Festivalbericht: M’era Luna 2024 – der Samstag Teil 2

Den ersten Teil findet ihr hier.

Nachdem Funker Vogt durch technische Probleme ausfallen mussten, ging es auf der Mainstage weiter. Hier kam es aber auch zu einer, wenn auch kurzen, Verzögerung. Es war, unbestätigt, die Rede von Funkstreckenstörungen. Aber den Auftritt von Hämatom konnte nichts aufhalten. Ganz im Zeichen zu Ehren für den verstorbenen West wurde ein riesengroßes Banner mit dem Konterfei von West entrollt. Er wird ab jetzt als fünftes Bandmitglied mit auch auf Tour gehen und sich im Hintergrund halten. Ebenso hat Ost seine Gitarre entsprechend modifiziert, „Undead forever“ ist weithin zu sehen, neben Geburts- und Sterbedatum und dem Konterfei von West. Eine sehr schöne Geste. Aber erst einmal kam das Einhorn zum Zuge, das das Intro begleitete. Dabei wurde das Publikum getestet, ob da auch alles mit der Interaktion mit der Band klappt. Pommesgabel, Ausrasten, Pommesgabel… ok. Alles startklar. Wir sind Gott ist doch eine Ansage, mit der es sich gut leben lässt. Gott muss ein Arschloch sein – das braucht nicht weiter kommentiert werden, das ist Trauerbewältigung in Musikermanier. Als Neuzugang wurde Rose vorgestellt, die nun die zweite Gitarre spielt, da die Bassposition bekanntlich nicht mehr besetzt wird. Bereits Wacken- und FullForce-erprobt, war auch das ja nur „geringfügig kleinere M’era Luna für die neue Besetzung wieder eine Bühne in Hinarbeit auch auf das neue Hämatom-Album Für Dich, das Anfang 2025 erscheint und natürlich West gewidmet ist. Nach Kids (2 Finger an den Kopf), einem Materia-Cover, Ficken unsren Kopf und Ich hasse dich zu lieben gab es zum guten Schluss noch ordentlich Bier für alle (Es regnet Bier).

Der Auftritt von She Past Away war in blaues Licht gehüllt. Undefinierbares Rauschen stellte das Intro, in das sich langsam der typische Synthesizersound mischte. Nebel waberte über die Bühne und gab dem minimalistischen Set den passenden Rahmen. Während Sänger Volkan, Gitarre spielend, sehr introvertiert wirkte, agierte der Keyboarder Doruk mit dem Publikum, animierte es zum Klatschen und zum Hände emporstrecken. Diese vom Alter her sicherlich mit der Postpunk-Zeit groß gewordenen, dunkelbunt gemischten Zuhörer waren sichtlich begeistert von dem Auftritt. Ab den ersten Klängen waren sie in Bewegung, einige tanzten das ganze Set über ausgelassen und völlig versunken zur Musik. Nachdem ersten Song kam ein “Vielen Dank” und ein “Guten Abend” in Deutsch, was die Menge da schon begeistert aufnahm und mit lautem Applaus belohnte. Vereinzelt sangen einige die Texte mit. Volkan bestach durch seine fast statischen leichten Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen, Doruk mit seinem Spiel an Keyboard und Drum-Pad. Teilweise spielte er beides in einem Song oder loopte eins immer live eingespielt mit rein.

Deine Lakaien, eine Institution auf dem M’era Luna, brachten nun etwas Ruhe und Nachdenklichkeit ins Spiel. Alleine das Klavierintro zu Lonely brachte den Ruhepuls wieder auf Normalwerte. Sehr reduziert und ohne große Show, einfach zwei Musiker auf der Bühne, die einfach nur Musik machen. Das sind eben Deine Lakaien. Pur, routiniert und schon so lange auf den Bühnen unterwegs und immer mit Botschaften, die sie schon vor teils über 30 Jahren in die Welt transportierten, von denen man nicht dachte, dass sie heute noch, oder wieder, aktuell sind oder geworden sind, wie My Decision aus dem Jahr 1991, geschrieben zu einer Zeit, als die Amerikaner den ersten Golfkrieg begannen. „Die nerven mit ihren Kriegsspielen“, dazu der Kommentar von Alexander Veljanov, allerdings nun im Jahr 2024. Regt zum Nachdenken an. „Back to the Vergangenheit“ bestimmte das Set, Colour-Ize, der erste jemals veröffentlichte Song aus dem Jahr 1985  kam direkt als zweiter Song, gefolgt von Down. Deine Lakaien mit dem melancholischen Set bei vollem Sonnenschein auf der Bühne zu sehen, war etwas unwirklich, vor allem, bei „wir warten auf die Nacht, die da kommen mag“ mit The Night of Love, bei dem immer mehr Hände sich in den frühen Abendhimmel streckten und mit der Musik und den Gefühlen, die mit den einzelnen Songs verbunden sind, sich mit bewegten. Mit Love me to the End als finalem Song, mit einem ebenso gefühlvollen Piano-Impro-Intro, verabschiedeten sich Deine Lakaien mit vielen Dankeswünschen von der Bühne.

