Es ist mitten in der Woche als das ORWOhaus, die lauteste Platte Berlins, seine Pforte um 19:00 Uhr für einen Konzertabend öffnet. Drei musikalisch dem fröhlichen Power Metal verschriebene Bands geben sich heute die Ehre: Seven Kingdoms, All for Metal und als Headlinder die Zwergenmetaller von Wind Rose.
Der Plattenbau im Industriegebiet von Marzahn-Hellersdorf ist ein ehemalig von der DDR betriebener Film-, Tonband- und Kassettenhersteller, der seit Ende der Neunziger als Nutzfläche für Bandproben und Konzerte reaktiviert wurde. Die im Erdgeschoss gelegene Mehrzweckhalle bietet insgesamt 900 Personen Platz.
Ganz im ostigen Charme belassen, empfangen einen direkt nach dem Einlass nackte Betonwände. Ein schmaler Gang führt an Garderobe, Bar und Merch vorbei zum eigentlichen Konzertsaal. Auch hier barer Betonboden, mit schwarzem Samt verhangene Steinwände sowie vier Betonsäulen, die die oberen Etagen stützen, säumen den Zuschauerraum. Die Bühne am Ende des Raums ist recht niedrig und schmal, jedoch nach hinten recht tief eingelassen, was allerdings die Sicht von den Seiten des Raums auf das Bühnengeschehen etwas erschwert. Nach links führt ein weiterer verwinkelter Gang zu einer zweiten Bar. Es wirkt insgesamt etwas feucht und stickig. Bis zum Beginn des Konzertes drängen sich über 700 Zuschauer in die Halle und betrachten den spärlichen Bühnenaufbau. Das mit schwarzem Tuch bedeckte Schlagzeug steht im hinteren Bereich der Bühne unter rotem und blauem Scheinwerferlicht und davor die Drums und Mikroständer der ersten Supportband. Es gibt weder Backdrops noch sonstigen auffälligen Bühnenaufbau, bis auf einige plüschig aussehende Stoff-Cheeseburger in Nähe des Drumkits; dazu später mehr. Im Publikum hingegen, sehe ich bereits einige gewandete Personen, die sich die volle Dröhnung mittelalterlichen Spektakels geben wollen. Von gerüsteten Zwergen (meist größer als ich selbst), über Elfen bis hin Satyren gibt es neben den normalen, mit Bandshirts oder benähten Jeanskutten ausgestatteten, Besuchern einiges zu sehen.
Pünktlich zu 19:57 erlischt das Saallicht und Seven Kingdoms stürmen die Bühne und eröffnen den Abend mit Universal Terrestrial vom im letzten Jahr erschienenen Album Zenith. Generell orientiert sich das heutige Set und die Tour für die sympathischen Amerikaner aus dem sonnigen Florida an der Promotion ihrer letzten Auskopplung. Die vierköpfige Truppe kann zwar auf mittlerweile 5 Alben zurückgreifen, ist jedoch erst zum zweiten Mal auf Europatournee und von daher noch eher ein Geheimtipp hierzulande. Sich einen größeren Bekanntheitsgrad zu erspielen kann mit ihrem eingängigen melodischen Mix aus Power Metal und Thrash Metal und Science Fiction Themen sowie Game of Thrones durchaus gelingen. Das Berliner Publikum feiert den schnörkellosen tighten Auftritt des Quartetts bereits beim ersten Song mit und bejubelt schon die ersten Soli der beiden Gitarristen Kevin Byrd und Camden Cruz.
Das darauffolgende Midtempo Stück Chasing the Mirage besticht ebenfalls durch seine mitsingbare Eingängigkeit. Das wissen die Bandmitglieder natürlich und können schon zum zweiten Track des Abends auf reichlich Publikumsreakionen, von Fist-Pumping zu rhythmischen „Hey“-Rufen, als auch durch die Gitarrenperformance unterstützendes Armwinken zählen. Nach dem Song erinnert sich Frontfrau Sabrina an die 10 Jahre zurückliegende erste Europatour der Band und begrüßt alle diejenigen, die damals schon dabei waren, wie auch alle neu Dazugewonnenen.
