Adventskalender: Türchen 24

Titel: Stateless

Künstler: Lene Lovich

Release: Oktober 1978

Genre: New Wave

Spieldauer: 35:31

Label: Stiff Records

Links:

Webseite
Spotify

Tracklist:

  1. Home
  2. Sleeping Beauty
  3. Lucky Number
  4. Too Tender (To Touch)
  5. Say When
  6. Writing on the Wall
  7. Telepathy
  8. Momentary Breakdown
  9. I Think We’re Alone Now
  10. On in a 1,000,000
  11. Tonight

Unsere Schatzkisten-Beiträge, und damit auch die diesjährigen Adventskalender-Beiträge, sind doch oft etwas Persönliches – Alben, die uns Schreibern viel bedeuten oder mit denen wir besondere Momente oder Gefühle verbinden. Daher möchte ich in diesen Beitrag mit einer kleinen, persönlichen Erzählung einsteigen.

Dieser Gesang, diese doch irgendwie anregenden Songs hatte ich schon einmal irgendwo gehört. Aber was soll ich sagen – es gibt viel Musik auf der Welt und in der Meinigen spielt besonders der Black Metal in all seinen vielfältigen Facetten mit Abstand die größte Rolle. Von daher: ja, schon interessant, aber die paar Klänge im Hintergrund reißen mich nicht aus meiner gar absolutistischen Vorstellung von dem, was die beste Musik ist. Vor allem etwas, das kein Metal oder richtiger Rock ist? Keine Gedanken daran zu verschwenden. Es sollte einige Jahre dauern, da forderte die Musik, von der ich weder Namen noch Genre kannte, erneut meine Aufmerksamkeit. Zu Besuch im wunderschönen Jugoslawien (im Herzen ist es das weiterhin, de facto war es jedoch in Belgrad, Serbien) kam ich in einen kleinen Plattenladen, der seinen Namen noch verdient. Ein kleines Abteil einer großen Industriehalle, in dem jedoch mehr alte Schallplatten lagerten, als ich je mit einem Blick zuvor gesehen hatte. Da hörte ich es rufen: ‚Hey, von dem Album hatte ich dir erzählt. Und sogar unter 2.000 Dinar!‘. Wirklich interessiert hatte es mich nicht, ich war ja selbst tief in den Regalen in der Hoffnung versunken, ein paar alte Ex-Yu-Rock Platten zu finden. Zumindest war ich inzwischen wesentlich offener für alles Nichtmetallische geworden.

Und dann, nochmal etwa ein halbes Jahr später, kam einer dieser Momente der musikalischen Erleuchtung nahe. Da war dieser Laden in dem Städtchen, wo ich damals zur Schule gegangen war. Ich war niemals drinnen gewesen, er war voller Antiquitäten, alte Bücher und Zeitschriften, Bilder, Vasen, so ein Kram eben. Ein paar Platten waren auch da, also folgte ich der Empfehlung meines Vaters und schaute mich um. Und da war sie: 1978, First Press, etwas benutzt, aber dennoch gut im Zustand und nur für sechs Euro – Lene Lovichs erstes Album Stateless. Mit einer Platte von Accept, The Cure, Blonde on Blonde (es gab zwei Gruppen, ich hatte die falsche erwischt) im Arm dachte ich: „Na ja, viel kannst du da ja eh nicht falsch machen. Vielleicht will die Freundin sie haben, oder so.“ Aber bleiben wir ehrlich, das schwarz-weiße Cover mit der jungen Dame mit zwei Zöpfen und einem durchdringenden Blick hatte mich auf gewisse Art und Weise schon in seinen Bann gezogen.

Lene Lovich wurde als Lili-Marlene Premilovich in den USA der Nachkriegszeit geboren, als Tochter eines Serben und einer Mutter aus England, wo sie ab dem dreizehnten Jahr lebte und ihre künstlerische Tätigkeit entwickelte. Mit 29 erschien dann also ihr erstes Album namens Stateless. Schon beim ersten Song (Home) wird deutlich, dass die Sängerin über eine unglaublich starke Stimme verfügt, welche ihre besonderen Stärken im Verlaufe des Albums an vielen Stellen nochmal unterstreicht. Es vergeht nicht viel Zeit, bis diese zu hören ist, aber was ebenfalls auffällt, ist die Tatsache, dass wir es hier mit kreativem New Wave-Songwriting in Kombination mit klassischen und doch sehr passenden und anregenden Rock-Elementen zu tun haben. Das Wort „tanzbar“ ist ein sich merkwürdig anhörendes Adjektiv, passt aber relativ gut, um eines der vielen Grundgefühle des Albums, wie auch beim zweiten Lied Sleeping Beauty, zu beschreiben, zu sehr regt die Musik zur Bewegung an, der man sich nicht entziehen kann.

Einer der bekanntesten Songs auf Stateless ist sicherlich Lucky Number und bringt dem Hörer doch auf gewisse Weise auch die Person Lene Lovich etwas näher. Denkbare Begriffe, die hier aufkommen können, sind vor allem Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit und weibliche Kraft, was sich auch im Liedtext finden lässt. Und obwohl dieser vielleicht eher aus einer persönlichen Perspektive kommt, so passt er doch in die Zeit und spricht etwas an, das auch heute noch aktuell ist. Kleiner zeitgeschichtlicher Einwurf zu diesem Thema: das Album wurde 1978 veröffentlicht, in der Bundesrepublik Deutschland durften Frauen erst ab 1997 Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich ahnden lassen und erst seit einem Jahr nach diesem Release durften sie in der BRD ohne Erlaubnis des Ehemanns arbeiten. Dies nur zur kleinen, aber relevanten Einordnung. Was auf diesem Song ebenso zu hören ist, ist eine Ähnlichkeit in der Art und Weise, wie sie ihre „Ah-ooh!“-Rufe umsetzt, die doch sehr an eine andere, gewisse Sängerin dieser Zeit aus Deutschland erinnert. Doch dazu in Kürze mehr.