Bei Assemblage 23 auf der Clubstage war das Publikum schon bei den ersten Takten auf Betriebstemperatur, was nicht nur an den Abendsonnenstrahlen und dem insgesamt heißen Tag lag. Opened aus 2002 als Opener war auch eine gute Wahl. Direkt wogen die Hände in der Höhe wie ein Wellenmeer zu den Songs, was auch nicht nachließ. Die sehr textsicheren Fans sorgten für eine gute Stimmung für die Band, die am Tag davor noch in Helsinki aufgetreten war. Der typische, sehr gut tanzbare, eingängige Dance-Elektro-Pop zieht sich ja auch schon lange durch die Bandgeschichte und ist dadurch auch beim Publikum bekannt und beliebt. Und der aktuellste Song, Hurt like me, ein Helix-Cover, der als neuester Song zum zweiten Mal überhaupt erst live gespielt wurde, wurde gleich in so manche Playlist aufgenommen. Diesen performte natürlich Mari Kattman selbst, die Plätze wurden einfach getauscht. Praktisch, wenn man bei dem Master-Mind aushilft, mit dem man eh ein Projekt hat und obendrein noch mit ihm verheiratet ist.

Wenn man so zwischen den Bühnen wechselt, wird man unweigerlich auch mit kompletten Musik-Stilwechseln konfrontiert und man braucht einen Moment, sich darauf einzustellen. Gerade noch im Elektro-Dance unterwegs, ging es per Zeitsprung ins Mittelalter zu Saltatio Mortis auf die Mainstage, die per Ansager angekündigt wurden, bevor sie dann auf der Bühne erschienen. Wer nun den großen, typischen Pyro-Einsatz erwartete, wurde enttäuscht. Leider hatten sie das Pyro-Zeugs auf der Burgentour wohl vollständig verbraten, wie Alea verlauten ließ. Ferner stand mit Marcel, der sich mal eben schnell das gesamte Set reingeschaufelt hatte, der Schlagzeugbackliner auf standby, da Jean bis zur letzten Minute in Andalusien festsaß und es nicht sicher war, ob er es bis zum Auftritt schaffen würde. Noch mal alles gut gegangen. Allerdings waren sie trotzdem nur zu sechst, Falk (Mümmelstein) war am Tag zuvor Vater geworden (Glückwunsch auch von uns!) und rettet so nun die Drehleierzunft. Finsterwacht hat die Charts erklommen, weiter geht’s nicht, nämlich auf Platz eins. Trotzdem Fehlen von Pyro rissen Saltatio Mortis das Publikum komplett mit, was man allein an allen Händen sehen konnte, von den Ständen bis vorne an die Bühne waren alle oben und gingen mit. Man merkte, dass auch das M’era musikalisch vielfältiger wird und auch Mittelalter-Rock beim Publikum ankommt. Den Circle-Pit allerdings müsste man noch üben, daran fehlte es noch. Oder wie Alea titulierte „Kleinster Circle Pit der Welt, Circulus Pitus Maximus“.

Nun hatte ich tatsächlich ein Problem mit der Zeitüberschneidung. Suicide Commando auf der Clubstage, Front 242 sollte auf der Mainstage auf Saltatio folgen, eine halbe Stunde Überschneidung… bei knapp einer Stunde Spielzeit, lohnt überhaupt ein Wechsel, oder bleibe ich lieber gleich an der Club ODER gleich an der Main… nun ja, das war doch eine schwierige Entscheidung. Leider zu Ungunsten von Suicide Commando, da Front 242 zum letzten Mal auf einem Open Air in Deutschland auftreten werden, also die letzte Chance vor der Auflösung der Band. Ansonsten bleiben noch die fünf Hallenkonzerte im Oktober als letzte Möglichkeit. Aber ein Open Air Festival ist doch etwas anderes als in einer Halle. Somit fiel die Entscheidung zu Gunsten Front 242 aus, nicht ohne vorher trotzdem noch wenigstens kurz bei Suicide vorbeizuschauen.

Die 1986 gegründete Band spielte so dann auch schon God is in the rain, „passend“ zu noch gefühlten 30 Grad um halb neun abends. Johan van Roy, das Gesicht von Suicide Commando turnte auf der für ihn zu kleinen Bühne sogar mit Knieschiene von rechts nach links und das Publikum tanzte und folgte seinen Bewegungen. Unschwer an seinem Make-up zu erkennen, aus welchem Land er kommt… God of Destruction und Conspiracy of the Devil gaben den letzten paar, die sich noch nicht oder nur langsam bewegten, den nötigen Schub. 