Hier sei kurz ihr Bühnenoutfit erwähnt, das wohl seines Gleichen suchen dürfte: sie trägt ein silbern glitzerndes Pailletten-Kleid und dazu riesige Plüschpantoffeln in Form und Design von Cheesburgern! „It feels comfi“, wie ich später am Merch von ihr erfahre, es geht also nicht ums Aussehen sondern um die Bequemlichkeit und das Wohlgefühl auf der Bühne. Knuffig.
Das kommende Stück hat so gar nichts Plüschiges oder gar Knuffiges. Life Signs schmettert in bester Thrashtradition über unsere Köpfe hinweg, während uns Sabrinas glockenhelle Töne in Abwechslung mit ihrer Rockröhrenstimme in den Ohren gellen. Das stark angeheizte Publikum lässt die Pommesgabeln wippen und die ersten Headbanger geraten in Wallung und lassen die Haare fliegen. Danach gibt es mit Valonqar eine balladeske Verschnaufpause, untermalt mit filigraner Gitarrenarbeit und einem eingefordertem Lichtermeer aus Handytaschenlampen, während Sabrina von Selbstbestimmung und Integrität singt.
Mit den nachfolgenden Nummern Love Dagger und Magic in the Mist nehmen wir wieder Fahrt auf. Danach wird dem Publikum die Frage gestellt, wer Powerwolf kenne. Seven Kingdoms waren auf deren Amerika Tour deren Vorband und von den dortigen Live-Mitschnitten stammt das Material des Musikvideos der Single und des kommenden Songs A Silent Remedy. Eine Ähnlichkeit zu Songstrukturen unserer geliebten Metal-Missionare ist da auch nicht zu überhören.
Den vorletzten Song Diamond Handed nimmt die sympathische Frontfrau erneut zum Anlass, für Durchhaltevermögen und Widerstandskraft zu werben. Vom Publikum kommen Mitsingchöre und „Diamant-Handzeichen“, während es von der Bühne zackig herunterbolzt. Beim abschließenden Track In the Walls wird nochmals das Tempo angezogen und der einzige Song vom Vorgängeralbum Decennium regelrecht druch-gethrashed.
Insgesamt ein inspirierender Auftakt, mit selten erlebten frühen Publikumsresonanzen. So kann’s gehen wenn Berlin mal Bock hat.
Ich selbst zolle meinen Tribut, indem ich mir eine CD signieren lasse und mir einen weiteren Patch gönne.
Nach kurzer Umbaupause geht es 20:55 Uhr weiter mit All for Metal. Zwei Banner mit dem Albumlogo zieren die Bühne und die Mikroständer sind entweder in Schwertform gearbeitet oder werden von Totenköpfen aufgepeppt. Ein Intro, das stürmische Regenschauer erklingen lässt und in orchestrale Töne übergeht wird zu blauem Licht eingespielt. Und schon stürmen die 6 Newcomer die Bühne. Der für den Klargesang zuständige Italiener Antonio kündigt an „We are ALL FOR METAL“ und fordert im gleichnamigen Opener die ersten „Hey“-Rufe und rhythmische Faustgymnastik vom Publikum ein. Der zweite Sänger Tetzel, der für die tieferen Tonlagen verantwortlich ist, bedankt sich schon jetzt für die Publikumsreaktion und erklärt, dass dies der erste Auftritt der Band in Berlin sei.
Und was das für eine Premiere das werden sollte. 2022 gegründet, präsentieren sie heute ihr erstes Album Legends. Weiter geht’s mit der Speed-Nummer Fury oft the Gods, die wohl alle ereilen wird, die sich von diesem Spaß hier nicht mitreißen lassen. Zwei Showgirls in ähnlichem Battle-Dress wie die anderen Bandmitglieder heizen mit Tanzperformances das Publikum zusätzlich an, das auch hier schon zu fröhlichen Mitsingchören aufgelegt ist.
Dass die Energie von der Bühne die Crowd ordentlich ansteckt und in Feierlaune versetzt, bleibt nicht unbemerkt und wird von Antonio positiv vermerkt und als Dank dafür gibt’s von den Showgirls kostenlose Bieruntersetzter mit Bandlogo, die reichlich ans Publikum verteilt werden.
