Die Finnen kommen…
Vielleicht ist sogar Finnisch die nächste Welt-Metal-Sprache, tummeln sich im Dezember doch einige finnische Bands im Frankfurter Raum mit Konzerten; die Welt hat immer noch Nachholbedarf.
Nightwish, eine der größten Female-Fronted-Symphonic-Metal-Bands waren zu Gast in der Frankfurter Festhalle. Aber bevor diese auftraten, konnte man seine oben erwähnten Finnischkenntnisse gleich bei der ersten Vorband Turmion Kätilöt anwenden und, wenn man deren knapp 20-jähriger Bandgeschichte brav gefolgt ist, auch mitsingen. „Die Hebammen des Verderbens“, (ich gebe es zu, ich habe es recherchiert… Anm. der Red.) treten gerne zu sechst mit kriegerisch geschminkten Gesichtern auf, lassen die Haare fliegen, bzw. die langen Zöpfe und boten der schon anwesenden Zuhörerschaft einen guten Einstieg. Vom Musikstil in der Ecke des eher selteneren Industrial-Metal angesiedelt mit, tatsächlich, Techno-Elementen, sollte das die erste der drei Stilrichtungen des Abends werden.
Übrigens, Turmion Kätilöt gehen nach dem Support der Nightwish-Tour bis zum 21.12.22 ab dem 14. Januar 2023 selber auf ihre eigene Tour, natürlich mit einem neuen Werk, dem Album Omen X. Auch mit Frankfurt wird es ein Wiedersehen geben, speziell für die jetzt neu dazugewonnenen Fans. (Das Bett, 01.03.2023)
Unter ihrem Logo des in einem Rund sitzenden Skeletts geht derweil die Post ab. „Sikiö“ heißt das „Wappentier“, die Archäo-Forensiker hätten ihre helle Freude dran, man beachte alleine die Hörnchen dieses noch zu bestimmenden Wesens…
Die zu dem Zeitpunkt etwa halb gefüllte Festhalle, inklusive Ränge, fängt an, der Musik zu folgen, lässt sich in dem Elektro-Dance-Metal einfangen und gibt alles, um der der Band gegenüber zu signalisieren, dass ihr Auftritt die noch magere Publikumskulisse trotzdem erreicht.
Ein Song in Englisch ist gegen Ende dabei, inklusive Händeschwenken. Ich fühle mich nicht mehr auf einem Metal-Konzert, eher auf einer Dance-Party, aber immerhin immer noch wohl. Der Auftritt begeistert einfach und irgendwie reißen Turmion Kätilöt einen mit. „One more in English“, und schon ist das mit dem „Finnisch-Nicht-Verstehen-Was-Singen-Die-Da?“ vergessen – schade eigentlich.
„Thank you Frankfurt – we love you“ – „We love you, too“, wir sehen uns bestimmt auf Eurer Tour in 2023. Die Spätkommer haben an diesem Abend was verpasst.
Fotos von Thomas Fritz @catchingmovements
Beast in Black, auch aus Finnland, erobern den Platz auf der Bühne, wie unschwer am übergroßen Namens-Banner im Hintergrund erkennbar ist. Aber erstmal nicht in Person, sondern erstmal mit einer Bombast-Einlauf-Musik, die dem Publikum signalisieren soll, dass nun etwas Großes auf der Bühne demnächst erscheinen werden soll. Unter Beobachtung der schönen weiblichen Anime-Amazone im Hintergrund beginnt Schlagzeuger Atte Palokangas den Einlauf, grüßt das Publikum stehend hinter seinem Schlagzeug und setzt sich schon mal, übernimmt den Takt der Musik und grinst sich einen, was den ganzen Auftritt über nicht mehr nachlässt. Der hat Spaß.
Aber da sind ja noch mehr Musiker, die zu Blade Runner, dem Eröffnungssong, dazukommen. Ganz prägnant und mit sehr hohem Wiedererkennungswert, Sänger Yannis Papadopoulos, der mit der Band an vielen Stellen mit seiner Kopfstimme die Charakteristik des Power-Metal der 80er/90er wieder aufleben lässt. Ich dachte ja, die Zeiten sind vorbei, aber nein, in neuem Gewand macht dieser Stil einfach gute Laune. Sozusagen „Happy Metal“, wie ich kürzlich gelesen habe.
