Vor 65 Millionen Jahren sind die Dinosaurier restlos ausgestorben. Restlos? Nein! Vier Dinos haben überlebt und unterstützen Eltern mit Kutten bei der musikalischen Früherziehung ihrer Kinder. Dabei werden sie sogar von einem Drachen unterstützt (hört hört, liebe Blind Guardian-Fans, ein Drache!). Diese schuppigen Rockstars sind nach Berlin gestampft, haben für Groß und Klein ein Konzert abgeliefert und wir von Dark Art waren live dabei.
Vorab möchte ich unsere Leser um etwas Verständnis bitten. Die Band spielt und performt für Kinder. Also waschen wir uns das Corpse Paint ab, entspannen die Stiernacken und lockern die Mundwinkel. Für die Kinder war der Auftritt ganz großartig, das habe ich permanent gespürt, und deshalb werde ich das Projekt in diesem Bericht nicht unnötig verspotten. Und ich kann so viel verraten, ich wurde einige Male positiv überrascht.
Aber erstmal zum Anfang. Ich konnte meinen Fotografen Andreas kurz nach Einlass treffen. Dieser war bereits um 13 Uhr vor Ort und ich war außerhalb von Festivals noch nie so früh in der Nähe einer Bühne. In der Location, dem Kesselhaus, die erste Überraschung. Ein großer Bereich vor der Bühne wurde abgesperrt. Dort hatten Erwachsene, wie Andreas und ich, keinen Zugang. Der Bereich war ausschließlich für die Kinder reserviert. Dort sammelte sich im Verlauf der nächsten Stunde das junge Publikum, um ausgiebig zu spielen und zu toben. Dabei machte ich einige erstaunliche Entdeckungen, denn einige Kinder hatten bereits Kutten! Ich sah Aufnäher von Heavysaurus, Death und Paw Patrol auf einer kleinen Jeansweste. Daneben liefen auch Kinder mit Prinzessin Erza-Kleidchen und Dino-Kostümen. Wie in Wacken, nur etwas kleiner. Hinter der Absperrung versammelten sich die großen Zuhörer, mit Iron Maiden, Deabauchery und Amon Amarth als Back Patches. Ein skurriles Kontrastprogramm.
Kurz vor 14 Uhr, kurz bevor die Show anfangen sollte, sprach eine freundliche Stimme über Lautsprecher zum Publikum, um auf einige Regeln aufmerksam zu machen. So sollen die Kinder nicht gemein zueinander sein, niemanden weh tun und alle sollen ihren Spaß haben. Auch warnt die Stimme vor den lauten Geräuschen und dass sie nicht gut für die Ohren wären. Die Lautstärke war für ein echtes Live-Konzert aber auf ein entspanntes Level runtergedreht worden. Dann wurde es auch langsam Zeit für die Musiker. Die Kinder skandierten voller Vorfreude Heavysaurus und drehten vollkommen am Rad, als die Dinos (plus Drache) endlich erschienen. Im Hintergrund lief das legendäre Theme von Jurassic Park Journey to the Island von John Williams. Da musste ich schallend lachen, die Schuppenträger haben echt Humor. Vor dem ersten Lied erzählte die vertraute Stimme die Geschichte der Band und wieso wir das Glück haben Dinos im Kesselhaus bewundern zu dürfen. Kurz zusammengefasst, wir nehmen Tolkien, stopfen ihn mit etwas Twilight Force und Warkings in einen Topf und drehen den Fantasy-Regler auf elf, schon haben wir Dinosaurier in Leder und mit Nietenarmbändern.
Dann kam endlich die Band auf die Bühne und statt die Kinder zu verspeisen (wie in dem bereits erwähnten Freizeitpark), wollten die Dinos wohl lieber Kaugummi kauen. Das erste Lied, Kaugummis ist Mega, ist der Namensgeber der Tour und hat die Kinder sofort gepackt. Die springen wie Flummis in ihrem eigenen Bereich herum und singen lauthals mit. Die Lieder sind textlich leicht zu lernen, ohne aber plump zu sein. Die helle und kraftvolle Stimme von Mr. Heavysaurus (aka. Michael Voss) war zu jedem Zeitpunkt gut zu verstehen.
