Interview mit Alexander Kaschte [Samsas Traum] – “Dafür sind Helden da” Tour 2022

Das Interview fand vor dem Konzert am 16.11.2022 im Rind, Rüsselsheim im Backstagebereich statt.

Hallo Alex, vielen Dank für die Gelegenheit, dieses Interview führen zu können.
Ihr seid jetzt in der Halbzeit eurer Tour – guter Zeitpunkt für ein Zwischenresümee? Unterscheidet sich die Tour von bisherigen durch ihr Akustik-Setting oder durch ihr zugrunde liegendes Thema?

Alexander Kaschte: “Es ist schön, dass wir so wenig Leute sind, dadurch ist das Ganze viel viel einfacher und viel familiärer.

Von der Crew oder vom Publikum gesprochen?
A: “Beides. Kleinere Konzerte in kleineren Locations – die Leute sind dadurch näher an der Band und es kommt eine intimere Atmosphäre auf, was wir auch beabsichtigt haben. Wir lernen überall nette Menschen kennen und nehmen viele neue Freundschaften mit.

Das was wir vorher gemacht haben, 2020 und 2018, war mir persönlich ein bisschen zu aufgeblasen. Man hat einfach wenig Freiraum in so einem großen Gebilde, wie den Produktionen, die wir vorher gefahren sind.

2018 beispielsweise wart ihr ja auch hier im “Rind”. Kamen euch die kleinere Locations zuerst in den Sinn? Oder war das eine Sache, die sich daraus ergeben hat, dass es eine Akustik Tour sein sollte?

A: “Wir haben ursprünglich die beiden Konzerte in der Ukraine gespielt, welche die Initiativzündung für dieses ganze Akustik-Set waren. Als wir damit fertig waren, bemerkten wir – jetzt haben wir 10, 12 Wochen Zeit investiert in das Vorbereiten dieser Stücke. Da wäre es natürlich blöd, wenn wir das jetzt nicht auch noch den deutschen Fans irgendwie zugänglich machen würden. Da im Augenblick alle größeren Locations ausgebucht sind – es müssen Konzerte von zwei Jahren Corona-Pandemie nachgeholt werden – haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und sind auf die kleineren Locations zugegangen.”

Die Tour steht ja unter dem Motto Dafür sind Helden da – zumindest ist das ihr Titel. Auch in deinen Songs und Printwerken kommen immer wieder Heldencharaktere vor. Welche Nummer eines Helden hättest du gerne im Handy?

A: “Welchen Helden ich gerne anrufen würde? Selenskyj würd ich gerne mal anrufen. Das wäre was, was mich wirklich interessieren würde. Ansonsten hab ich kaum Idole, vermutlich eher Leute, die schon tot sind, aber das sind dann meistens Wissenschaftler. Klitschko hab ich schon mal getroffen, der ist mir in Kyjiw bei einer Veranstaltung über den Weg gelaufen. Das war ganz lustig, plötzlich stand er einfach vor mir.”

Die Songliste ist ja identisch mit denen aus Kyjiw und Lwiw, welcher Song musste unbedingt drauf, welcher kam dir sofort in den Sinn?
A: “Das Lustige ist – ich hatte keinerlei Einfluss darauf. Es war so, dass wir möglichst schnell ein Programm auf die Beine stellen mussten und deswegen hab ich das alles Michael überlassen, dem Gitarristen. Wenn er gesagt hat: Dieser Song – da fällt mir sofort was zu ein oder der liegt mir gut in der Hand, den kann ich gut spielen, dann kam er auf die Songliste. Er hat er sich einfach hingesetzt, hat viele Platten durchgehört und die Songs, bei denen er das Gefühl hatte, dass er das schnell umsetzen kann, denn die Zeit war knapp, wurden genommen – so ist das entstanden. Über den Lauf der Tour, hat sich dann ergeben, dass Liebeslied und Dort oben sterben Tiere die beiden Nummern sind, die mir persönlich am besten liegen.”

Vor allem Dort oben sterben Tiere passt ja auch thematisch, dadurch, dass es nicht Veganismus, dachte ich persönlich auch jahrelang, sondern Faschismus gilt.
A: “Ja.”

Also hat die Umsetzbarkeit die Songauswahl maßgeblich mit beeinflusst?

A: “Genau. Es ging darum, mit möglichst kleinem Besteck, ein paar Fußpedalen und einer Gitarre, in die Ukraine zu fahren. Ohne große Crew, ohne großes Equipment. Dadurch haben wir auf folgende Dinge geachtet: Was lässt sich leicht umsetzen für die Akustik Gitarre und was langweilt mich?”

