„Schöne neue Heavy Metal Welt?“ ist eine Kolumne unseres Autors Josef. Es handelt sich hierbei um einen persönlichen Meinungsbeitrag, der unabhängig von den Standpunkten der leitenden Redaktion agiert.
Stellt euch mal folgende Situation vor:
Draußen herrscht eisiger Wind und das Thermometer hat die 0 Grad Marke schon längst unterschritten. Statt klaren Himmel blickt man auf eine graue Wolkendecke, die einem dreist eine große Portion Regen in das blasse unrasierte Gesicht rotzt. Währenddessen hat sich die Blase auch schon gemeldet und bittet vergeblich schon seit einer geschlagenen Stunde um eine Entleerung. Aber trotz der Umstände verharrt man eisern vor der Tür und denkt mit seinen angereisten Brüdern und Schwestern nicht im Traum daran, seinen Platz ganz vorne am Eingang aufzugeben. Der Preis für die Aufnahme dieser Strapazen sollte ja jedem Leser von Dark-Art bekannt sein, nämlich ein Platz ganz vorne an der Bühne. An der vordersten Front direkt beim Geschehen ist ja bekanntlich am schönsten. Und mal ehrlich, soviel Geduld und Kampfwillen sollte ja mit ausgezeichneten Plätzen belohnt werden, oder? Eine halbe Stunde bevor endlich die Tore in die warme Stube aufgeschlagen werden, setzt sich etwas in Bewegung. Ein Mitarbeiter der Location erscheint aus einem kleinen Nebeneingang und bellt ein paar Namen in die Menge und winkt nach vorne. Ein Tross von gut gelaunten Leuten, den man noch die Heizungswärme ihrer Karossen an den roten Backen sowie Nasenspitzen ansieht, marschiert nach vorne und zuckt ihre VIP-Karten und verschwindet in die Halle. In diesen Moment merkt ihr, dass nicht ihr Fans, die seit Stunden in der Kälte stehen, euren ersehnten Platz ganz vorne aufgrund von Standhaftigkeit gewonnen habt, sondern die Macht der besser gefüllten Brieftasche. Deswegen frage ich mich „Droht uns Metalheads durch VIP-Tickets eine Zwei-Klassen-Fan-Gesellschaft?
Die Fakten:
Das Upgrade auf das schnöde Eintrittsticket hat viele Facetten und Ausformungen. Mal bekommt man beim größeren Griff ins Portmonee einen schöneren (Sitz-) Platz mit besser Aussicht spendiert oder, wie oben ausführlich an meinem Beispiel erklärt, einen früheren Eintritt in die Location, der dann meistens mit einem Meet and Greet verbunden ist. Was aber alle Formen dieses Upgrade eint, ist, dass man sich einen Vorteil erkauft und diese Verbesserung logischerweise teurer ist als die Otto-Normal-Karte. Dabei schwanken die Leistungen, die man bekommt, sowie die Aufpreise dazu von Band zu Band enorm. Beispiele gefällig? Epica verkauft bei ihrer aktuellen Tour ein VIP-Upgrade für 70 Euro, das ein Meet and Greet sowie Foto mit der Band beinhaltet. Zusätzlich dazu gibt es früheren Eintritt, ein exklusives Epica T-Shirt, das aktuelle Album Omega als Download und ein Poster, was man sich gleich vor Ort unterschreiben lassen kann (so meine eigene Erfahrung). Wie normalerweise üblich braucht man zu dieser Aufwertung noch ein normales Eintrittsticket, das mit ungefähr 45 Euro zu Buche schlägt. Macht dann ungefähr 115 Euro für einen Abend, für viele Leute unter uns schon eine Stange Geld.