Zwischen den Liedern wurde viel Zeit für Interaktionen mit dem jungen Publikum und kleineren Sketches gemacht. So erklären sie den Kindern das Konzept von Klatschen sehr ausführlich: Wir nehmen die linke Hand und die rechte Hand fügen sie zusammen, bis ein Klatschgeräusch entsteht. Und das führte gleich zur legendären Heavysaurus-Rakete, wo die Kinder klatschen, trampeln und laut schreien. Bedenkt bitte, liebe Leser, das waren keine gestandenen Erwachsenen, die wie eine Barbarenhorde brüllten, sondern dutzende kleine Kinder. Demensprechend kreischten diese mit ihren hohen Stimmen. Ich musste in den Moment an einen Weiterbildungsworkshop für skandinavische Frontmänner von richtig fiesen Black Metal-Bands und an die Nazgul aus der Herrn der Ringe-Trilogie denken. Allein für diese Erfahrung war die Reise nach Berlin lohnenswert. Vor dem dritten Lied Willst du werden, erzählt der T-Rex von seinem alten Berufswunsch Archäologe zu werden. Damit leitete er auch das Lied direkt ein und los geht’s mit den kinderfreundlichen Riffs.
Danach der nächste Sketch. Der Stegosaurier am Bass, Muffi Puffi, und Mr. Heavysaurus stritten sich, wessen Leibgericht heute Abend von ihrer Mutter, die Hexe welche die Eier ausgebrütet hat, gekocht wird. Der Stegosaurier berichtet verträumt von veganen Mammutgulasch. Daraufhin folgt Rupuliina, eine ruhige Ballade auf die geliebte Hexe.
Das nächste Lied war mein persönliches Highlight, nur wusste ich nicht ob ich lachen oder weinen soll. Das Lied Stark wie ein Tiger basiert auf der Melodie von Eye oft he Tiger von Survivor, ein klassiger aus den 80er. Heavysaurus hat dazu einen deutschen Text gedichtet, welcher die Kinder positiv mental stärken soll. Schöne Idee, aber mein innerer Ohrwurm kämpfte verzweifelt mit Mr. Heavysaurus und musste sich geschlagen geben. Punkt für dich, Riesenechse.
Wieder ein kleiner Sketch, der Front-Dino bekam ein Anruf von den Ehrlich-Brothers. Der ganze Witz handelte von Magie und der Fähigkeit zu furzen. Der gesamte Humor der Show wurde für Kinder ausgelegt und somit sollte der erwachsene Zuschauer keine ausgeklügelte Comedy erwarten.
Die nächsten beiden Lieder brachten etwas Abwechslung in die Show. Als erstes ein Wechsel vom Frontmann zur Front-Triceratops. Die Keyboarderin Milli Pilli (aka Valentin Findling) singt Dino Disco Party und die restlichen Dinos performen hüftwackeln dazu. Das nächste war die Ballade Waldfee, welche die Stimmung in der Halle vorsichtig runterschraubte. Eine spannende Idee, bei den ganzen bewegungsfreudigen und sehr aktiven Kindern in der ersten Reihe. Und diese Waldfee ist ganz wichtig für Mr. Heavysaurus, den von ihr hatte er das sein Zaubermikrofon. Dieses Zaubermikrofon muss der T-Rex nicht ans Maul halten, damit er laut singen kann und ihn alle hören. Eine nette Idee, um die Requisite zu erklären.
Und dann fuhren das Tempo wieder richtig hoch. Sie wollten, dass sich die Kinder wild im Kreis bewegen. Wollten die Dinos ein Circle Pit? Nein, die Kinder sollten sich schnell um die eigene Achse drehen, während die Band Heavy Twister spielte. Darauf folgte ein Medley aus ganzen vier Liedern. Ich schätzte das sollte der Höhepunkt des Auftritts sein. Dabei wurde sogar „Pyro“ gezündet und der Front-Dino hat Süßigkeiten in das Publikum geworfen. Für die Kinder müsste dieses Medley einfach perfekt sein: Dinos, Zucker und ein cooles Feuerwerk.
Danach hat sich die Band die Zeit genommen, sich gegenseitig vorzustellen. Dabei wurde nicht nur der Name und Instrument genannt, sondern jedes Bandmitglied durfte seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und dafür wurden Klassiker um Klassiker gezündet. Zum Beispiel spielte die Keyboarderin Mozart, der Bassist bediente sich bei Judas Priest und der Drache an der Gitarre bewies sein Können mit Metallica. Der Drummer wählte We will rock you von Queen, was zu wilden Stampfen und Klatschen verleitete. Mein Highlight war aber Don´t stop Believing von Journey für Mr. Heavysaurus. Dieser kurze Moment packte mich und ließ mich den ganzen Tag nicht mehr los.
Nach dieser emotionalen Reise zu den großen Altvorderen von Rock und Metal, ging es weiter im Sketch-Lied-Spiel. Diesmal erklärt die Front-Echse von seiner Doktorarbeit in Biologie und er benötige noch viel Hilfe bei der Bestimmung von Tiergeräuschen. Die Kinder halfen ihm gerne und auf einmal miauten, bellten und grunzten die zukünftigen Zoologen vor der Bühne. Und was macht ein Dino? Genau, alle Dinos machen RARR! Rauchsäulen schießen an den Bühnenecken hervor und taucht die Location in urzeitliche Nebelschwaden. Nur das musikalische Röhren eines Heavy Metal-Saurier war zu hören.