Daher auch die Lösung mit dem Loopen, dass man trotz kleiner Band erweitern kann?

A: “Ja genau!”

Spannende Sache – freu ich mich jetzt schon drauf!

2013/2014 warst du ja das erste Mal in der Ukraine [Betonung auf U und A]

A: “UkrA-Ine.

Stimmt Ukraine [Betonung auf U, A und I]. Entschuldigung.

A: “Das kann nicht mal unser Bundespräsident richtig aussprechen.”

Ja, ich lerne da auch noch die Kyjiw Schreibweise [gemeint ist hier die Schreibweise Kyjiw, welche der ukrainischen nicht der russischen Sprache entspricht], versuche ich mir auch noch anzueignen – anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber man kommt rein.

A: (erfreut) “Hmm gut.

Du warst 2013/2014 ja das erste Mal in der Ukraine wegen – EIGENTLICH – “Und der Name des Sterns heißt Demut” – der Bildband über Tschernobyl.

A: “Ursprünglich war ich das erste Mal mit einer Hilfsorganisation aus Hamburg dort. Es ging um Spenden für ein Kinderheim für Tschernobyl-Kinder.”

War das auch in dem Zeitraum oder war das sogar noch davor?

A: “Das war 2014, das war das erste Mal.”

Da bist Du das erste Mal in Kontakt mit den Menschen gekommen?

A: “Na ja, ich bin aus der U-Bahn gestiegen und stand mitten in der Revolution auf dem Majdan.”

Genau da warst du ja – könnte man sagen – mehr oder weniger hineingestolpert?

A: “Genau – und dann ging es los.” (lacht)

Wie hat sich der Angriffskrieg Russlands so auf dein Verhältnis zu den Menschen ausgewirkt, die du damals kennengelernt hast? Ich vermute mehr Sorgen haben das Ganze wieder intensiviert?
A: “Ich kann sagen, diese Tschernobyl-Geschichte, war sehr langwierig. Ich war ungefähr 13-15 Mal in Tschernobyl und in der Ukraine und habe dort viele Interviews und Gespräche geführt. Ich habe irgendwann gemerkt, dass das Ganze einen sehr großen Teil meines Lebens eingenommen hat. Einen Teil, der so groß war, dass man sich entscheiden musste: Man stürzt sich da jetzt entweder voll rein, oder man lässt es bleiben. Wenn man sich für soziale Projekte engagiert, dann nimmt das schnell ausufernde Formen an. Ich hatte auf einmal ein zweites Leben in der Ukraine – und damit bin ich nicht klar gekommen. Da ich außerdem gemerkt habe, dass es einige Sachen gab, gegen die man nicht ankämpfen konnte. Dinge, wie zum Beispiel die Korruption oder die Mentalität, dass ständig mehr gefordert wird, weil sie gar nichts haben. Das waren Sachen, mit denen ich teilweise nicht klar kam. Ich habe dann irgendwann beschlossen, dass ich mit dem Ende dieser Buchproduktion einen Cut mache. Dann kam die Ukraine in meinem Leben so ungefähr 2-3 Jahre lang nicht vor.

Ich bin zwischendurch zwar zu Rockkonzerten rüber gefahren, habe mir Kiss im kyjiwer Stadion angeschaut und habe auch einen Abstecher dorthin gemacht um die Leute zu besuchen, aber es war nicht mehr so in meinem Alltag präsent – und jetzt ist es halt wieder komplett da. Da man eben natürlich wissen möchte, wie es den Leuten geht und was sie so machen. Wenn man sich da einmal reinhängt und dann jetzt, wie bei dieser Reise, Musikerfreundschaften geknüpft werden, man plant ein Musikvideo dort zu drehen und noch weitere Sachen zu machen, wie Plattenproduktion und weiß der Geier was – dann wird das noch intensiver. Ich denke, dass ich auch noch in viel gefährlichere Situationen kommen werde als beim letzten Mal. Weil es sich einfach nicht vermeiden lässt.”

Aber da sagst du: “Okay, ich will das und auch wenn es gefährlich ist, da lasse ich mich jetzt nicht von abschrecken”?
A: “Ne, die Sache ist ganz einfach: Die Leute, die da leben, haben auch keine Möglichkeit abzuhauen. Die können auch nicht sagen ‘Ich hör jetzt mit meinem Leben auf und mein Alltag ist fertig, ich drück jetzt die Pause Taste oder nehm mich raus.’

