Es steht ein mehrteiliger Thrashmetal-Abend im Berliner Kult-Club CASSIOPAIA an. Das Konzert wurde kurzentschlossen um 30 Minuten vorverlegt, sodass sich 18:30 Uhr bereits die Gittertore öffneten und 19 Uhr der erste Auftritt begann. Das Cassiopaia ist ein sehr gemütlicher kleiner „Schuppen“, der für Clubkonzerte und Partys aller Art auf dem RAW Gelände in Berlin Friedrichshain genutzt wird und laut Internetseite Platz für „728 Schildkröten“ bietet. Den Teil des Clubs, in dem heute das Konzert stattfinden soll, erreicht man über eine schmale Metalltreppe, die ins Obergeschoss führt, welche mit Bar, Garderobe und Merchständen der heutigen Künstler bestückt ist. Der Konzert-“Saal“ befindet sich eine Etage darunter und bietet gerade mal Platz für gefühlt 100 Personen. In einer kleinen Nische, links des Hauptraumes, gibt es noch eine weitere kleine Bar.
Die Bühne bietet nicht viel Platz für die Performance der Bands mit je mindestens vier bis fünf Mitgliedern und erhebt sich nur etwa kniehoch über den nackten Betonboden. Die an sich kahlen Wände sind mit schwarzen Tüchern verhangen und an der Rückwand der Bühne stapeln sich quasi die Backdrops der heutigen Bands, je nach Bekanntheitsgrad größer werdend und nur halb verdeckt durch die Schriftzüge der Supportgruppen.
Den Anfang machen die Australier Mason, die mit einem Gründungsdatum von 2009 und 2 Alben im Gepäck, Warhead 2013 und Impervius 2017, die „jüngste“ Band des Abends waren. Ihr Backdrop zeigte den Bandnamen weiß auf schwarzem Grund.
Zum Start um 19 Uhr waren gerade mal 30 Leute anwesend, als das Akustik-Intro durch die Boxen schallte, das Flutlicht erlosch und die Melbourner zu roter Bühnenbeleuchtung die Stage betraten. Mason legte sich für eine halbe Stunde Spielzeit offenbar extra ins Zeug. Die Gitarrenfraktion headbangte von der ersten Sekunde an zu ihrem derben Mix aus Thrash und Groove, der sich klanglich am besten mit frühen Metallica und modernen Evile vergleichen lässt. Zu gleichbleibend rotem Bühnenlicht bretterten sie Hollowed Eyes dem sich rasch mehrenden Publikum entgegen. Beim zweiten Track Eradicated wurden die bereitstehenden Podeste von Evil Invaders von Gitarrist Daniel Packovski für die Gitarrensoli und auch rhythmische Kick-Einlagen genutzt und heizten damit die Stimmung weiter an. Die ersten 2 Reihen honorierten diese Spielfreude mit deftigem Headbangen und allgemein guter Stimmung. Es folgte Impervius, eine rasante Nummer, die von der Langhaarfraktion dankend angenommen wurde und die ersten Fäuste in die Luft schnellen lässt. Neustes, permanentes Mitglied am Bass, Mitch Gruevski, schlägt sich in dieser Tour-Feuerprobe ebenfalls überragend und besticht ebenfalls durch eine energiereiche Performance zu beiden Seiten der Bühne, auch wenn der Seitenwechsel wegen der beschränkten Platzverhältnisse nicht immer leicht fällt.
Mit Martyr packen Mason einen neuen Track für uns aus, der sich als solide Dampfwalze entpuppt und meinen Nackenmuskeln, wie auch Schlagzeuger Nonda Tsatsoulis, einiges abverlangte.
Zum nächsten rasanten Song Cross this path, fordert Frontmann, Leadguitarrist und Sänger Jimmy Benson einen den ersten Circle Pit des Abends ein. Seinem Wunsch wird leider nicht entsprochen, jedoch schütteln die ersten Reihen weiterhin begeistert Köpfe und Haupthaar. Zum Moshen wird es heute eh noch genug Gelegenheiten geben. Jedoch unterhalten sich die Bandmitglieder selbst, wenn ihnen schon ein ordentlicher Pit verwehrt wird, bestens mit einem ansehnlichen Gitarrenduell. Anschließen brillierte Gitarrist Packovski mit einer deutschen Ansage, „Was geht, Berlin?“, und bedankte sich beim Publikum für das frühe Erscheinen. Immerhin ist der Club mittlerweile zu Dreivierteln gefüllt. Mason kündigen an, jetzt das Tempo etwas zu drosseln, nur um mit dem Track Tears of Tragedy den schnellsten Song ihres Sets auszupacken. Spaßvögel.