Die musikalische Ausbildung der Jüngsten ging in die nächste Runde, mit Gesangsunterricht. So sollte lautstark Lalala gesungen werden, um sich auf das nächste Lied einzustimmen. Es folgt eine eigene Version von So ein schöner Tag von Tim Toupet mit den Namen Heavysaurus Tag. Gut, ist eigentlich ein Ballermann Hit, aber dank der E-Gitarre und die Drums konnte ich gerade so ein Auge zu drücken. In der Halle herrschte Puristen-freie-Zone und niemand wollte einen Spielverderber in Kutte sein. Die Kinder bekamen zu dem Lied auch große Ballons zum Spielen und bald waren die Erwachsene beschäftigt die Ballons wiederholt zu den Jüngsten zu schubsen. Die nächste Ansage hatte wieder einen pädagogischen Anstrich, immerhin ging es Toleranz. Egal, ob groß, klein, Mensch oder Dino (oder Drache) alle in der Halle waren Dino-Metal-Fans und das verbindet halt. Dies war der Auftakt zum Abschluss des Konzertes mit dem Lied Dino Metalheads. Nach einem Gruppenfoto, samt (etwas unpädagogischen) Ameisenscheiße-Ruf, verließen die Dinos die Bühne.
Also, dieses Konzert war für mich ein echtes Erlebnis und ein echtes Abenteuer. Der klare Gesang von Michael Voss, welcher mich ein wenig an Tobias Sammet erinnert, und die gute musikalische Leistung der Band, verwandelt den Auftritt für Jung und Alt zu einem akustischen Erlebnis. Als Erwachsener darf man sich nur nicht an den Texten und das Fehlen von Extrem-Metal Elementen ärgern, ansonsten ist man hier einfach falsch. Wenn man hingegen ein Freund von seichter und humorvoller Unterhaltung ist, der wird seine Freude mit dem Konzert haben. Wenn man zusätzlich noch Kinder hat, dann lassen sich Elternzeit und die Liebe zu Live-Musik sehr gut kombinieren. Ich würde jeden empfehlen, einmal so ein Konzert zu besuchen, allein um diese seltene Erscheinung von pädagogisch wertvollem Metal erlebt zu haben.
Kommentar von Andreas:
Dieses Mal war ich nicht nur in offizieller Mission für Dark Art unterwegs um zu fotografieren. Nein, ich war auch gleichzeitig als Vater unterwegs, da ich mit meinen zwei Kindern vor Ort war.
Als Elternteil an so einem Konzert teilzunehmen ist auch wieder etwas ganz anderes, als selbst auf einem Konzert zu sein. Wenn man erleben kann, wie die eigenen Kinder mit in der ersten Reihe stehen, die Hände in Luft strecken, um ihre Hände, welche zur metalüblichen Pommesgabel geformt sind, im Takt der Musik mitwippen zu lassen, dann muss man selbst als hartgesottener Metalfan das ein oder andere Freudentränchen wegdrücken.
Man muss auch wirklich sagen, dass Heavysaurus ein idealer Einstieg in den Heavy Metal Bereich ist. Die Songs sind simpel genug aufgebaut, damit die Kinder leicht reinkommen, aber nicht so flach, dass es schnell langweilig wird. Textlich bewegt man sich natürlich ebenso auf kindgerechten Niveau. Dennoch sprechen die Texte Themen an, welche für Kinder wichtig sind. Dinge, wie die Welt positiv zu sehen, selbst an seine Stärke zu glauben, nicht aufzugeben und alle Menschen als gleichwertig anzusehen. Das sind Werte, die in der heutigen Zeit wichtiger denn je sind. Und diese werden mit einem Werkzeug vermittelt, wie es für uns „altgedienten“ Metal-Fans nicht besser sein könnte: Musik!
Meine Kinder gingen nach rund 75 Minuten tanzen, singen, springen, toben und auch headbangen mehr als glücklich aus dem Konzert raus und haben schon gefragt, wann Heavysaurus das nächste Mal spielen. Glücklicherweise werden wir sie auf dem MPS im Sommer wieder sehen. Wir freuen uns!
Abschliessend möchte ich mich noch bei der Band bedanken, dass sie diesen riesen Aufwand mit den Kostümen und allem anderen auf sich nehmen, um unseren Kindern den Einstieg in etwas zu ermöglichen, das uns allen sehr am Herzen liegt: Heavy Metal!
Antworten