Dass es noch deutlich extremer geht, kann man bei der Band Metallica sehen, die diverse solcher Angebote mit unterschiedlichen Aufpreisen parat hat. Von einem Ticket, das einen nur etwas früher reinlässt oder einem Logenticket für sage und schreibe 469 Euro (Volksparkstadion Hamburg 26.5.23), bei dem man sein wohlgeformtes Hinterteil auf gepolsterte Business Sitze parken kann. Als Kirsche auf dem teuer erkaufen Sahnehäubchen wird man dann auch noch mit Getränken sowie Speisen abgefüllt, die einem via Hostess Service aufgetischt werden. Ehrlich gesagt, was gerade letzteres mit dem Lebensgefühl eines Heavy Metal Konzertes, bei dem man freudig sich die Lunge aus dem Hals brüllt, nach Schweiz der Menge stinkt und einfach mal die Sau herauslassen kann, noch zu tun hat, erschließt sich mir einfach nicht. Und das ist nicht mal die Spitze des Eisberges, die Jungs haben noch Experience Tickets auf Lager, die bis zu 3200 Euro kosten können. Und bevor mir jemand jetzt Metallica Bashing vorwerfen möchte, eine von mir sehr gern gehörte Band mit dem Namen Manowar, weiß auch wie man seine Tickets vergolden kann. Mit dem Ultimate Fan Experience Ticket bekommt man bei Manowar ein Upgrade, das mit 2200 Euronen daher kommt. Geboten wird dann ein strammes Paket, das von einer E-Gitarre mit Bandunterschriften, persönlichen Gesprächen mit der Truppe samt Foto bis zu einem exklusiven Parkplatz reichen (alle Goodies aufzuzählen würde den Rahmen sprengen).
Aber was bedeutet das für uns Szeneanhänger? Als erstes ganz klar sorgt sowas immer für eine Art Spaltung. Wer mehr bezahlt, bekommt auch mehr, so einfach die Formel. Wer nicht zahlen will und kann, guckt halt in die Röhre, oder in unseren Fall besser gesagt von der hinteren Reihe zu. Diese Entwicklung ist dann besonders für die Leute bitter, die mit ihrer Tugend der Geduld durch stundenlanges Ausharren am Eingangsbereich nicht mehr belohnt werden. Sowas nimmt einen dann etwas die Vorfreude auf das Konzert. Der zweite negative Punkt an der ganzen Sache ist, dass gerade bei den Extrembeispielen der Heavy Metal als Kultur noch zusätzlich verwässert wird. Es kann doch kein Vollzeit-Kuttenträger (auch die Halbzeit-Träger dürfen sich gern angesprochen fühlen) erfreulich finden, dass man wie ein Bonze in einer Loge sitzt und sich dabei seinen Arsch von vorne bis hinten bedienen lassen kann. Ich finde sowas einfach nur befremdlich. Es entspricht überhaupt nicht meiner Vorstellung von Heavy Metal als gelebter und zeitlich begrenzter (für eine Konzernperiode) Ausbruch aus dem Alltag und dessen hochgesteckten Normen der sauber polierten Welt, bei dem man sich in vielen Berufsfeldern und Umgebungen mega adrett verhalten muss. Ich will doch einfach gemeinsam mit anderen die Seele baumeln lassen und nicht wie ein Touri mit fett gefüllten Brieftaschen herumgeführt werden oder wie eine Horde Lackaffen ein Schauspiel von oben herab beiwohnen.
Fazit:
Wie man an meinen Worten unschwer erkennen kann, hat dieser Kosmos der Aufpreispolitik einige Auswüchse angenommen, die man durchaus als problematisch ankreiden muss und kann. Es ist nun die Frage, wie man damit umgehen sollte, denn seien wir mal ehrlich, so sehr man dieses Thema verflucht oder ablehnt, es lässt sich nicht mehr aufhalten. Die Extra-Einnahmen werden stellenweise gerade bei kleinen Bands benötigt, damit diese über die Runden kommen oder eine Chance haben auf Tour zu gehen. Deswegen kann ich an die Musikmacher nur folgenden Ratschlag geben: Übertreibt es nicht und schafft Alternativen für die Leute, die solche Angebote nicht annehmen können oder wollen. Wenn schon VIP-Tickets in den Verkauf gehen, dann unterlasst solche Beklopptheiten bei der man mit tonnenweise „Sammlerzeug“ beworfen wird und vollkommen nobel oder edel platziert wird. Das ist einfach nur abgehoben und riecht schon hart nach „Sell-Out“. Außerdem sollte man die Aufpreis-Tickets nicht inflationsartig hoch verteilen, sondern etwas rarer halten, sodass auch die Leute mit Stahlblase und Engelsgeduld auch noch eine Chance haben, direkt vorne an der Bühne zu stehen.
