von Leadgesang und Morin Chuur. Der gesamte Song hat einen ruhigen, aber doch nachdrücklichen Groove, treibend aber alles andere als hektisch. Er galoppiert nicht, aber er trabt zielsicher. Zum Solo wird der Song erhabener und größer, als wäre das der Moment, wo die ganze Größe der mongolischen Horde offenbart würde. Mit einem doppelten Refrain wird alles bündig zu einem Ende geführt. Der Song ist ein erstes Beispiel für eine der subtilen Stärken des Songwritings auf dem Album: All die Klänge, die einem Europäer nicht zwingend vertraut sind, werden als Intro – Strophe – Refrain – Strophe – Refrain – Solo – Doppelrefrain strukturiert. Perfekt gemäß dem, was wir zu hören gewohnt sind, von Pop bis Death Metal. Die Musik kommt uns quasi auf halbem Weg entgegen. Mit Blick auf den Text (danke, lyricstranslate.com) scheint das auch genau das Ziel: Der Reiter mit dem Gereg kommt mit einer wichtigen Botschaft, dem Wort von Dschingis Khan, er ist der Botschafter der Mongolen. Ein Gereg war ein Amtszeichen mongolischer Amtsleute und Boten. The Hu tragen die Botschaft der Khans wieder in die Welt hinaus, und die Welt wird willig zuhören.

Der zweite Song, The Wolf Totem, war eines der beiden viralen Videos, demnach sollte es unnötig sein, den schlichten doch souveränen Rhythmus, die stolzen Call-and-Response-Chöre, und natürlich das zum Mitgrölen anregende „Hu! Hu! Hu!“ groß zu beschreiben. Aber der Song zeigt eine weitere Stärke des makellosen Songwritings des Albums auf: der Song bleibt im Großen und Ganzen auf einer einzelnen Note und einem simplen Rhythmus. Er sollte eigentlich langweilig sein. Doch das Arrangement ist ständig im Wandel, es schwillt an und ebbt ab, Morin Chuurs, Background Vocals, Chöre und Gitarren tauchen auf und verschwinden wieder, währen ruhige, leere und volle, energetische Momente einander die Hand geben, es ist eine Studie in Arrangement und Produktion.

Demgegenüber ist The Great Chinggis Khaan melodischer und ruhiger. Der nur von Tovshuur begleitete Gesang wirkt intim und persönlich, als würde man Zeuge, wie ein alter, weiser Nomade in seiner Jurte die Legende von Dschingis Khan erzählt. Sobald dieser Name fällt, setzt die ganze Band ein, die Atmosphäre wird dichter und verschluckt nach dem zweiten „Dschingis Khan“ die beschauliche Anfangsszene. Die mystische Stimmung bleibt über den ganzen Song, entwickelt sich aber mit dramaturgischer Sicherheit von beschaulich und heimelig zu monumental, während triumphale Bilder der mongolischen Vergangenheit beschworen werden

Der Song „Shoog Shoog“ der wohl eingängigste des Albums. Das absteigende Riff hüpft leicht und vergnügt durch den Song und lädt ein, mit ihm mitzutanzen, und auch das skandierte „Shoog!“, dass auch den Kern des Refrains ausmacht, ist zum Mitgrölen ideal. Exakt in der Mitte des Albums wird man so, falls die Aufmerksamkeit nachzulassen droht, direkt wieder mitgerissen.

Die zweite Hälfte des Albums vollzieht sich in gleichbleibend hoher Qualität, wenn auch ohne große Überraschungen. The Same ist ein ruhiger, nachdenklicher Song, der, ähnlich The Great Chinggis Khaan klein anfängt und groß endet, ohne die Grundstimmung zu verlieren. Textlich behandelt er etwas, was The Hu auch in Interviews oft sagen: So verschieden wir auf der Oberfläche sind, so sind wir im Kern doch gleich. Zum einen eine simple, aber effektive Botschaft der Einigkeit, zum anderen eine gute Metapher für den Reiz von The Hu: das Gewand ist anders, der Kern ist gleich.

