Auf einen verregneten Samstag folgte ein sehr sonniger Sonntag auf dem Gelände des Amphifestivals. Der Tanzbrunnen lag still da, denn auch eine halbe Stunde nach Öffnung der Tore war heute kaum etwas los, wobei es dieses Jahr wohl deutlich mehr war als in den Jahren davor, wie ich mir habe sagen lassen. Die wenigen Anwesenden waren trotzdem sichtlich verschlafen und mit Sicherheit versteckten sich unter dem ein oder anderen Make-Up Zeichen der letzten Nacht. Aber wer feiern kann, kann auch weiter feiern (oder so ähnlich…) und anscheinend wollte viele den Opening Act nicht verpassen.
Die Bayern von Schöngeist sind, obwohl sie schon seit 2006 bestehen, immer noch ein Geheimtipp. Völlig unverdient, denn sie sind viel besser als das und haben definitiv mehr Bekanntheit verdient. Mit „zarten“ Tönen wurden die müden Menschen aufgeweckt und in Bewegung versetzt. Im Publikum konnte man zwischenzeitlich Nik von Lord of the Lost erspähen, der sich anschaute, was seine Dark Rock Kollegen da so trieben. Mich überzeugten Schöngeist in jedem Fall und das neue Album, was demnächst kommen wird (der Release-Termin ist noch nicht bekannt), werde ich mir auf jeden Fall geben.
Wiegand betraten die Bühne für den zweiten Act des Tages. Wiegand ist ein Projekt von Helge Wiegand, der live musikalisch und sonst im Hintergrund von Jens Domgörgen, dem Co-Moderator des Amphifestivals, unterstützt wird. Ihr aktuelles Album Arrived konnte sich im Vorfeld vom Amphi in den German Electronic WebCharts auf Platz 1 vorarbeiten. Mit diesen nahezu perfekten Grundvoraussetzungen gab es erstmal mit „eine[r] kleine[n] Ballade für die Schlafschäfchen“ da draußen ordentliche Bässe um die Ohren, damit auch ja jeder endgültig wach ist. Der Platz war inzwischen auch schon gut gefüllt, aber noch nicht mit dem Tag zuvor vergleichbar.
Vielleicht zog es einige auch gar nicht bis zur Main Stage, sondern gleich ins Theater, denn hier spielte die Band, die mich auf dem Hexentanzfestival schon absolut umgehauen und viele als Support von Subway to Sally überzeugt hatte: Blitz Union. Die Newcomer, die die Schwarze Szene mit ihrer Industrial-Pop-Metal Chimäre gerade im Sturm erobern, lieferten auch hier eine unglaubliche Show ab. Das Theater war zunächst noch spärlich gefüllt, was den Anwesenden genug Platz zum Springen, Tanzen und Headbangen verschaffte. Der Saal füllte sich aber stetig immer weiter und Sänger Mark Blitz stellte selbst fest, was für eine Energie diesem Raum innewohnte. Er bezeichnete diesen Auftritt als „best show ever“ und fing kurzerhand einen Circle Pit an. Wer nach dieser Show nicht von Blitz Union überzeugt ist, dem kann ich auch nicht mehr helfen.
Bleiben wir doch einfach im Theater, denn hier ging es mit Traitrs direkt weiter. Ein fast schon gegensätzlicher Kontrast zu Blitz Union, denn wo eben noch Party gemacht wurde, durchdrangen nun melancholische Töne die Gehörgänge, die einen in die Post Punk Ära der 80er Jahre zurückversetzten. Viel Show gab es nicht, die Bühne wirkte ohne jegliche Dekoration viel zu groß für die beiden Kanadier, aber das spiegelte auch erstaunlich gut die Stimmung der Musik wider. Irgendwann wurde man hineingesogen und musste sich dem Gesamtbild einfach hingeben und merkte auch nicht, wie die Zeit verging. Am Ende war die vergangene Zeit irgendwie viel zu kurz. Aber man hatte ja die Umbaupause Zeit, das Erlebte etwas sacken zu lassen.
Ebenfalls im Theater spielte eine Band, die ich schon länger live sehen wollte, Scarlet Dorn. Die Schützlinge von Chris Harms klingen auf den Aufnahmen nach meinem Geschmack etwas schwach, Dark Pop trifft es sehr gut. Live ist das eine andere Geschichte, hier kam der „Wumms“, der mir fehlte, sehr gut raus. Die enge Verbindung zu Lord of the Lost konnte man nicht nur hören, sondern auch im Publikum an der großen Anzahl an LotL-Shirts sehen. Ansonsten war der Saal im Vergleich zu Traitrs ziemlich leer. Scarlet Dorn, die Sängerin, verbindet eine besondere Geschichte mit dem Amphifestival. Der Preis für den Wettbewerb, den sie gewann und durch den sie von Chris Harms entdeckt wurde, waren Tickets fürs Amphifestival.