Ein weiterer Punkt, den ich vorschlagen würde, damit man keine dauerhafte Spaltung in unserer Szene bekommt, sind kostenlose Angebote. Klassische Autogrammstunden, bei dem man seine CDs unterschreiben kann, einen kurzen Plausch halten darf und ein Foto abstauben kann, wären hierbei die beste umsetzbare Methode. Dies würde besonders die Fans ansprechen, die eher einen Fokus auf Interaktion haben, den man sich bei solchen Sonderevents erkaufen kann. Ich persönlich kann aus meinen Erfahrungen sagen, dass Autogrammstunden sowie VIP-Karten eine Bereicherung sein können. Gerade bei letzterem muss ich sagen, dass mir die Truppe von Grailknights mehr als positiv aufgefallen ist. Lockere Atmosphäre, viel Zeit zum Plaudern, einen Soundcheck, Getränke und sogar eine kleine Tasche voll Merch gab es für rund 20 Euro. Hier merkt man, es wurde nicht auf Gewinnmaximierung, sondern auf glücklich machen der Fans gesetzt, und sowas kann man nur mit einem fetten Daumen nach oben kommentieren. Was sagt ihr, sind diese Angebote ein Fluch oder ein Segen für die Szene? Ich bin auf eure Meinung gespannt.
Hallo! Vielen Dank für eure zahlreichen Kommentare! Es freut mich, dass auch andere Meinungen und Erfahrungen sich hier versammelt haben und zum Gedankenaustausch bereit sind.
Einige kleine Anmerkungen zu den Meinungen. Ich betone nochmal das ich NIEMANDEN ausschließen möchte und selbstverständlich jeder mal seine Chance haben sollte vorne zu stehen. Ich gebe aber auch gerne zu, dass ich persönlich mit der „Stahlblasenfraktion“ am meisten Schnittmenge habe und mit dieser am meisten mitfühlen kann, obwohl ich auch schon VIP-Karten benutzt habe (Epica und Grailknights)Das Aufpreissystem ist halt nicht mehr aufzuhalten und damit müssen wir halt leben. Wie ich oben schon erwähnt habe, muss dieses halt nur fair umgesetzt werden (Vernünftige Preise, Möglichkeiten für VIP-Verweiger geben, keine komplette Übertreibung/Sell-Out usw.) Was die Drängler angeht, würde ich sagen, das ist halt eine negative Erscheinung, die sogar beide Fraktionen betrifft, und absolut unfair ist. Sollte es noch Gesprächsbedarf geben, könnt ihr mir auch gerne schreiben!
Email: josef@dark-art.com
Es ist wie immer ein für und wieder. Es gibt Punkte die dafür sprechen sich solche „Privilegien“ zu kaufen. Und es ist wiederum ein riesen Erfolg wenn man es in die erste Reihe geschafft hat, weil man angestanden ist. Besonders für mich, die wirklich nicht gut rennen kann. Aber dann wird z.B eine zweite Schleuse aufgebaut und da stellen sich die Leute an, die später kamen, dann geht die noch zuerst auf und dein Front of Stage Platz ist dahin. Ärgerlich aber nunmal im Rahmen des möglichen. Im Endeffekt bleibt zu sagen: Angebot und Nachfrage regeln das ganze, Hauptsache man verliert den Spaß an Konzerten nicht, den ob VIP oder nicht, die Branche ist auf jeden einzelnen Besucher angewiesen.
Stinkt nach Gatekeeping („nur wer stundenlang in der kälte ausharren kann sollte einen platz in den vordersten rängen bekommen“).
Ich kanns nicht. Also, stundenlang in der kälte stehen. Will ich trotzdem ganz nach vorn? Definitiv. Sorry not sorry. Bin ich jetzt deshalb ein Bonz? Könnte nicht weiter davon weg sein. Vielleicht solltest du mal in Erwägung ziehen deinen Horizont dezent zu erweitern. Viele Grüße, Michaela (Autistin die mit ihrer 15jährigen ebenfalls autistischen Tochter und meinem kürzlich an Krebs erkrankten Mann auf dem Starset Konzert inklusive VIP-Ticket war und dank dessen ganz vorn stand). ♀️
Ich kann Deine Argumente schon nachvollziehen, andererseits habe ich es oft erlebt, Stunden in der ersten/zweiten Reihe auszuharren um später der geliebten Band auf der Bühne nach zu sein. Und als das Konzert dann endlich losgeht, kommen Typen mit brachialer Gewalt nach vorn durch und drängen dich einfach weg. Und wenn dass noch nicht erfolgreich genug war, wird ein Moshpit mit Violent Danz hingelegt, dass man um seine Gesundheit fürchten muss. Danach sonnen sich diese Typen in Ihrem Erfolg bei der Okkupation des Territoriums „mitte vor der Bühne“. Das ist das Gesetz des Stärkeren. Dagegen finde ich es doch besser, wenn man für eine Band, die man besonders mag, mal etwas mehr zahlt für einen besseren Platz. Passiert ja nicht jeden Tag.