Man muss sich immer diese Frauen angucken, diese Großmütterchen oder diese Kinder – die Leute, die sagen: ‘Ich bleib hier bei meinem Mann, bei meiner Familie. Ich lass mich nicht kleinkriegen. Ich bleib in dem Haus sitzen, auch wenn drüben die Raketen einschlagen.’ So viel Arsch in der Hose möchte ich mal haben.”

Wir kennen hier ja nur die Bilder aus dem Fernsehen, das ist ja noch einmal etwas ganz anderes, als wenn man wirklich vor Ort ist, und dann sieht man dieses Maß an Zerstörung, Chaos und die Leute, in deren Leben genau das gerade Alltag ist. In jedem getroffenen Gebäude lebten ja auch Leute.
A: “Die Straße, in der wir gewohnt haben als wir dort waren, wurde eine Woche später in die Luft gejagt. Ein Spielplatz, auf den ich mit meiner Tochter ging, als sie noch klein war. Da hab ich dann vor Kurzem auf ZDF Fotos gesehen, wie der Sandkasten quasi ein Raketenkrater war.”

Uff …

Ihr seid ja auch dafür bekannt, Genre häufig miteinander zu mixen, die man nicht unbedingt vorher kannte oder miteinander in Verbindung gebracht hat und sich dabei keinem Genre zu verschreiben. Ist die Wahl des Genres eher abhängig von den derzeitigen musikalischen Interessen deinerseits? Oder ist das dann eher etwas, dass dann thematisch zu dem Inhalt des Albums gewählt wird?

A: “Das hat etwas mit Langeweile zu tun. Ich hab ein Problem damit, ständig dasselbe zu machen. Wenn mir etwas langweilig wird, dann mach ich einfach was anderes, versuche mich in etwas Neuem. So hab ich mich durch die unterschiedlichen Alben gehangelt. Ich wollte Black Metal Gitarrist sein, ich wollte Gothic Star sein, ich wollte deutscher Hip Hopper sein, ich wollte Skandalnudel sein und hab dann einfach unterschiedliche Sachen gemacht. Mittlerweile bin ich aber an einem Punkt angekommen, an dem ich glaube, dass sich das nicht mehr verändern wird. Also diese Black Metal Schiene von Kalk, dem langen Song, den wir auch 2020 gespielt haben, das ist das, wo ich mich persönlich jetzt verorte. Beziehungsweise auch diese eher Goblin mäßigen Italo-Prog Sachen, die in Zukunft auch häufiger auftauchen werden.”

Das sind gute Aussichten – je nachdem, wen man nun fragt (Lachen).

Was ist denn eine Assoziation mit der Band oder auch mit dir als Persönlichkeit, die du gern einmal über Bord werfen würdest?
A: “Arschloch! – Es ist unglaublich. Ich verhalte mich seit zehn Jahren eigentlich nur noch wie ein normaler Mensch. Bin auch im Umgang mit Geschäftspartnern und allen Leuten absolut, möchte ich mal sagen, cooler, professioneller und freundlicher als andere Leute. Aber die Interviews aus den ersten drei Jahren der Band, die hängen mir immer noch nach. Alle Leute sagen immer: “Ich habe gedacht, du bist so ein arrogantes Arschloch und jetzt habe ich verstanden, bist du gar nicht” – das kann man sich gar nicht vorstellen, wie oft ich das höre. Die Scheiße bleibt an dir kleben. Was du sagst, was im Internet steht, was aus den Zeitungen hängen bleibt, das ist immer da. Und es wird, wer weiß, was in mich hineinprojiziert, was überhaupt nicht stimmt. Das würde mich freuen, wenn das eines Tages aufhört, aber ich glaube nicht, dass das JEMALS der Fall sein wird.”

Deswegen auch die Aussage, die Wikipedia Einträge revidierst du gar nicht mehr, weil du gar nicht wissen willst, was da alles geschrieben wird?
A: “Genau. Bei wissenschaftlichen oder geschichtlichen Themen, wo eine klare Linie vorgegeben wird, nämlich eben die Wahrheit, ist es okay, wenn fremde Menschen das korrigieren können. Aber wenn es um die Biografie und das Leben von irgendwelchen Leuten geht, die noch am Leben sind, find ich das schon ziemlich abwegig. Diese Idee, dass man anderen diese Macht und die Kontrolle über die Geschichte eines Menschen gibt. Bei uns steht bei Wikipedia in der Band Besetzung, dass Helmut E., ein Fan aus Marburg, bei uns Bassist ist. Ich hab keine Ahnung, wer das da reingeschrieben hat, aber ich lass es da stehen. Wenn die Leute so blöd sind, das zu glauben, dann sollen sie ruhig weiter daran glauben, ich fasse das nicht an.”