Zurückversetzt in die Zeiten von Accept, Judas Priest, Bon Jovi und Konsorten geht es weiter mit From Hell with Love bei dem auch die obligatorischen Synthi-Einspielungen abgerufen werden, für die so manche Band damals bekannt war und die, die es nachgemacht hatten, zerrissen wurden. Es muss eben passen. „We are here for one reason…“ die Spannung steigt, was als Nachsatz kommt, „…to give you the real heavy metal“. Das ist mal eine Ansage. Mutig. Vor allem, wenn man diese Sprüche schon vor dreißig Jahren von Bands gehört hat, die vielleicht etwas „metal“ waren, aber weit entfernt von „heavy“. Aber das ist Historie, Vergangenheit, hier findet nun ein Revival der fröhlichen Metal-Combo-Mucke statt und das durch Yannis mit einem sensationellen und überraschend großen Stimmumfang. Wie eben früher auch manche Bandnamen im Songtitel vorkamen, darf Beast in Black, das erste Stück vom ersten Album Breserker aus 2017 (!) nicht fehlen. Direkt danach geht es in das Stück Die by the Blade mit im Gleichklang schwenkenden Gitarren, gute Laune ist da Programm. Wir haben uns auch ganz dolle lieb und übertragen das aufs Publikum, das erstaunlicherweise sehr viele Abweichungen in der Kleidungsfarbe hat. Nix „nur schwarz“, nix „nur Kutte“, sondern wohl auch dem Altersdurchschnitt und eben der Konzert-Band-Zusammenstellung geschuldet, waren doch sehr viele Farbflecken in der nun etwas besser gefüllten Festhalle zu sehen.
Schöne Inszenierung bei To the last drop of Blood, bei dem das Schlagzeug mit den drei Gitarristen schon mal alleine loslegt, bevor dann wieder Yannis in seinem schwarzen, langen Mantel auf die Bühne hüpft und das Publikum ebenso die Füße abheben lässt. Power-Metal mit dieser Stimme… Das macht Laune, die Jungs auf ihrer Dark Connection Tour in 2023 nochmal zu sehen, dann mal nicht als Support. Die Pyro, mit der manche Bands ihre Songs unterstreichen, bleibt diesmal ganz und allein Nightwish vorbehalten, Beast in Black bleibt nur die Choreo mit unterschiedlich zusammenspielenden Gitarristen, mit einem Sänger, der umtriebig auf der Bühne immer mal von dem einen zu dem anderen springt.
Nach Moonlight Rendevous, der Disco-Dance-Pop-Nummer – manche erinnern sich noch an den „Disco-Fox“ – bricht mit One Night in Tokyo völlig der 80er-Elekroschlagzeug-Mit-Sing-und-Händeschwing-Zustand aus. Harter Tobak für Menschen, die später noch Hör-und Bewegungs-Energie für Nightwish übrig haben wollen. Ausdauer ist da angesagt. Blind and Frozen folgt noch, endlich mit einem Gitarrensolo, bevor mit einem dreimaligen „Thank you“ und dem Song End of the World nicht das selbige eingeläutet wird, sondern es im Stil einfach weiter geht. Hier zeigt Yannis nochmal seinen Stimmumfang und… irgendwie erinnert er mich da besonders an Rob Halford. Leider ist der Titel „Metal God“ schon an diese eine berühmte Persönlichkeit ähnlichen Stimmenumfangs vergeben und sogar geschützt… Aber wer weiß? … So als Nachfolger?
Fotos von Thomas Fritz @catchingmovements
Setlist Beast in Black:
- Blade Runner
- From Hell with Love
- Beast in Black
- Die by the Blade
- To the last Drop of Blood
- Moonlight Rendezvous
- One Night in Tokyo
- Blind and Frozen
- End of the World
Das übergroße Banner mit dem Nightwish-typischem Artwork, das den Blick auf die Bühne versperrt, hängt seit zwanzig Minuten, als die ersten Töne erklingen. Am Schlagzeug sitzt Kai Hatho, seit 2019 dabei als Nachfolger von Jukka, und beginnt mit dem Trommeleinsatz zu der Introversion von Music alleine auf der Bühne. Nach und nach kommen die anderen Mitglieder ebenfalls zum Vorschein. Dann kurzer Wechsel, Floor ist am Mikro mit einem deutschen „Hallo Frankfurt“ und schon geht’s los. Noise ist angesagt. Keine Spur von der gut verlaufenen Krebsoperation erst im November. „Fuck Cancer“ kann man da nur schreiben und hoffen, dass da nichts mehr übrig bleibt. Eine Strahlentherapie steht noch an, die Asien-Tour muss verschoben werden. Aber, Nightwish sind ja hier und jetzt in der nun besser gefüllten Festhalle inklusive offener Ränge.