Zum Abschluss hauten sie uns dann noch den Titeltrack des Debüt-Albums Warhead um die Ohren und verließen um 19:35 Uhr gut gelaunt die Bühne und hinterließen ein gut aufgeheiztes Publikum.
In der Umbaupause von 20 Minuten werden erste technische Probleme offenkundig, so hat die rechte Gitarre auf der Box permanentes Feedback, das einfach nicht behoben werden kann und auch den kommenden Gig andauern wird. Das Backdrop der zweiten Band wird enthüllt, ebenfalls ein weißer Schriftzug auf schwarzem Grund.
Der Konzertsaal leert und füllt sich wieder bis 19:55 Uhr, als die zweite Band des Abends, Schizophrenia, zu einem Instrumental-Intro die Bühne betreten. 2017 gegründet, haben die Belgier jedoch erst 2 EPs (Voices 2020 und Chants oft he Abyss 2023) und 2022 das Album Recollections oft he Insane veröffentlicht.
Jetzt hagelt es erst einmal ein düsteres Gemisch aus Thrash und Death Metal mit kehligem Gesang von Ex- Hammerhead Ricky Mandozzi, der gleichzeitig den Bass schwingt. Begonnen wird mit Souls of Retribution, einer reinen Thrash Nummer, die gut abgeht. Besonders beeindruckend sind dabei die futuristisch wirkenden ausgefeilten Soli des Gitarristen links auf der Bühne. Seine Spielfreude macht einiges wett, da Schizophrenia den halbstündigen Gig über immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen hat. Beim folgenden Track Sea of Sorrow, der mich persönlich an Sodom denken lässt, hat der Gitarrist Probleme mit seinen Ear-Pods und den Monitorboxen ebendieser, sodass die Band kurzzeitig mit nur einer Gitarre spielt. Zu seinem Solopart ist das Problem scheinbar behoben, sodass er wieder grazil posend das Podest erklimmen kann und uns mit seiner Fingerfertigkeit in den Bann zieht. Dieser, mit einem rotem ärmellosen Shirt bekleidete und mit 80er Schnauzer und Vokuhila ausgestattete junge Mann ist, wie ich erfahre, Marty, der erst heute wieder zur Band gestoßene Original-Gitarrist, der auf der bisherigen Tour ersetzt werden musste. Durch ihn steht die Band nun wieder in kompletter Originalbesetzung auf der Bühne, nebst Romeo Promos Promopoulos an der Lead Gitarre und Lorenzoi Vissol am Drumkit.
Frontmann Mandozzi scheinen die Soundprobleme sehr auf die Nerven zu gehen und zum Song Schizophrenia versucht er unterdessen das Publikum zu animieren mehr abzugehen und lauteres Feedback zu geben, vielleicht um das der eigenen Boxen zu übertönen. Jedoch kann er nicht so recht für Begeisterung sorgen und wirkt auf mich beim nächsten Aufruf noch frustrierter, obwohl die ersten Reihen gut abgehen. Co-Gitarrist und Drummer spielen souverän weiter, allerdings fällt bei Devine immolation erneut die Sologitarre aus.
Das Licht wechselt zum Gitarrenintro Onwards to Fire nun auf blau und der Schlagzeuger stimmt schnelles Geknüppel an, zu dem ein Trio vor mir Arm in Arm headbangt und sich die Band erneut gemeinsam ins Zeug legt. Die nächste Nummer, Maze of Torment, ist etwas grooviger als der Rest des, eher auf Geschwindigkeit, getrimmten Songs.
Zum Ende des Sets werden uns noch Bullet, Cranial Disintegraton und zum Abschluss mit Nebelmaschine Strukture of Death serviert, zu denen sich das zahlreich erschienene Publikum die Nackenmuskeln lockert. Insgesamt ein schwieriger Auftritt, aus dem Schizophrenia trotz technischer Schwierigkeiten das Beste herausgeholt hatten.
