Konzertbericht Blind Channel – Flatlinetour 2023; Halle 02, Heidelberg, Mittwoch 26.04.2023

Blind Channel -Heidelberg - Halle02 - Titelbild
 Blind Channel hat es geschafft und ist in den letzten Jahren stark in ihrem Ansehen gestiegen. Zunächst einmal als Teilnehmer am ESC, durch aufwendige Videos und schließlich als Vorband von Electric Callboy.
 
Als ich hörte, dass Blind Channel in Heidelberg spielt, wollte ich mir sie mal live anhören. Vor allem mit DER Vorband schlechthin – Venues. Eine Band, die ich vom Hören und Sagen seit dem letzten Traffic Jam kannte und damals war es subjektiv DIE Überraschungsband am Samstag. Gute Voraussetzung für einen tollen Abend.
 
Was leider etwas getrübt wurde, denn ich bin es nicht gewohnt in Deutschland nicht mit Bargeld zahlen zu können. In der Halle02 wurde ich etwas Besserem belehrt, Getränke nur bargeldlos. OK, ich bin eindeutig zu oldschool. Das dachte ich mir auch beim Publikum. Es war in meinen Augen sehr jung , gefühlt alle Anfang 20 und noch jünger. Aber wichtig ist, die Halle02 war von Anfang an sehr gut gefüllt und fast ausverkauft.
 
Venues betrat pünktlich um 20 Uhr die Bühne. Von Beginn an waren die Instrumente, Klargesang von Lela und das Shouten von Robin super abgestimmt. Die Texte konnte man gut auch ohne Kenntnisse verstehen und im Laufe der Show stand Robin öfter auf der Box und formte lautlos den Refrain mit. Durch den häufigeren Einsatz des Strobos wurde der Blick auf einzelne Musiker gelegt. Ich freute mich darüber, so wurden die Aktionen der Musiker mehr in den Fokus gelegt. Sei es der Schlagzeuger, der mitsingt, oder die letzte Strophe von Ignite. Lela singt mit glockenklarer Stimme ihre letzte Strophe und wird sehr deutlich mit Gesten von ihrem Kollegen Valentin an der Gitarre begleitet. Das Lied erlebt dadurch eine absolute Tiefe und einen Moment für die Ewigkeit.
 
Ich liebe solche Konzerte, wo ich viel zu beobachten haben, mithüpfen kann und Gänsehautmomente erlebe. Leider ist der Post-Hardcore nicht so gut mit Violent-Pop kompatibel. Das Publikum stand vorwiegend auf ihren Platz. Maximal kurz mitklatschen, einzelne Headbanger, das tat mir sehr für die Band leid. Ich fand sie auf der Bühne extrem sympathisch, professionell und wertschätzend z. B. Lela als sie das neue Lied Reflection ansagte. Sie meinte, dass der innere Kritiker gerne mal seine Fresse halten kann und jeder so toll ist, wie er ist. Starkes Wort und Ansage, ein Lied, was mich tief berührte – perfektes Post-Hardcore Lied (treibende Gitarre, Bass, Schlagzeug mit extrem guten Gesang). Es gab dann im Laufe der Show doch noch Reaktionen vom Publikum. Einmal als Robin, Blind Channel als mega sympathisch hervorhob und den Zuhörer viel Spaß wünschte…. Hier setzte ein wahres Kreischkonzert ein – ich bin eindeutig bei Take That gelandet. Was für eine Erinnerung an die 90er/00er als ich 15 war. Das zweite Mal beim vorletzten Lied, als die nächste neue Single Cravings angesagt wird und um eine Wall of Death gebeten wird. Ja, das Publikum kann sich doch bewegen, wobei das Lied mit seinem Tempo es einem auch wirklich einfach macht. Mit We are the one verabschiedet sich die Band mit dem Hinweis, sich zu freuen, mit dem einen oder anderen ein Cola oder Wasser am Merch zu trinken.
 
Ich bin von der Band absolut überzeugt, Post-Hardcore vom Feinsten, super abgemischt. Die Dankbarkeit, Wertschätzung, Bodenständigkeit und Empathie habe ich selten so intensiv auf einem Konzert erlebt. Was mich zum Abschluss bringt, dass ich mich sehr freue, dass Venues es auf Wacken geschafft hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Band danach kein Geheimtipp mehr ist. Verdient haben sie es.
 
Setlist
  1. Whydah Gally
  2. Uncaged Birds
  3. Ignite
  4. Shifting Colors
  5. Reflections
  6. The Epilogue
  7. Fading Away
  8. Cravings
  9. We are one
 
Blind Channel bezeichnen sich selbst als die Backstreet Boy des Metalls. Das Gekreische der Mädels haben sie ja schon mal auf ihrer Seite. Ich persönlich war gespannt wie ein Flitzebogen, wie das Konzert wohl wird. War das Publikum bisher sehr statisch und selten dynamisch, so änderte sich das schon beim Anheizen. Ok, die Jungs wissen, was sich gehört. Der Sound in der Halle ist phänomenal, wie schon bei der Vorband. Das Warm-up für die Show wird lautstark mit We will rock you (Queen) eingeleitet, gefolgt von Du hast (Rammstein) – das Publikum grölt den Refrain in einer Lautstärke mit – Wahnsinn. Der letzte Warm-up Song folgt mit One Step Closer (Linkin Park).
 