Nun ja… als langjähriger Fan musste ich auch bei Storytime mitfühlen. Ja, solide, stimmlich sowieso, aber mir persönlich fehlt einfach die „rotzige, freche“ Stimme von Anette… Nun ja… Klagen auf sehr hohem Niveau, die Stimme von Floor ist mir da zu operal, zu ausgebildet, aber das ist ja Geschmacksache. „Jetzt ist wieder alles möglich“, ihre Worte ans Publikum zu den ersten Takten von Tribal – und viele der Besucher werden ihr sowas von Recht geben. Nun kommt auch mal so richtig die Pyro zu Einsatz, die dazu passenden Toten-Schädel tauchen auf der Hintergrundleinwand auf, während es direkt danach mit Élan schon wieder balladesker wird. „It’s for my daughter“, war die Ansage und das Publikum singt mit. Es stört auch nicht wirklich, dass die Festhalle mal wieder dem Ruf gerecht wird, nicht richtig gut für solche Konzerte geeignet zu sein. Der Doppelhall ist wahrscheinlich nur auf den Rängen wahrnehmbar. Die Stimmung zählt und die ist gut.
Bei 7 Days to the Wolves kann der Multinstrumentalist Troy Donockley als Sänger nicht an Marco Hietala ran reichen. Ihm fehlt es einfach in den Tiefen, in der Wucht, in der Ausstrahlung. Leider verliert der Song dadurch etwas, ebenso Dark Chest of Wonders. Die Hintergrundanimationen wechseln in brennende Bäume, ein Hinweis darauf, dass es auf der Welt an allen Ecken brennt.
Harvest kommt sehr reduziert, Floor sitzt einfach auf dem Podest und singt den Song im Duett mit Troy und alles ist gut. Da passt alles. Die Stimmen harmonieren, im Hintergrund sind herbstliche Blätter zu sehen, einfach eine sehr schöne Stimmung, bevor es mit I Want My Tears Back wieder etwas schneller wird. Aber auch hier… Marco fehlt. Troy macht wirklich einen super Job, aber das „aber“ bleibt. Wenn man die früheren Zeiten nicht kennen würde, dann müsste das so sein. Nemo, ein absoluter Tarja-Song, wird von Floor interpretiert und das tut dem Song und ihr selber auch gut. Angepasst auf ihre natürlich auch ausgebildete Stimme gibt sie eine neue Richtung vor; manch‘ Ära einer Nightwish-Sängerin sind einfach vorbei.
„Ob sie auf Weihnachten warten?“, fragt Floor und bittet das Publikum um „Weihnachstkerzen“. Also gehen die Handylichter an, das Licht wird reduziert und die Festhalle ist schlagartig in einer romantischen Stimmung. How’s the Heart, beleuchtet von fast nur Handylichtern, in der Akkustik-Version – einfach schön. Shoemaker setzt nochmal einen obendrauf. Das Stück reizt die Stimme von Floor aus, gegen Ende des Stücks geht dazu erhaben die Sonne vor der Mondoberfläche auf, opulent in Szene gesetzt. Auge und Ohr sind glücklich.
Nach Last Ride of the Day beweist Nightwish, wie auch lange Songs in einem Live-Konzert ihre volle Wirkung entfalten können. Ghost Love Score mit gut zehn Minuten lässt den Zuhörer in einer Klang- und Bildwelt zurück, die dann im Höhepunkt des Abends mit The Greatest Show on Earth in der vollen Länge nochmal alle musikalischen wie pyrotechnischen Register zieht. Ein phänomenaler Bilder- und Musikrausch ist da im Gange, der eine Erinnerung schafft, die bleibend ist. „We were here“ als dreifaches Ausrufezeichen.
Noch oben drauf der Akzent beim „Abspann“. Die Musiker haben alle die Bühne verlassen, das Stück Ad Astra läuft vom Band, das Publikum ist etwas ratlos, gespannt, bis die Bandmitglieder sich auf der Bühne aufreihen, Floor sich wieder ans Mikro stellt und den Schlusspart live mitsingt. Das ist Gänsehaut. Danke Nightwish für diese Eindrücke.
Fotos von Thomas Fritz @catchingmovements
Setlist Nightwish:
- Intro („Music“ Ambient & Percussion)
- Noise
- Storytime
- Tribal
- Élan
- 7 Days to the Wolves
- Dark Chest of Wonders
- Harvest
- I Want My Tears Back
- Nemo
- How’s the Heart (acoustic)
- Sahara
- Shoemaker
- Last ride of the Day
- Ghost Love Score
- The Greatest Show on Earth (Full)
- Outro: Ad Astra
Antworten