Review: Khalil Boughali – Thoughts on Black Metal
Was ist Black Metal? Erst einmal ein Subgenre des Metal, ein musikalischer Stil, die wohl extremste Form von Musik, wie sie den meisten erscheint. Als Subkultur jedoch befinden sich im Hintergrund eine Vielzahl von Aspekten, die für jene, die sich mit dieser Thematik noch nicht beschäftigt haben, doch eher befremdlich wirken können. Was soll es denn nun sein, dieser Black Metal, und wie zum Teufel lässt sich das Ganze erklären und verstehen? Antworten zu vielen Ebenen, die sich hier ergeben, bietet ein Werk des französischen Autoren Khalil Boughali. Mit Thoughts on Black Metal zeigt sich ein Buch, welches versucht, das grundlegende Verständnis für das besagte Genre und seine Kultur zu ermöglichen. In vielen kurzen, doch erklärungsstarken Kapiteln wird so ziemlich jeder Aspekt, der das Genre, die Musik und Anhänger, ausmacht, in einer Art und Weise beleuchtet, die einerseits plausibel das was und warum darlegt, gleichermaßen jedoch Raum überlässt, der zum Erleben, Nachdenken und Fühlen des Genres anregt. Eines sei von vornherein gesagt; wenngleich es sich eher um ein Werk aus der Kategorie Grundlagen handelt, so ist es doch, ähnlich wie eine geisteswissenschaftliche Einführungslektüre, mit einem gewissen Anspruch belegt, welcher der Leser mitbringen sollte. Dieser Anspruch bezieht sich darauf, dass ein Interesse an Philosophie und/oder Subkulturen im Allgemeinen vorhanden sein sollte, um sich auf die Hintergründe, gewissermaßen den Eisberg unter Boughalis Zeilen zum Black Metal, einzulassen und die Gedanken, seine Thoughts, weiterspinnen zu können. Denn wie es sich für ein Einführungswerk gehört, dient es dazu, die generelle Idee in seinen grundlegenden Aspekten zu kommunizieren, wie der Autor selbst meint, „Licht ins Dunkel eines einer oft missverstandenen Kunstform zu bringen“, nicht jedoch, ohne selbst daran teilzuhaben, vor allem in Form von einer gedanklichen Auseinandersetzung und Reflektion, die den Wert dieser Arbeit über das Buch hinaus ausmacht. Und dies gilt nicht nur für jene, für die der Black Metal eine komplett fremde Welt bedeutet, sondern vor allem auch für Musiker und Fans, die hierüber ihre eigene Lebensrealität neu entdecken, kennenlernen, vielleicht sogar auch besser verstehen und deuten können.
Der Titel Thoughts on Black Metal ist Programm; Boughali schafft es, in guter Struktur und ausreichendem Maße dem Leser eine gute Übersicht über die Kernpunkte der Kultur des Black Metal zu bieten, und dies in gelungener Kombination aus Inklusion verschiedener, schon vorhandener Literatur, Aussagen namhafter Künstler und eben der eigenen Gedanken. Hierbei bedient er sich ebenso einiger Philosophen wie Heidegger, Foucault, Adorno, aber auch dem wohl beliebtesten und einflussreichsten Philosophen des Genres, Friedrich Nietzsche, um vor allem seine Punkte zur Erklärung der thematischen, lyrischen und symbolischen, Konzepte deutlicher und ausgereifter darlegen zu können. Dazu wird natürlicherweise vom Leser zu einem gewissen Grad verlangt, dass er in der Lage ist, diese Einflüsse im Kontext verstehen zu können, um der Beschreibung folgen zu können, was jedoch in kaum einer Weise problematisch werden sollte, bedenkt man die Umsetzung recht eindeutiger Erklärungsweise, mit der der Autor den Einstieg in dieses Feld eher leichter und attraktiver gestaltet. Zusätzlich wird über viele Fußnoten hinsichtlich der benutzten Literatur die Möglichkeit geboten, das generelle Thema im potentiell gewünschten, weiterführenden Studium des Genres weiter mithilfe anderer Werke und Autoren zu beleuchten, wie auch ein Abteil suggested ressources angehängt. Im Verlaufe geht Boughali ebenso auf Darstellungen ein, nicht nur im Kontext von Albumcovern und Logos, sondern auch in Persona bezüglich Showverhalten, Corpse Paint, et cetera. Auch die musikalischen Elemente selbst finden Einzug in die einführenden Gedanken zum Black Metal, was zusammengenommen einem genrefremden Leser eine recht gute Vorstellung beschaffen kann. Besonders Vocals und Lyrics bekommen einen eigenen Part, in welchem der grundlegende Charakter deutlich gemacht wird. Leider zeigt sich auch hierdurch der starke Fokus auf den klassischen Black Metal, wird doch die zweifellos als solche beschreibbare dämonische Stimme nicht in den Kontext der mittlerweile jahrzehntelangen Entwicklung gesetzt. Gerade in der Herausbildung von Sub-Stilen des Genres ist