Festivalbericht: Walpurgisnacht IV, Freitag, 02.05.2025

Matthias Funcke

Während die Welt am ersten Maiwochenende zwischen Frühlingsgefühlen und Maifeiern taumelte, versammelte sich im Berliner ORWOhaus eine ganz andere Gemeinde – jene, die den dunklen Künsten des Black Metal huldigt. Am 2. und 3. Mai 2025 öffnete die Walpurgisnacht erneut ihre Pforten, um die Nacht mit kalter Raserei, misanthropischer Klanggewalt und ritueller Intensität zu erfüllen.

An zwei Tagen spielten insgesamt 16 Bands aus dem In- und Ausland, die allesamt aus dem weiten Spektrum des Black Metal stammen – von klassisch nordisch-kalten Klängen über atmosphärisch-melancholische Soundlandschaften bis hin zu punkig-dreckigem oder rituell-mystischem Black Metal war alles vertreten. Die Veranstalter des De Mortem et Diabolum hatten ein Line-up zusammengestellt, das die Vielfalt des Genres gut widerspiegelt.

Die Location selbst, das legendäre ORWO Haus im Berliner Osten, bot dafür einmal mehr den perfekten Rahmen: roher Beton, schummriges Licht, klamme Luft – ein Hort der Subkultur, der an diesen beiden Abenden zur Pilgerstätte für schwarzmetallische Seelen wurde. 

 

In This Hell – Knochen, Masken und der erste Hammerschlag

Gemächlich sammelten sich die ersten Besucher vor der Bühne, als mit In This Hell das musikalische Inferno eröffnet wurde. Die deutsche Band – noch eher im regionalen Underground verankert – pflügte mit einer rabiaten Mischung aus Black und Death Metal durch die Halle und sorgte sofort für einen wuchtigen Auftakt, der sich von der ansonsten eher atmosphärisch geprägten Ausrichtung des Festivals abhob. Maskiert traten Sänger und Gitarrist auf: ersterer mit einem Schädel und einer Krone aus Knochen, letzterer als grotesker Narr mit Zombiefratze. Diese visuelle Entmenschlichung verstärkte die Morbidität ihres Auftritts – eine Show zwischen Brutalität und bizarrer Theatralik. Besonders der Sänger glänzte mit spöttischen Gesten und einer leicht ironischen Verabschiedung, die dem finsteren Auftakt eine fast charmante Klammer verlieh.

Setliste: Over The Line // A Blessing For Society // Longing Sticks To Us // There Are No Voices // In This Hell // Meant To Feed The Fire // Sound Of Breaking Bones // The King

Gateway to Selfdestruction – Klangwände und klaustrophobische Kunst

Nach kurzen technischen Startschwierigkeiten legte Gateway to Selfdestruction richtig los – und wie. Eine düstere Spieluhr leitete in ein bedrückendes Set über, während der Bühnenhintergrund mit grotesken Horrorgemälden und einer verstörenden Frauenfigur das Kopfkino befeuerte. Die Musiker – mit weiß geschminkten Gesichtern und leuchtend roten LEDs an ihren Instrumenten – ließen eine dichte Soundwand aus wuchtigen Riffs und Blastbeats auf die Zuschauer los. Trotz aller Härte blitzte in langsameren Passagen eine gewisse Melodik durch, die den Songs Tiefe verlieh. Die Frontfrau war der lebende Beweis dafür, dass Ausdruckskraft und Bühnengewalt kein Geschlecht kennen. Mit tosendem Applaus endete der Auftritt – der erste kollektive Gänsehautmoment des Abends.

Setliste: Destroyed Self // Rigidity // Negatives Circles // The Red Thread // Murphy’s Law // Break Down

Afraid of Destiny – Eleganz im Sturm

Afraid of Destiny begannen ihr Set wie ein Stromschlag: stroboskopartige Lichtblitze, rasende Riffs und ein entfesselter Sänger, der in eleganter, schwarzer Kleidung sofort herausstach. In den kurzen Gesangspausen nahm er bewusst Abstand zum Mikrofon, kauerte oder setzte sich – eine Geste der Introspektion, die dem Auftritt etwas Zerbrechliches verlieh. Die Songs schlugen große Bögen, von doomigen Klanglandschaften bis zu epischen Klimaxen. Der minimalistische Übergang zwischen den Liedern verstärkte die immersive Wirkung des Auftritts. Als das Set zu Ende ging, verabschiedete sich der Sänger mit rauer Stimme und einem unerwarteten Hauch Rock’n’Roll – ein unerwarteter, stilvoller Schlusspunkt.

Setliste: Anti // Hear Me // Breath // Erotic Narcotic // Requiem In Do Diesis Minore

Asphagor – Wenn die Erde brennt

Mit Asphagor öffnete sich die Hölle ein zweites Mal: rot getränktes Bühnenlicht, Patronengurte, Ketten, Knochen – und ein Frontmann, der mit tierischer Intensität und zerfurchtem Corpsepaint jeden Zentimeter der Bühne dominierte. Der Mikrofonständer war geschmückt mit einem Tierschädel und menschlichen Knochen – makaber, eindrucksvoll und symbolisch. Das Set war eine durchgehende Abrissbirne, kompromisslos und auf den Punkt. Im Finale setzte der Sänger zu einem choralen, fast sakralen Einstieg an, der in einem infernalen Schrei mündete. Auf dem Rücken liegend, den Mikrofonständer auf sich gestemmt, sang er weiter – bis er sich wie ein Untoter erhob und in einem letzten Crescendo alles in Schutt und Asche legte.