In der Umbaupause wird das Bühnenbild etwas aufgemotzt, zum einen durch das Backdrop der Co-Headliner Evil Invaders, die Intialen E und I in Blau vor einer zerschmetterten Stadt – also das Plattencover der letzten Auskopplung Shattering Reflection, als auch durch die kreativ gestalteten Mikroständer rechts und links, die ebenfalls die beiden die Buchstaben in Metall auf Speerspitzen und Messerklingen bewehrten gigantischen Wurfsternen zeigen. Der mittlere Mikroständer war dem Publikum zugewandt und mit zwei seitlichen, hervorragenden Klingen verziert. Im Gegensatz zu den Support Bands, deren Look mit ärmellosen Shirts und zerrissenen Jeans eher klassisch war, ist die Kostümierung, der seit 2007 aktiven Belgier, schon eher konzeptionell. Ob Spandex und Patronengurt, Jeans, Lederbänder und Ketten, oder wie bei Fronmann „Joe“ Johannes Van Audenhove Lederweste mit Wirbelsäulenverzierung am Rücken und festgeschnallten Dolchen an den Oberarmen. Hier wird schon mal dem Auge etwas geboten, bevor es überhaupt die ersten Töne zu hören gibt.
Um 20:55 Uhr geht es mit Feed me Violence gleich in die Vollen und Berlin bekommt den variablen High Speed Thrash entgegengefeuert, für den heute eine Vielzahl an Besuchern erschienen ist. Auch die Lichtanlage darf endlich zeigen, was sie kann, denn wo vorher nur rot und blau regierten, wird jetzt ansehnlich stimmungsvoll ausgeleuchtet und sogar die Nebelmaschine wabert aus den Podesten hervor.
Rampensau Joe wechselt zwischen knurrendem Keifen und seinem starken Falsett, während seine Bandkollegen Senne Jacobs (Drums), Max Meyhem (Gitarre) und Jory van de Schoot (Bass) die Bühnenbretter beben lassen. Auf das nun folgende Mental Penitentiary reagiert der mittlerweile bis auf den letzten Platz besetzte Club bereits mit gereckten Fäusten. Mir fällt neben der rasanten Performance auch das verschmitzte Katzenmotiv auf einer der E-Gitarren auf, dass mir die Band gleich noch etwas sympathischer macht, als sie ohnehin schon ist.
Mit Hissing in Crescendo wird nun eine längere Phase für Songs von dem neusten Album Shattering Reflection eingeleitet. Das Publikum feiert diese aber auch wie ältere Tracks und in den ersten Reihen wird weiter geheadbangt und munter mitgeröhlt, während Joe wieder seine stimmlichen Variationen voll ausschöpft, während Bassist Schoot und Gitarrist Max sich für die Backing Vocals ins Zeug legen, soweit es geht Plätze tauschen und ebenfalls die Häupter kreisen lassen.
Der nächste Song im Set ist der für mich bisher ungewöhnlichste Track von Evil Invaders, sowie des Abends, denn mit In Deepest Black wird es erstmalig balladig. Das Licht wird blau und gedimmt und die Stimmung mystisch. Berlin dankt für die Ruhepause und der mehrheitlich weibliche Teil des Publikums singt lauthals textsicher mit. Im Solopart wird sogar Pyro an den Seiten der Bühne gezündet, die bis an die oberen Boxen unter der Decke Funken sprüht. Ich hoffe in dem Moment nur, dass die Verkabelung dadurch nicht in Mittleidenschaft gezogen wird, denn auch Evil Invaders haben einige technische Schwierigkeiten auf Seiten des Gitarrensounds, wodurch sich die Wartezeit bis zum nächsten Song etwas verlängert. Jo zeigt sich professionell, indem er auf die entstandenen Probleme hinweist und bis zu deren Behebung sich ans Publikum wendet und diese mit Anekdoten unterhält.
Nach dieser Verschnaufpause wird das Gaspedal bei Songauswahl und Nebelmaschine wieder durchgedrückt und mit Sledgehammer Justice ein Statement gegen Korruption gesetzt. Zum Intro drehen sich nun die Klingenräder an den Mikros. Der Song zündet außerdem den ersten Moshpit des Abends.
Das nun folgende Forgotten Memories ist wieder ein wenig getragener, jedoch ein schöner Stampfer zum Headbangen. Die Spielfreude ist auch Drummer Senne anzusehen, der sichtlich Spaß an seiner Arbeit hat und lauthals alle Texte draufhat.