der Gesang nicht nur noch „dämonischen“ Charakters, sondern einerseits gewissermaßen Tradition in seinem Klang als „organisches Instrument“, aber eben auch mit dem Hintergedanken des Klagens (vgl. Neige, u.a. Alcest, Amesoeurs), der Wut (vgl. Seuche, Fäulnis) und der mitunter kranken Verzweiflung (vgl. Rainer Landfermann, u.a. Bethlehem), wodurch sich die Stimme im Black Metal im Vergleich zu klassischen, hochgelobten Vertretern wie Attila (Mayhem) oder Gaahl (Gorgoroth) sehr verschieden ausdrücken kann, bis hin zur Verwendung von Klargesang. Dies jedoch ist häufig höchst abhängig von den Thematiken und Lyrics, welche in diesem Kontext ebenso angesprochen werden. Der darauffolgende Bezug auf das Drumming erklärt sich ausreichend ausführlich, um die Grundidee in der Musik zu beschreiben. Ein noch engerer Bezug auf die Elemente an sich hätte jedoch insgesamt das Wesen und die Atmosphäre der Musik stärker fassen können, wenngleich dies das Ausmaß wesentlich erhöht.
Wenngleich zu Ende des Buches einige Bands stellvertretend näher beleuchtet werden, so bleiben die Beispiele, die an verschiedenen Punkten doch passend gewählt wurden, eher oberflächlich. Natürlich muss in jeder Verfassung eines ähnlichen Werkes eine Grenze an Beispielen und Erwähnungen erfolgen, bei einem so vielschichtigen Genre wie dem Black Metal jedoch verbleibt das ein oder andere zu generalisiert. Dies zeigt sich beispielhaft an der häufigen Erwähnung der französischen Gruppe Deathspell Omega, welche sicherlich einerseits einen großen und etablierten Namen vertreten und an welchen gleichermaßen der Kern des Black Metal in einigen Aspekten erklärt werden kann, aber eine größere Auswahl hätte hier einige zusätzliche Erklärungskraft ausgegeben. Dies jedoch ist abhängig von der Themenwahl, beziehungsweise von den Aussagen und Darlegungen, die in bestimmten Zeilen gemacht werden wollen. Allgemein ließe sich sicherlich kritisieren, dass einige wichtige Felder komplett ausgelassen wurden, wie beispielsweise die Auseinandersetzung mit rechter Symbolik und rechtspopulistischen Einflüssen, konkreter dem sogenannten NSBM (Nationalsozialistischer Black Metal). Ohne Unterstellungen hinsichtlich der nicht niedergeschriebenen Gedanken und Entscheidungen des Autors machen zu wollen, ist es verständlich, diesem Teil nicht mehr unnötige Aufmerksamkeit zu schenken, die das Genre schon länger in negativer Art und Weise beeinflusst und die allermeisten Musiker, Fans und Beteiligte in jeglicher Form nicht nur auf den sprichwörtlichen Geist geht, sondern auch Vorurteile schafft, die der Kunst und ihren Schaffenden immer wieder unberechtigterweise Steine in den Weg legen kann. Im Endeffekt jedoch verbleibt dieser Umstand ein solcher, von dem sich das Genre niemals ganz wird lösen können und dementsprechend deeskalierende Worte zu finden, hätte der Beschreibung in diesem Buch sicherlich einen weiteren Mehrwert geben können. An dieser Stelle sollte die Einschätzung in den Raum geworfen werden, dass es sich beim gesamten Werk doch um eine eher subjektive Wahrnehmung handelt, die einführend beschreibt und erklärt, jedoch eben basierend auf den im Titel angesprochenen Gedanken des Verfassers. Ähnlich verhält es sich auch mit der zuvor angerissenen Tiefe, hinsichtlich der Subgenres. Den einen Black Metal gibt es nicht mehr, dafür gehen Bands und Solokünstler schon seit den Neunzigern, also seit dem größeren Aufkommen des Genres, zu sehr auseinander. Daher wäre es sicherlich angebracht gewesen, wesentlich mehr unterschiedliche Strömungen in die Gedanken einfließen zu lassen, sei es nun der sogenannte Blackgaze um Bands wie die französischen Alcest und Amesoeurs, den damit eng verwobenen Post-Black Metal der Moderne mit beispielsweise Harakiri for the Sky und Der Weg einer Freiheit oder der Dark Metal, der vor allem mit der deutschen Band Bethlehem maßgeblich den Verlauf des Genres beeinflusst haben. Gerade letztere hätten den Übergang zum einzigen wirklichen Subgenre, das im Buch beleuchtet wird, dem DSBM (Depressive Suicidal Black Metal), stärker erklären und damit beispielhaft zeigen können, welche Dynamik in Entwicklung und Stilfindungen jeglicher Art ununterbrochener Teil des Black Metal ist und das selbiger eben nicht nur eine stumpfe Gruppe von immergleichen Elementen ist. Dies wurde in einigen Kapiteln aufgezeigt, jedoch nicht in einem ausreichenden Maße, dass dem Leser die Komplexität bewusstwerden kann.