Shores of Null – Epik im Nebel

Im Schein der Taschenlampen wurden noch letzte Kabel justiert, als das erste schwere Intro bereits durch den Raum dröhnte. Aus dem Nebel traten Shores of Null, mehr als schemenhafte Gestalten denn als Musiker sichtbar. Der Fokus lag auf dem Sänger, dessen klare, kräftige Stimme sich mit melodischer Präzision durch die Songs bewegte. Die Mischung aus Post Black Metal und epischen Elementen ließ Raum zum Atmen und Mitfühlen – ein wohltuender Kontrast zur vorherigen Klanggewalt. Unterstützt wurde er stellenweise vom Chor der Mitmusiker, was dem Auftritt eine erhabene, fast cineastische Qualität verlieh. Auch kleinere technische Hürden wurden mit freundlichen Worten gemeistert – sympathisch und professionell.

Setliste: Transitory (Intro) // Destination Woe // The Last Flower // Nothing Left To Burn // Ruins Alive // Quiescent // Darkness Won´t Take Me // Black Drapes For Tomorrow // My Darkest Year // A New Death Is Born // Blazing Sunlight

Décembre Noir – Melancholie in Bewegung

Einsetzendes Donnergrollen und schwere Regentropfen leiteten den Auftritt von Décembre Noir ein, der vom Publikum mit begeistertem Jubel begrüßt wurde. Die Band lieferte eine mitreißende Performance: schnelles Tempo, geballte Energie und eingängige, aber emotional tiefgreifende Melodien, die viele zum rhythmischen Kopfnicken veranlassten. Der Gesang war rau, bodenständig und direkt – ohne in Screams oder Growls abzudriften. Lockere Ansagen durchzogen das Set, kleinere Pannen wurden mit Humor und einem spontanen Gitarrensolo überspielt. Besonders rührend: die Widmung eines Songs an Christina, die am Merchstand arbeitete – das Publikum dankte es mit „Christina!“-Rufen und tosendem Applaus.

Setliste: In The Pouring Rain // Small.Town.Depression // Hope/Renaissance // Behind The Scenes // Against The Daylight // Streets Of Transcience // The Forsaken Earth // Your Sunset/My Sunrise 

…and Oceans – Der Sturm bricht los

Das Wellenrauschen zu Beginn täuschte: Kaum war das Intro verklungen, brach mit …and Oceans ein musikalischer Orkan über die Zuschauer herein. Die erste Band des Abends mit Keyboard öffnete neue Klangtore – elektronische Texturen, orchestrale Elemente und ein ständiger Wechsel aus Sturm und Stille machten ihren Auftritt zum emotionalen Schleudergang. Besonders beeindruckend: der Moment der elektrischen Stille, in dem alle Musiker regungslos standen, während nur der Sänger langsam über die Bühne wankte – surreal und hypnotisch. Danach kehrte der Sturm zurück, unaufhaltsam. Mit Songs vom zweiten Album und einer mächtigen Bühnenpräsenz setzte die Band ein weiteres Highlight des Abends.

Setliste: The Collector and Hir Construct // Trollfan // Prophetical Mercury Implement // Aquarium of Children // Förnyelse I Tre Akter // Cloud Heads // Inertiae // Tears Have No Name // Cosmis World Mother // Ambivalent God 

 

Heretoir – Träumen am Abgrund

Zwischen zarten Melodien, atmosphärischen Klanglandschaften und eruptiven Ausbrüchen bewegte sich der Sänger stimmlich mit Leichtigkeit zwischen Zorn, Verzweiflung und inniger Sanftheit. Das Publikum reagierte begeistert, der Applaus ebbte nie wirklich ab – ein würdiger Abschluss, der bewies, dass man mit Lautstärke auch leise Töne anschlagen kann. Post- und Atmospheric Black Metal verschmolzen zu einer bittersüßen Klangreise, getragen von filigranen Riffs und einer Stimme, die zwischen Wut, Verzweiflung und Sanftmut pendelte. Die Songs waren dynamisch, flossen zwischen ruhigen Momenten und eruptiver Gewalt, ohne je ihre melodische Seele zu verlieren. Bereits nach dem ersten Lied brandete Applaus auf – und dieser Applaus wurde von Song zu Song lauter und ehrlicher. Ein würdiger, gefühlvoller Abschluss.

Setliste: Twilight Of The Mashines // Heretoir // Grave // Golden Dust // Exhale // Wastelands // Eclipse // The Circle

Fazit – Ein Rausch zwischen Raserei und Reflexion

Der Freitag der vierten Walpurgisnacht war ein dramaturgisch brillant aufgebauter Parforceritt durch die Vielschichtigkeit des Black Metal. Von brutaler Raserei über epische Klanglandschaften, melancholischem Doom und bis hin zu träumerischer Melancholie wurde ein facettenreiches Spektrum abgebildet, das keine Wünsche offenließ. Hier wurde nicht einfach nur gebolzt, hier wurde inszeniert, erzählt, zelebriert. Das Publikum erlebte einen Tag voller Kontraste: Masken und Nebel, Chaos und Kontrolle, Raserei und Ruhe. Ein Tag, der zeigte, wie vital, vielfältig und emotional aufgeladen Black Metal 2025 sein kann – und warum das ORWOhaus der ideale Hexenkessel dafür bleibt.

 

Bericht: Maximilian
Bilder: Matthias

 

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