Auf dieser Platte gibt es durchaus auch relativ emotionale Momente. Und dazu sollte Too Tender (To Touch) gezählt werden. Hier spielt das Klavier eine etwas größere Rolle, arbeitet jedoch sehr gut mit dem Rest der Band zusammen, was nochmals das großartige Songwriting und auch die großen Fähigkeiten der Musiker unterstreicht. Als gefühlsmäßiger Gegenpol folgt Say When und kommt doch sehr ‚happy‘, oder besser; wieder sehr selbstbewusst daher. Denn der Text hat erneut eine starke feministische Aussage („I say when to stop“), die mal wieder eine Message beinhaltet, die, leider, bis heute noch nicht von jedem Mann, teilweise auch nicht von jeder Frau, ernst genommen und akzeptiert wird. Mit Writing on the Wall gibt es im Anschluss einen weiteren Leckerbissen der Musik, die verschiedene Parts, die charakteristisch für das gesamte Album sind, zusammenfassen. Telepathy ist das Lied, das auch dem Letzten textlich deutlich machen wird, warum das Wort ‚Selbstbewusstsein‘ der Kernbegriff zur Beschreibung von Lene Lovich ist. Auch wenn es der vielleicht nicht stärkste Song auf Stateless ist, so passt er doch gut ins musikalische Gesamtbild und noch besser in den Zusammenhang der Lyrics, die sich hier finden lassen, wenn auch diesmal auf einer anderen Ebene.

Nach dem bereits genannten Song ist Momentary Breakdown wohl das zweite, bekanntere Lied dieses Albums. Das Thema behandelt, hier wie auch bei einigen anderen, zwischenmenschliche Beziehungen. Was auch hier wieder heraussticht, sind die gesanglichen Ähnlichkeiten, die vor allem bei „Ah-oo, ee-ay“-Rufen, aber auch insgesamt in der Art und Weise des Gesangs deutlich werden. Nicht nur die Musik, sondern auch eine Freundschaft verbindet Lene Lovich mit Nina Hagen, die sicherlich, besonders in Deutschland, wesentlich bekannter ist, was sich in ihrer Zusammenarbeit und ihrem Stil zeigte. Daher bietet sich ein vergleichendes Hören beider Sängerinnen durchaus an. I Think We’re Alone Now schließt auf gewisse Weise auch daran an. Mit etwas mehr Ruhe, was entsprechend zum Text passt, zeigt, dass doch recht simples Songwriting durchaus dazu in der Lage ist, ein packendes Stück zu schaffen. Bevor es zum Ende kommt, geht es mit One in 1,000,000 nochmals richtig zur Sache. Dieser Song passt sehr gut in dieses Genre und in die Zeit, weshalb er sich sehr gut im Gesamtkonzept des Albums einfügt und für schöne Abwechslung über die gut 35 Minuten sorgt. Das Album schließt mit Tonight, einem der besten Lieder, auf welchem auch Lene Lovichs Talent am Saxophon zum Vorschein kommt. Mit einem hoffnungsvollen, positiven Gefühl werden wir aus einem musikalischen Meisterwerk der 70er Jahre entlassen.

Des Metal, und besonders des Black Metal, werde ich persönlich wohl nie überdrüssig sein, doch seit einiger Zeit kommt es vermehrt vor, dass etwas anderes gehört werden muss und will. Und neben so vielen anderen Bands und Genres kann Lene Lovich hier eine wundervolle Alternative bieten. Woher die Offenheit und die Begeisterung für solche Musik nun kommt, die doch sehr weit vom ursprünglichen Geschmack entfernt ist, das vermag ich nicht zu erklären. Doch die Musik auf Stateless bringt das, was wir doch alle, unabhängig vom Genre, in der Musik suchen: ein gutes Gefühl, ein Umgang mit Emotionen, eine Hilfe bei mieser oder guter Laune. Sicherlich ist die Musik eine solche, die man nicht zwangsläufig jeden Tag, an einem Stück hören muss und kann, aber wie bei allem kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. Und auch nach mehrmaligem Durchhören zu verschiedensten Zeiten verliert Lene Lovich niemals an der Begeisterung, die sie schon beim ersten Mal ausgelöst hat. Neben der Musik, auch das sollte nochmal deutlich gemacht werden, sind es auch einige Texte, die es immer wieder wert sind, auf sich wirken zu lassen. Von daher ist das 1978er-Album Stateless von Lene Lovich jedem nur wärmstens ans Herz zu legen. Zumindest sollte man diesem Werk, aber auch anderen, fremden Künstlern die Chance geben zu begeistern. Denn wie eingangs erzählt, kann doch einiges überraschen und sich entwickeln. Und wenn diese (musikalische) Offenheit nicht erlernt wird, dann läuft man Gefahr, schlicht und ergreifend viel Positives zu verpassen.

 

Bei der hier eingebetteten Version des Albums auf Spotify handelt es sich um den UK-Release mit einer anderen Song-Reihenfolge, als auf der im Text beschriebenen Originalvinyl von 1978.

Bei der Aktion Adventskalender stellen euch die Redaktionsmitglieder ein Album vor, welches ihnen am Herzen liegt. Hier erwarten euch die All-Time-Favorites oder Alben mit einer großen persönlichen Bedeutung.

Türchen zuvor

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*