Diese Kritik sollte jedoch als solche verstanden werden, die ein sehr gutes Werk nur wenig belasten kann, da dieses, wie mehrmals zuvor erwähnt, die wesentlichen Kernpunkte prägnant abhandelt. Auch wenn der Mangel an herausstechenden Beispielen hinsichtlich der Komplexität in Form von Bands in Kombination mit potentiellen Verbindungspunkten, ob diese nun genannt wurden oder nicht, ein mittelschwerer für jeden nur etwas erfahrenen Anhänger sein mag, so verbleibt am Ende im kompletten Buch nur ein einziger schwerwiegender Fehler, der bei allen überwiegenden positiven Aspekten deutlich genannt werden muss: die Abhandlung des Subgenres DSBM gestaltet sich ähnlich wie alle anderen Kapitel; in der Stärke der Kürze wird das Wesentliche beschrieben und erklärt, um eine grobe Idee der Hintergründe zu liefern. In diesem Teil, als einziger, ging dies jedoch schief. Der DSBM ist in der Tat, nicht zuletzt aufgrund seiner großen Anzahl an Solokünstlern, ein repetitives Subgenre, in welchem oft immergleiche Thematiken von Suizid, Verzweiflung, Einsamkeit und Trauer mit eben repetitiven und monotonen Instrumentalstücken versehen werden. Es darauf zu beschränken jedoch, ist ein fataler Fehler. Kaum ein anderes Subgenre schafft es, seinen Ausdruck so stark zu originalisieren, ob nun in Ton oder Wort und das vor allem in Verbindung und teilweiser Überschneidungen mit dem Post-Black Metal oder Blackgaze. Es hat sich im zwischenzeitlichen Rückblick eine Art Classic oder Old-school DSBM aufgrund vielfältiger Entwicklungen in der Stilfindung gebildet, doch möchte man tatsächlich einem fremden Menschen das Wesen dessen begreifbar machen, so ist es unabdingbar, diese, emotionale, instrumentale und lyrische, Vielfalt beim Namen zu nennen. Weder wurden Pioniere des klassischen Stils wie Nocturnal Depression (Frankreich), Forgotten Tomb (Italien) oder Shining (Schweden) genannt, noch die Experimentalisten und Vertreter der einflussreichen schwedischen Schule der ‚Zwischenzeit‘ von 2005 bis 2015, namentlich Lifelover, Apati und Eufori, oder die modernen Ableger in Verbindung mit anderen Genreelementen, wie besonders die Australier um Germ, Austere und Woods of Desolation erwähnt. Allein Strid, oft als erste Band mit Elementen des späteren DSBM erwähnt, Silencer und Xasthur fanden ernsthafteren Einzug in dieses Kapitel, was der Darlegung der Entwicklung, die Anfänge als es die Begrifflichkeit noch nicht gab und wie es zum Subgenre letztlich kam, nicht ausreichen kann. Dies gilt in aller Deutlichkeit auch für die lyrischen und thematischen Konzepte, die Aussage „All in all, DSBM expresses nothing but nihilism and meaninglessness“ ist schlicht falsch, verallgemeinert eine Subgruppe des Black Metal zu stark und arbeitet in diesem Punkt nicht auf den selbst auferlegten Anspruch hin, Verständnis für ein oft missverstandenes Genre zu schaffen. Gerade in einem philosophischen Gedanken könnte hier angeführt werden, dass Begriffe wie Nihilismus, Suizid et cetera ihre Bedeutungen von den Menschen selbst erst zugeschrieben bekommen, das heißt eine Wertzuschreibung basierend unter anderem auf der allgemeinen, der gesellschaftlichen Auffassung, die durch Einflüsse wie beispielsweise die Religion geprägt wurde und wird. So lässt sich abschließend nicht sagen, dass jene Begriffe und Thematiken, die im DSBM verwendet werden, aber auch jene im Black Metal ganz allgemein, auf das „Böse“ und „Negative“ reduziert werden können. Das musikalische und lyrische Spiel mit