Mit Raise your Hammer folgt die nächste Mitsingnummer untermalt von Tetzel, der als Thor-Inkarnation mit gigantischem Hammer auf die Bühne kommt, während die Doppelgitarrenfraktion aus Ursula und Jasmin gekonnt posieren. Zum Ende des Tracks gibt’s einen Kontest, wer noch würdig ist den Hammer zu heben. Antonio scheitert und Gitarristin Ursula erweist sich als würdig.
Etwas flotter geht es weiter mit Born in Valhalla zu Strobo-Licht und wieder viel Publikumsinteraktion, bei der die Gesangsqualitäten von Frauen denen der Männer im Chorus gegenübergestellt werden. Beim Nackenbrecher Mountain of Power fallen die Hüllen von Sänger Tim, der seinem Spitznamen alle Ehre macht. Das Engagement des feiernden Publikums hat mittlerweile zu so einer schwülen Atmosphäre in der Halle geführt, dass Sänger Antonio auf der Bühne ausgleitet und dadurch fast seinen Einsatz verpasst. Er nimmts mit Humor und freut sich, das Berlin so gut drauf ist. Es bleibt mit Hear the Drum eher Midtempo, es gibt rhythmische „Hey“-Rufe zu winkendem, headbangendem und winkendem Publikum. Also das muss man der Band lassen, wenn sie an die richtige Crowd geraten, wissen sie, wie man diese einbindet. Und das spielt den Ball mit gleicher Hingabe zurück, wie es auf der Bühne geboten wird. Selten eine Menge erlebt, die schon bei den Vorbands so „on fire“ war. Das wird für die noch ausstehenden Headlinder schwer zu toppen sein. Mit Legends never die werden zu Akustikgitarren verstorbene Legenden geehrt und bei dieser Ballade die Halle wieder von zahllosen Handylichtern erhellt.
In einer kurzen Pause werden von den zwei Showgirls 2 Band-Shirts aufgetragen und ans Publikum verschenkt. Beim nun folgenden Song Run werden neben hämmernden Fäusten und Pommesgabeln zusätzlich noch mehrere große schwarze Ballons über die Köpfe des Publikums hüpfen gelassen, die sich auch noch beim eigentlichen Headliner wiederverwenden lassen werden. Das Publikum wird zudem anschließend mit allen Bandmitgliedern und den Tänzerinnen bekannt gemacht, bevor es mit Goddess of War noch einen guten Abschluss gibt und der Song den Ladys im Publikum gewidmet wird. All for Metal überzeugen mit deutlicher Spielfreude und Engagement den Fans gegenüber und haben mit mitsingbaren Lyrics und einer liebevollen und lebendigen Performance gute Chancen sich auf ihrer ersten Europatour einen Namen zu machen und eine Fangemeinde zu erspielen.
Um 22 Uhr schallen bereits vor Erscheinen des Headliners die ersten „Diggy Diggy Hole“- Chöre durch den Saal. Dieser Song zählt wohl zu den amüsantesten, wenn auch nicht anspruchsvollsten Hymnen des Power Metal-Genres. Wie meine Zuschauer-Nachbarin ihrer Begleitung gegenüber mit einer wörtlichen Übersetzung des Chorus bestens illustriert: „Ich bin ein Zwerg und ich grabe ein Loch – GRABI GRABI LOCH!!“ Ähem, aber dazu später mehr. Bevor wir dazu kommen, wird erst mal ein erstklassiges Set an zwergischen Hymnen abgerissen.
Zuerst erklingt das epische Intro Of War and Sorrow und Wind Rose betreten unter viel Applaus in Nebelschwaden gehüllt und in türkisem Licht die Bühne. Der Auftritt beginnt mit Army of Stone, den Berlin textsicher mitsingt und hüpft. Die Lichtshow wechselt zwischen rot und gelb. Auf einem Display vor dem Drumkit werden den Abend über atmosphärische Bilder von Lava, Vulkanen, Bergen und vereinzelt Mitschnitte aus der Verfilmung von „Der Herr der Ringe“ gezeigt um das Set zu untermalen. Die Bandmitglieder sind in pelzbesetzte Roben gehüllt und von Anfang an enthusiastisch und gut gelaunt. Der nachfolgenden Track Fellows of the Hammer wird von Frederico am Keyboard mit folkloristischen Klängen eingeleitet, während Berlin weiterhin rhythmisch klatscht und bereits beginnt einen springenden Moshpit zu bilden und zwei der schwarzen Ballons der Vorband weiterverwendet.