Recht spät im Album kommt der erste Eindruck, den The Hu auf die Welt gemacht hatten: Yuve Yuve Yu. Wenn man den ersten Eindruck wieder beschwören möchte: Eine Fiedel und etwas Gitarrenartiges, ein hüpfender Rhythmus, treibend und doch hart und mit Druck. Es ist fröhlich, leicht und im Kern trotzdem knallhart. Guten Irish Folk würde man ähnlich beschreiben. Das Album schlägt also wieder mit einer neuen Axt in eine alte Kerbe.

The Gereg präsentiert also mongolischen Folk auf eine Art, die westlichen (Folk-)Metal- und Rockfans perfekt entspricht und ihnen genau gibt, was sie erwarten würden, ohne ein offensichtliches Crossover zu sein. Die Produktion ist perfekt, das Songwriting und Arrangement bewunderungswürdig.

Die Musikvideos haben ein ähnliches Bild gezeigt: Die Bandmitglieder sind perfekt ausstaffiert, die Instrumente wunderschön, und viele Metalbands würden töten, ein so aufwändig produziertes Video haben zu können.

Die Frage ist nur:

Wo zur Hölle kam das denn bitte her?

The Hu kamen überraschend, aber nicht aus dem Nichts. Eine Gruppe Rocker, die in ihrer Garage jammten, bis der Durchbruch kam, sind sie auch nicht. Sie sind die Schöpfung des mongolischen Produzenten Dashka, der einige erfahrene Musiker um sich gesammelt hat, um in jahrelanger Vorbereitung dieses Projekt zu verwirklichen, das mongolische Musik in die Welt hinaustragen sollte. Ein internationales Publikum zu erreichen war das erklärte Ziel, laut Interviews waren sie höchstens ob des Ausmaßes ihres Erfolgs überrascht. Für diesen Erfolg wurden sie auch vom mongolischen Staat mit dem Orden des Dschingis Khan ausgezeichnet. Durchaus verdient, denn es ist ja die erste mongolische Band, die in der internationalen Popmusik ankam, und dann auch noch in diesem Ausmaß!

Traditionelle mongolische Musik gibt es zwar, sowohl pur als auch im Crossover, und wer suchet, der findet. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, zu dem die Mongolei gehörte, kam es zu einer Welle an Rückbesinnung auf mongolische Traditionen. Zwischen sowjetischer Zwangseinigkeit und chinesischem Einfluss wollte man wieder „mongolisch“ werden, mit Pferden, Dschingis Khan und allem Drum und Dran. Meine persönliche Lieblingskuriosität mongolischer Folklore sind die Folk-Rapper Zagasan Shireet Tamga. The Hu’s Texte spiegeln das auch wider, man schalte nur einmal beim Video zu Yuve Yuve Yu die Untertitel ein. Aber über Kuriositäten hinaus hörte man bisher sehr wenig aus der Mongolei. Wenn man mongolische Musik fand, konnte man sich eigentlich sicher sein, dass sie nicht aus der Mongolei kommt, sondern von jenseits der Grenze. Die letzte Band, die mit mongolischer Musik Wellen geschlagen hat, waren wohl Tengger Cavalry, aus China. Der Kehlkopfgesang nennt sich auf Englisch „tuvan throat singing“, nach der sibirischen Provinz Tuwa, und denselben Gesang hat China zu seinem immateriellen Kulturerbe erklären lassen. Aus der eigentlichen Mongolei hört man weniger. Verbindungen nach Moskau oder Peking scheinen der internationalen Verbreitung nicht zu schaden. Ich will nicht behaupten, das ethnische Mongolen aus Russland oder China und ihre Musik unauthentisch sind, sie wirken bloß etwas überrepräsentiert auf dem Weltmarkt. The Hu wirken da wie das bewusste und kalkulierte Gegenaufgebot der Mongolei, um nachziehen zu können. Man wusste wohl auch, welches Publikum man am besten ansprechen konnte, nicht Jazz, nicht Hip Hop, nicht Techno, sondern Folk Metal. Tengger Cavalry haben vorgemacht, dass es geht.

Alles in allem… The Hu sollen Botschafter aus der asiatischen Steppe sein, die die Mongolei wieder in die Welt hinaustragen. Das tun sie auf allen Ebenen. Die Welt schaut auf sie. Ist das der Beginn eines goldenen Zeitalters von weltweit bekannter mongolischer Musik?

Hoffentlich.

Es ist ziemlich cool.

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