Melancholie, Depression, Resignation und Tod muss also nicht nur als ein Ausdruck des Nihilismus, verstanden als absolute Wertlosigkeit oder Sinnlosigkeit, sein, sondern kann gleichermaßen positiv wirken auf das Denken und Umgehen mit tiefergehenden Aspekten wie beispielsweise der Kontingenzbewältigung oder Machtlosigkeit und damit schon fast einen gar therapeutischen Wert erhalten, bei Künstler wie Hörer. Auch wenn einige Musiker wie Niklas Kvarforth von Shining versuchen, das eher böse und hoffnungslose Image aufrechtzuerhalten und obwohl sich viele Texte doch auf den ersten Blick recht eindeutig einfach darstellen, so erscheint das Subgenre doch eher als Bewältigung von jenen Umständen zu fungieren, die sich emotional in scheinbar negativen Begrifflichkeiten ausdrücken. Als Beispiel könnte hier Graf, Sänger der georgischen Band Psychonaut 4 dienen, welcher in einem Interview in Kiew eben von einer Art Therapie spricht, über die Musik als Hilfe für sich selbst und die Hörer, ihre „Patienten“. Wenn sich Musiker, und auf der anderen Seite die Fans, die ihre Musik als große Hilfe in schwierigen Zeiten bezeichnen, in dieser Art und Weise äußern, dann stellt sich die Frage, ob der DSBM wirklich nur „meaninglessness“ ausdrückt oder vielleicht, auf einer anderen, nicht oberflächlichen Ebene, gar eine Art Hoffnung, eine helfende Hand in Depression und Negativität.
Dieser Aspekt stört Ihren Rezensenten unheimlich, bei aller Faszination für ein sonst großartiges und mehr als gelungenes Buch. Und warum? Weil dieser seine Thoughts on Black Metal als beteiligter Musiker und Fan nicht außenvorlassen kann. Dieser Umstand hat seine gute Message für dieses Werk, denn es regt an, es bringt zum Nachdenken und zur Reflektion eines musikalischen Genres, das, wie vom Autoren selbst formuliert, oft missverstanden wird. Ob es nun Beteiligte oder Außenstehende sind, ob es nun Intention ist oder nicht, diese Lektüre ist viel mehr als nur ein weiterer Versuch einer Einführung in den Black Metal. Es ist eine Einladung zur Partizipation, zum Diskurs, zur Bewusstwerdung über einen Stil, den viele Menschen untrennbar mit ihrer Identität verbinden. Vergessen werden darf in aller Deutlichkeit nicht die Komplexität der Sache, an die sich der Autor herangewagt hat. Das allgemeine Thema gestaltet sich gerade im philosophischen Gedankenspiel hochkomplex und ist schwierig in seiner Gänze zu fassen, daher kann ein solches Werk natürlicherweise nur mehr Fragen aufwerfen, als es beantwortet. Aber es bildet eine gewisse Grundlage eines Diskurses, einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit philosophischen Fragestellungen auf Basis des Genres Black Metal und wie wir am Beispiel des Kapitels zum DSBM gesehen haben, lässt sich an vielen Punkten leicht abschweifen in ganz grundsätzliche Fragen menschlichen Daseins und seines Umgangs, was jedoch unter anderem den Wert dieses Buches ausmacht. Im Endeffekt sind es Khalil Boughalis Gedanken, die vielleicht nicht immer alles vollständig erklären, nicht den kompletten Eisberg auseinandernehmen, aber eben jene Einladung formulieren, die es wohl braucht, um Verständnis zu schaffen, Gräben etwas aufzufüllen und vielleicht doch aufzuzeigen, dass das Fremde und Unheimliche gar nicht so fremd und unheimlich sein muss. Von daher hat Thoughts on Black Metal großes Potential, sein eigen formuliertes Ziel zu erreichen. Einzige Bedingung: es muss gelesen werden.
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