Deine musikalische Neu- oder Wiederentdeckung in der letzten Zeit?
A: “In der letzten Zeit hab ich sehr wenig Musik gehört. Ich höre keine moderne Musik. Soll heißen ich höre keine Sachen, die jetzt raus kommen. Mich interessieren keine Veröffentlichungen, mich interessiert nicht, was die Konkurrenz oder die Kollegen machen. Das geht mir alles total auf den Sack. Ich mag keine Musik mehr, die mir irgendwas erzählen oder vorschreiben will. Ich mag Stimmen nicht besonders und auch dieses laute, dieses Geballere, Rumgeschrotte, dieses Aggressive. Das mag ich überhaupt nicht mehr.
Ich bin eher im Bereich Soundtracks unterwegs. Ich hör so Zeug wie John Carpenter sehr gerne, auch die neueren Sachen, die er macht. Und dann eben – Horrorfilm Soundtracks und Goblin! Immer wieder.

Gestern – das passt vielleicht zur Frage – waren wir in Hannover in einem Club namens SUBKULTUR. Der Club wird betrieben von einem alten Rockabilly Typen. Diese Psychobilly und Surf Sounds, die finde ich auch ganz gut.”

Surf Sounds? Sagt mir jetzt persönlich erst einmal nichts.
A: “Echt nicht? Such einmal nach Surf Musik, dann weißt du, was ich meine. Es gibt irgendwo eine Playlist, ich glaube auf YouTube, in der wurden die berühmtesten und bekanntesten Black Metal Klassiker, im 60’s Surf Sounds umgesetzt. Das sind diese alten 60’s Songs, in denen nur eine Gitarre, mit Tremolo, die Melodie spielt. Das ist das, was ich meine und auf so Zeug steh ich.”

Das klingt auf jeden Fall interessant und absurd genug um einmal reinzuhören!Damit kommen wir langsam zum Ende. Eine Frage vorweg, vor dem nächsten Block: “Dafür sind Helden da” – eher Bezug auf den gleichnamigen Track von “Scheiden tut weh” oder auf “WerWieWas”?
A: “Auf Fatalismus. Auf die Textzeile, die auf der Rückseite der Tickets steht. Aufs Sterben, auf den Tod. Dafür sind Helden da – Bezug auf ‘Das letzte Einhorn’.”

Perfekt – dann…
Das letzte Einhorn oder der rote Stier? Wenn ich die beiden nenne, wen präferierst Du?
A: “Natürlich das letzte Einhorn.”

Prinz Lír oder Zauberer Schmendrick?
A: “Natürlich Prinz Lír.

Mommy Fortuna oder König Haggard?
A: “König Haggard.

Okay, damit dann – abschließende Worte?
A: “Besucht wieder mehr Live Konzerte – die Leute brauchen euch. Die Ticketverkäufe sind – im Augenblick – bei uns verhältnismäßig gut, andere Leute, die größer sind als wir, kämpfen mit der Kacke.
Ich kann es nicht anders ausdrücken. Was gerade abgeht, ist für Veranstalter, Bands, Promoter, Clubs gleichermaßen eine einzige Katastrophe.
Freunde – ihr habt zwei Jahre Corona hinter euch – ihr solltet froh sein, dass ihr wieder vor die Haustür gehen könnt. Spart das Geld für andere Sachen, aber nicht für die Kultur, denn sie macht das Leben erst lebenswert.”
 
Damit vielen Dank Alex für das freundliche Interview und gute Tour noch!

Die “Dafür sind Helden da”-Tour macht noch Halt in folgenden Städten:

22.11.2022Viper Room, Wien (AT)
24.11.2022Tribüne Linz, Linz (AT)
25.11.2022Weltflucht, Bochum
26.11.2022Weltflucht, Bochum (Zusatzshow)
27.11.2022Q, Marburg

 

Der Konzertbericht zum Auftritt der Band im “Das Rind” in Rüsselsheim, sowie die Bilder folgen demnächst – bis dahin macht euch gern euer eigenes Bild und besucht eins der Konzerte!

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