Front 242 sind auf Abschiedstour, und nicht wie bei vielen andern Bands, die 20 Jahre Abschied feiern, meinen es die vier Jungs ernst. Noch fünf Konzerte in Deutschland, ein paar im Ausland, dann ist Anfang 2025 mit zwei Konzerten in Belgien Schluss. Schluss mit einer Band, die seit 1981 mit Unterbrechungen die Menschheit in Clubs und auf Bühnen wegweisend in Sachen EBM unterrichtet hatten. Vor Front 242 gab es einfach kein EBM. Los ging es mit W.Y.H.I.W.Y.G., Don’t crush , Masterhit, das Publikum ist begeistert und lässt die Band spüren, dass es mit ihr ist – mit ihr beim letzten Auftritt auf einem Festival. Mit dem größten Hit der Band, Headhunter, verabschiedeten sich Jean-Luc De Meyer, Patrick Codenys, Richard Jonckheere und Tim Kroker. Es war uns eine Ehre. Vielen Dank.

Mit dem Cover von Hot Stuff von Donna Summer begann der letzte Act auf der Clubstage für den Samstag, London after Midnight mit Dark-Rock nach Sonnenuntergang und bei etwas kühleren Temperaturen. Letztes Jahr mussten sie recht kurzfristig absagen, doch dieses Jahr waren alle gesund und sie fesselten das Publikum mit Songs wie The Kids are all wrong, Love you to death oder Sacrifice, der ihren Auftritt als Schlusssong abrundete. Das wars für heute auf der Clubstage…

Auf der Mainstage ging es zum Abschluss mit ASP weiter als Schlussakt des Samstages. Bei A Prayer for Sanctury und Wechselbalg aus 2011 war das Publikum schon am Mitsingen, als die ersten Töne angestimmt wurden. Insgesamt war das Set ein bunter Mix aus allen Jahren, „seit 25 Jahren mache ich das, mich auf der Bühne verbrannt habe (sic!), mein Herz, meine Seele und jetzt will ich eure“ und es geht weiter mit dem aktuellen Ich, der Teufel und Du und der wundervollen Violinbegleitung von Gastmusikerin Shir-Ran Yinon. Diese kam noch öfter zum Einsatz, ebenso bei Fürst der Finsternis, Werben oder Duett. Natürlich durfte der Klassiker Ich will brennen nicht fehlen, den kennen nun alle auf dem M’era. Ein großartiger Abschluss des ersten Abends des M’era Lunas, normalerweise Abschluss, aber… da kam noch was. Sing Child zum Mitsingen, aber nicht nur das Publikum war gefordert, ASP hatte extra die Formation Stimmgewalt aus Berlin mit auf die Bühne geholt, die dem Ganzen einen sensationellen Rahmen gab. Die Fotografen durften wohl deshalb auch erst zu Lied 10 bis 12 in den Graben, um diese Kulisse einfangen zu können. Sehr durchdachtes Konzept von ASP

Setlist ASP / Album / Jahr – M’era Luna 2024:

 1. A Prayer for sanctury – Fremd 2011 / 2. Wechselbalg – Fremd 2011 / 3. Die letzte Zuflucht  – 2022 / 4. Fürst der Finsternis / 5. Werben – Aus der Tiefe 2005 / 6. Krabat – Zauberbruder 2008 / 7. Duett (Das Lied der Incubi) – Requiembryo 2007 / 8. Und wir tanzten – Hast Du mich vermisst 2000 / 9. Ich, der Teufel und Du – Horrors 2023 / 10. Schwarzes Blut  / 11. Ich will brennen – Weltunter 2003 / 12. Sing Child – Hast Du mich vermisst 2000 / 13. Raise some hell now – 2021

Wir sind gespannt auf den Sonntag, da warten wieder zwanzig Bands auf uns und die andern 25.000 Menschen, um eine gute Zeit miteinander zu haben. 

Mehr zum diesjährigen M’era Luna findet ihr hier:

Frühere Beiträge zum M’era Luna findet ihr hier:

Über Patrick Süß 80 Artikel
- Photographiere Konzerte seit 2012 - Musikrichtungen: Iron Maiden-Fan seit 1982, Epica, WT, Nightwish, Avatar, aus der Region Rhein Main Pentarium, Snow White Blood und alles was rockt. - Wacken-Photographer - Hexentanzfestival Losheim am See / Großrosseln (ab 2023) - Stammgast beim Flörsheimer Open-Air und beim - "das Rind" in Rüsselsheim und das "Moshpit" in Flörsheim sind meine "Wohnzimmer" - Seit November 2020 bei Dark-Art - Wer mehr wissen möchte... einfach fragen.

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