Der insgesamt recht rockige Tag wurde um eine weitere Dark Rock Band auf der Main Stage ergänzt, nämlich Unzucht. Vor der Main Stage war die Stimmung am Kochen, was auch an der Sonne lag, die die Laune erheblich besserte. Inzwischen waren auch nahezu alle Feiergäste der Party von Samstag wach und hatten den Weg zum Tanzbrunnen gefunden, was sich am deutlich gefüllten Platz zeigte. Auch kaum eine Band hatte mehr Publikumsinteraktion als diese. Egal ob Stecken-Einhörner, die ihren Weg auf die Bühne fanden oder Strandbälle, die auf die Bühne geworfen und zurückgekickt wurden, es gab viel Action. Leider hat die Security die Bälle irgendwann einkassiert. Der Schulz musste natürlich auch einmal in der Menge baden und crowdsurfen. Zum Ende wurden Setlisten ins Publikum geworfen und die Bälle gab es von der Security auch wieder zurück.
Die Main Stage wurde durch ein weiteres Projekt zum Beben gebracht. Mit einem Oldschool Electro Set wurde zur Church of Combichrist geladen, denn es war ja schließlich Sonntag. Ihre Anfänge hatten sie im Aggrotech und Rythm’n’Noise, aber gerade mit dem 2016er Album This Is Where Death Begins tauchten sie eher in den Metal ein. Heute hieß es back to the roots – nur zu zweit, mit Sänger Andy LaPlegua und Keyboarder Elliot Berlin. Die Beats wurden auf der Bühne live geloopt, mit mehreren Synthies und sogar einem Theremin. Es war eine einzige Party, die auch gleichzeitig das 20-jährige Bestehen der Band feierte und niemand auf dem Platz stand still.
Über kaum eine Band wird zurzeit mehr diskutiert als über Lord of the Lost. Der Ausverkauf, der stattfände, die ESC-Teilnahme, Vergleiche mit Unheilig, der Untergang der Band sei nur noch eine Frage der Zeit und was sich sonst noch alles angehört werden muss, wenn es um die Hamburger Jungs geht. Von all dem war hier wenig zu sehen oder zu hören, denn der Platz vor der Main Stage war rappelvoll. Das Gesprächsthema heute war eher der Keyboarder, denn Gared schien keine Lust gehabt zu haben und wurde durch Borat vertreten. Mit Iro, angeklebtem Schnauzer und im Mankini betrat er die Bühne und ließ die Träger einmal schnalzen bevor er sich an seine Instrumente begab. Die anderen waren zum Glück mit „normalen“ Bühnenoutfits ausgestattet. Chris Harms kommentierte das Ganzte mit den Worten „holt euch niemals einen Keyboarder in die Band“. Es gab sowohl Songs von Blood & Glitter als auch viele Klassiker zu hören und anstelle von Pyro gab es heute Nebelmaschinen. Ein-Personen-Circle-Pits wurden ebenso veranstaltet wie das klassische Springen und Klatschen und wieder einmal hatten alle Beteiligten sehr viel Spaß an der Sache. Leider setzte langsam Regen ein und uns zog es ins Trockene.
So war unser Abschluss des Festivals L’Âme Immortelle auf der Orbit Stage, auf der MS Rheinenergie, wo es warm, nicht so voll und vor allem trocken war. Sie brachten das Schiff zum Beben, einmal wegen der Musik und weil quasi jeder, der konnte, in Bewegung war. Die starken Gesangsstimmen bildeten einen schönen Kontrast, sehr passend für ein Festival voller Kontraste und luden ein, die Gedanken treiben zu lassen, die Musik aufzunehmen und die nach zwei Tagen doch etwas schmerzenden Füße für einen Moment zu vergessen.
Draußen wurde es langsam dunkel und das Amphifestival neigte sich dem Ende zu. Zwei wunderschöne Tage voller Emotionen und guter Musik endeten, damit alle in den Trott des Alltags zurückkehren sollten. Aber im nächsten Jahr sehen wir uns hoffentlich alle wieder, um wieder schöne Erlebnisse zu sammeln.
An diesem Tag haben neben den genannten Bands außerdem Qntal, Oberer Totpunkt, Solitairy Experiments, Potochkine, Fïx8:Sëd8, Whispering Sons, Rue Oberkampf, Coppelius, NNHMN, Kite, OMD und Actors. Durch den sehr parallelen Spielplan war es leider nicht möglich, alle Bands komplett spielen zu sehen, von Qntal, Solitairy Experiments, Coppelius, OMD und Actors zeigen wir euch trotzdem Bilder:
Qntal:
Solitary Experiments:
Coppelius:
OMD:
Actors:
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