Frontmann Francesco lässt seinen gewaltigen Tenor in bester Powerwolf- und Heidevolk-Manier durch die Halle schallen und wird im Chorus von den Backing-Vocals von Claudio an der Gitarre und Cristiano am Bass unterstützt, während Federico an den Drums die Stöcke tanzen lässt.
Beim dritten Song Drunken Dwarfs der sympathischen Jungs aus Italien, die auf ihrer zweiten Europatour hier zu Gast sind, wird es im brodelnden Moshpit etwas zu bunt, sodass die Saal-Security einschreitet, und den Störenfried herauszieht. Am Ende des Songs gibt es einen Ordnungsruf von Frontmann Francesco, das Ganze nicht in eine Schlägerei ausarten zu lassen, schließlich seien wir hier, um gemeinsam zu feiern „til the end of the fucking concert“. Es herrscht für den Rest des Abend auch weiterhin viel Bewegung in der Mitte der Halle, zu einer weiteren Unterbrechung führt es jedoch nicht.
Es folgt ein weiterer Mitsingklassiker aus der Winter Saga – Ära, und zwar Mine, Mine, Mine – ein flippiger Midtempo Song, der die Hauptbeschäftigung der Zwergenzunft (neben Biertrinken und Schlachten schlagen), das Bergbauhandwerk zum Thema hat. Es wird mitgesungen und gesprungen. Der Sänger bedankt sich zum Abschluss dessen mit einem „Danke – fucking – schön“ und lächelt das gut gelaunte Publikum wieder breit an. Die Wogen haben sich wieder geglättet.
Nun geht es weiter mit einem Dreiergespann aus epischen Brechern weiter, Gates of Ekrund, The King under the Mountain und Battle of the Five Armies laden zu Schlachtgesängen und Mitklatsch-Einsätzen ein und machen insgesamt einfach nur Spaß. Mit Herr der Ringe / Hobbit – Content kann man mir ja immer kommen.
Mit The Art of War wird das Set nun wieder mit einer folkigen Nummer aufgelockert, wobei mich der Chorus doch echt sehr hart an den altbekannten Shanty „What shall we do with the drunken Sailor“ erinnert. Weiß nicht ob das so soll, ich find’s aber lustig und für gute Laune sorgt das Stück alle Mal.
Das Tempo wird durch das nachfolgende Tales of War nochmals angezogen und der Track unsterblichen Helden und unvergessenen Kriegern gewidmet. Berlin ist nach wie vor in Feierlaune und mosht gut gelaunt im rot gelben ühnenlicht. Danach gibt’s noch den Nackenbrecher Together we rise auf die Ohren, bevor das unvermeidliche Diggy Diggy Hole den Abschluss des regulären Sets bildet. Den kann absolut jeder mitgröhlen und Wind Rose lassen es sich auch nicht nehmen, den Song im Anschluss auch noch als Dance-Remix Variante durch die Boxen zu blasen.
Als Zugaben werden uns noch die Ballade Tomorrow has come stimmgewaltig und im Akkustik-Gewand mit Lagerfeuer-Optik und I am the Mountain als krönender Abschluss geliefert. Frontmann Francesco kündigt diesen als last special song an und macht mit seiner letzten Ansage auf das Problem Depression aufmerksam. Mit „Berlin – you are my fire“ bedankt er sich beim Publikum und nimmt uns in die Familie der Dwarf Army auf.
Ein sehr atmosphärischer Auftritt insgesamt und ein großer Schritt zu einer stark wachsenden Fangemeinde. Wir freuen uns schon auf die nächste Europatour unserer Lieblingszwerge, die sie hoffentlich auch wieder nach Berlin führt.
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