Nun ist bei Die for me wieder Mitsingen und -klatschen angesagt, während die Lichtanlage nun zu einem polizeilichtartigen Flimmern aus rot und blau wird. Zu As Life slowly fades wird nun wieder fröhlich gemosht und The Unholy folgt. Rausgeschmissen werden wir dann mit Tracks vom 1. Album Pulses of Pleasure. Fast loud ´n` rude zieht die Geschwindigkeit wieder an und Berlin in den Moshpit, während ich textsicher mitgröhle. Den Abschluss bildet Raising Hell, wozu es nochmal Pyros gibt. Im Mittelteil droht uns Frontröhre Joe mit seinen Dekomessern, die seitlich im Mikroständer versteckt sind. Als sei das nicht genug, stellt er sich obendrein auf eins der Podeste und macht an den nun erreichbaren Deckenaufbauten der Bühne Klimmzüge.
21: 50 Uhr ist eine unterhaltsame Stunde musikalischen Wahnsinns zu Ende und Evil Invaders konnten sich erneut in mein Herz spielen, was ich nach dem Konzert mit dem Kauf der letzten Alben quittiere. Aber jetzt kommt noch der zweite Headliner.
Die Amerikaner Warbringer aus Californien sind mit dem Gründungsjahr 2004 und sechs veröffentlichten Alben, die Dienstälteste Band des Abends. Seitlich der Bühne werden Banner aufgestellt, die wie das Backdrop den Bandnamen in weiß auf blauem Grund zeigen. Mir kommt es so vor, als wäre es etwas weniger voll im Club, aber das kann täuschen.
22:15 Uhr beginnt man einen energiegeladenen Gig mit Firepower Kills und The Black Hand Reaches Out. Danach gibt es eine kurze Begrüßung von Sänger und letztem verbleibenden Gründungsmitglied John Kevill, dessen Grinsen auch während der von Krieg, Zerstörung und Tod handelnden Songs deutlich seine gute Laune und Bock auf diesen sonntäglichen Gig zeigt.
Ab Crushed beneath the Tracks mosht das Publikum quasi durch, begrenzt durch eine beherzt headbangende erste bis dritte Reihe. Auch Living Weapon heizt uns ordentlich ein und wir schwingen durch die einsetzenden Nebelschwaden die Fäuste, während Gitarrist Chase Becker mit seinen Soli die Ohren zum Klingen bringt. Es folgt Woe to the Vanquished, vom gleichnamigen Album von 2017, der begeistert abgefeiert wird. Mit Hunter-Seeker wird nun nach fast 30 Minuten Highspeed Performance etwas das Tempo gedrosselt und uns dafür ordentlich der Nacken malträtiert. Zwischen den Songs wird das Publikum weiterhin zum Moshen angeheizt, denn nun kommt passend dazu Living in a Whirlewind. Sogar ein Crowdsurfer wird durch den Raum getragen.
Deutlich ruhigere Töne werden beim fast balladesken Defiance of Fate angestimmt, die Bühne in stimmungsvolles blaues Licht getaucht und in Nebelschwaden gehüllt. Die Crowd honoriert dieses Stück mit anhaltenden Warbringer-Chören, bis es in der nächsten Pause wieder zum Circle-Pit aufgefordert wird. Das Publikum lässt sich das natürlich nicht zweimal sagen und springt fröhlich gemeinschaftlich zu den Klängen von Silhouettes und Remain Violent durcheinander. Diese Aufopferung bleibt nicht unbemerkt und wird mit einem wohlgemeinten „Berlin, you are the best!“ vom grinsenden Frontmann quittiert.
Total War bildet den krönenden Abschluss eines derben, verschwitz fröhlichen Thrash Abends, bevor zur eingeforderten Zugabe noch Combat Shock nachgereicht wird und Warbringer das Publikum in Wall of Death Manier auffordern sich komplett von rechts nach links und andersrum in Bewegung zu setzen. Das gut gelaunte, und immer noch nicht müde zu kriegende Berliner Publikum, kommt der Aufforderung begeistert nach und umkreist einander, springt und bolzt nur so durcheinander. Auch Frontmann Kevill lässt es sich nicht nehmen, die niedrige Decke für eine kurze sportliche Einlage in Form von Klimmzügen an der Lichtanlage zu missbrauchen und erntet dafür augenzwinkernde Anerkennung und Applaus.
Kurz nach 23 Uhr ist dann endgültig Schicht im Schacht und manch ein Thrasher hat seine liebe Not die Treppe zur Garderobe und zum Ausgang zu erklimmen. Erschöpft, aber glücklich, wird das Publikum diesen Abend noch lange in Erinnerung behalten.
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