Das Intro der Show läutet eine Coverversion des Jonny Cash Songs Ring of Fire ein. Mit schnellen rhythmischen Lichtwechsel in Rottönen betritt die Band die Bühne, um mit Alive or Only Burning die Halle abzubrennen – im musikalischen Sinn. Bei den ersten Tönen entsteht ein Lärm, unfassbar, genau deswegen gehe ich auf Konzerte – man wird von der Energie mitgerissen. Von erstem Ton an sieht man vor, neben, hinter sich Leute, die mit singen, hüpfen, rappen etc. und ich bin hinten beim Techniker. Die Jungs von Blind Channel wissen, wie sie die Fans einheizen und es ist irre. Gefühlt jedes Lied endet, beginnt mit einer Wall of Death oder lässt eine entstehen, oder ermutigt zu Circle Pits oder zum Crowdsurfing. Ich habe das Gefühl, mit jeden Song steigt das Energielevel in der Halle und es gibt nur einen kurzen Moment zu verschnaufen.
 
Bei Scream sieht man das seltsame Bild, dass überall in der Halle die Handys hochgehalten werden. Ach, war es noch schön, als es Feuerzeuge gab. Nach der kurzen Verschnaufpause wird wieder angeheizt unter anderen als Sänger Niko Vilhelm Moilanen das Publikum anfeuert den Refrain von Last Resort mit zu grölen. Nicht nur Niko Vilhelm Moilanen feuert die Zuschauer an. Beim Lied Left outside alone (Anastasia Cover) bittet Sänger Joel Hokka, dass er jeden in der Halle knien sehen will und keine ‚Ausrede‘ wie ‘ ich hab es in den Knie‘ etc. gilt und… außer dem Techniker und paar Einzelnen knien alle. Egal, was man von der Band hält, sie haben ihr Publikum in ihren Fängen und lassen sie nicht los. Eine so gut wie ausverkaufe Halle und Musiker gemeinsam knien zu sehen, um im nächsten Moment hochzuspringen und die gesamte Halle zum Springen zu animieren – Es zaubert mir immer noch ein fettes Grinsen auf mein Gesicht und Gänsehaut. Wer bisher nicht im Strudel war, war es spätestens jetzt – keine Chance.
 
Was ich super fand ist, dass die Coversongs öfter nur zum Anheizen oder als Intro für die eigenen Lieder genommen wurden. Loose Yourself wurde im leichten Wu-Tan-Clan-Stil (rockig mit Rap) einfach in Snake integriert. Und ja, Niko Vilhelm Moilanen kann auch die schnellen Passagen von Eminem rappen. Auch bemerkenswert ist das jüngste Bandmitglied, Aleksi Kaunisvesi. Er ist der Mann an den Sampler und er heizt die Fans immer mehr zur Ekstase an. Er ist wie ein Flitzebogen auf der die Bühne unterwegs, mal steht er in der Mitte, im nächsten Moment vorne, um dann wieder am Mischpult zu verschwinden, um ihn nächsten Moment wieder an einer Stelle auf der Bühne aufzutauchen, wo ich ehrlichgesagt nur gestaunt habe. Seine Samples werden gut in die Lieder integriert, lassen Übergänge verschwimmen oder unterstützen die Lichtshow. Sehr genial gemacht, so bleibt das Publikum immer am Ball.
 
Insgesamt hat die Band eine perfekt einstudierte Show und immer, wenn das Publikum müde werden könnte, kommt etwas Neues, es wurde ja vieles schon beschrieben. Kurz vom Ende der Show fällt auch der Hut von Sänger Niko Vilhelm Moilanen. In einem ekstatischen Scream bei Balboa wird der Hut auf den Boden gepfeffert und Niko geht ins Headbangen über. Mein Gott, kann der Mann leidend performen…, um im letzten Lied Flatline mit einer leichten Choreo zu starten. Als sie nach Flatline die Bühne verlassen, wird sofort nach einer Zugabe gerufen, was die Band mit Dark Side erfüllt. Der Abschluss der Show wird dann mit Backstreet Boys’ Everybody (Bachstreet’s Back) eingeläutet und mit dem obligatorischen Wurf der Drumsticks in die Menge gehen die Musiker nach gut 90 Minuten Party von der Bühne.
 
Fazit des Abends; voller Abriss von Halle02. Die Show war von Technik über Sound, über Lichtunterstützung, Outfit (Sänger mit kajalgeschwärzten Augen) und musikalischem Talent ein Ohrenschmaus. Die Musik geht schnell ins Blut, durch den Rap und Gesang ist sie extrem harmonisch. Es ist, wie die Jungs selbst sagen ‘Violent Pop’ auf den man gut abtanzen kann. Sie sind noch auf mehreren Festivals in Deutschland zu sehen, von daher auf zu einem ihrer nächsten Shows. Sie sind jeden Cent wert.
 
Setlist
  1. Alive or Only Burning
  2. We Are No Saints
  3. Died Enough for You
  4. Opinions
  5. Over My Dead Body
  6. Glory for the Greedy
  7. Scream
  8. Bad Idea
  9. Don’t Fix Me
  10. Left Outside Alone (Anastacia cover)
  11. Autopsy
  12. Lose Yourself / Snake
  13. Thank You for the Pain
  14. Balboa
  15. FLATLINE
    Zugabe:
  16. Dark Side

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