Festivalbericht: M’era Luna 2024 – der Sonntag Teil 2

Die zweite Tageshälfte brach an und sollte auch keine Abkühlung bringen, nachdem uns die erste Hälfte schon eingeheizt hatte.

Die Schweden kommen… war das im 17. Jhd. eine Schreckensnachricht, ist das heutzutage eine Ankündigung für „swedish Deathglam“, welchen Deathstars auf der Bühne eindrucksvoll präsentierten. Sänger Whiplasher Bernadotte, ein Michael-Jackson-Lookalike, das Statement „Whore-Cat“ auf der Gitarre von Cat Casino, die ewig langen Dreads von Skinny Disco und ein mit seinen Sticks spielender Nick, das macht Laune, nicht nur optisch, denn auch musikalisch. Längst dem reinen Death-Metal entsagt, schaffen sie mit immer wiederkehrenden Synthi-Klangflächen und harten Gitarrenriffs eine interessante Mischung aus Synthi-Rock, ihrem selbst betitelten Death-Glam und mit der prägnanten Stimme von Whiplasher Bernadotte eine Musikrichtung mit starkem Wiedererkennungswert. Optisch stellte die Bühnenpräsenz von Gitarre und Bass links und rechts auch für Fotografen eine Herausforderung, nämlich jede Mimik, Gestik und Posen einzufangen, denn sekündlich änderten sie sich. Leider war das fünfte Bandmitglied Nightmare Industries nicht dabei, weshalb heute die Synthies vom Band kamen, was dem Auftritt in keinster Weise geschadet hat.

Willkommen in der C64-Welt bei Welle: Erdball, die ebenso zum Urgestein der Elektronik-Welt gehören. In Erinnerungen schwelgend, das zog sich auch durch ihr Set. Mit Der kalte Krieg aus 2011 über Starfighter 104G aus 2000 oder mit der älteste Song des Sets, ABC-Alarm 1 (1996) zeigten sie einerseits die Historie der Band, andererseits eben auch die Aktualität der somit zeitlosen Tracks. Kreativ, kritisch, sehr detailliert informiert über die Themen, können sie diese auf die Bühne projizieren und einen Song, wie Das Atomboot (C=64) aus 2022 klingen lassen, als wäre er aus den 80ern. Ein Kunstwerk ist ein Auftritt von Welle: Erdball allemal, diesmal wurden Schaufensterpuppen nach und nach auf die Bühne gestellt, immer wieder fing eine andere an zu „bluten“ und am Schluss sind es ca. 15 Puppen, die die Kulisse vervollständigten. Lady Lila und M.A. Peel stehen auf Drehscheiben und gaben alle Seiten von sich preis, bei Starfighter wurden Papierflieger ins Publikum geworfen, beim Marlene Dietrich Cover Sag‘ mir, wo die Blumen sind, wurden entsprechend langstielige Rosen ins Publikum geworfen. Welle: Erdball ist immer noch eine Theater-Performance in Radioform. Sehr sehens- und natürlich hörenswert. Welle: Erdball ist im Februar/März 2025 übrigens auf Tour. 

Als nächste Band betraten Schandmaul die Main Stage. Und man merkte wieder einmal, es war definitiv ein Tag voller Kontraste: Aus der C64-Welt und dem Sound der 80er ging es hier weiter in die Vergangenheit, ins Mittelalter. Saltatio Mortis am Vortag und dArtagnan früher an diesem Tag haben ja schon bewiesen, dass das M’era Luna auch schon immer offen für dieses Genre ist. Durch die Krankheit von Sänger Thomas Lindner war klar, dass er nicht singen würde, aber er war trotzdem mit auf der Bühne an der Gitarre und dem Keyboard und machte sogar Ansagen. „Es sei kein schönes Jahr gewesen, aber es scheine alles gut. Der Kollateralschaden sei aber die Stimme, da sei noch nicht viel los“. Aber mit Georgij Makazaria (ehemals Russkaja) gab es großartige Unterstützung am Mikrofon. Die Stimmung war aber dennoch sehr gut. Das Hexen 1×1 wurde aufgesagt, An der Tafelrunde gesessen und dem Pfeifer zugehört. Der Auftritt endete mit der wundervollen Ballade Dein Anblick, bei der das Publikum Textsicherheit und Stimmgewalt bewies.

Nach Schandmaul ging es auf der Club-Stage weiter. Aber Moment, nur zwei Menschen auf der Bühne, ob das gut geht? Nachdem man die alten Hasen von Combichrist erkannt hatte, wusste man, dass es sich um das Old-School-Set handeln musste und da brauchte es einfach nicht mehr als zwei. Beats in die Fresse holten das Publikum aus dem Mittelalter in die frühen 2000er, Elliot Berlin am DJ-Pult sorgte schon dafür. Andy LaPlegua heizte die Menge an und vor der Bühne ging die Party ab. Mit Klassikern aus frühen Tagen wie This Shit Will Fuck You Up, Get Your Body Beat oder Blut Royale war gute Stimmung hier vorprogrammiert.

Wenn es ja nicht schon so heiß gewesen wäre… Wer bitte kommt auf die Idee, sämtlich Verfügbares an Pyrotechnik in einem Slot von sechzig Minuten abzufackeln? Die Main Stage brannte und deshalb hatte Chris Harms von Lord of the Lost wohl für den Kontrast einen Glitzersteinchen-Anzug an. Funkel, funkel, mitten im Feuerfontänenwald. Wow, das war am späten Nachmittag bei voller Sonneneinstrahlung auf die Bühne schon sehr anspruchsvoll, das ohne Hitzeschock oder Verbrennungen durchzuziehen. Aber dafür stehen ja Lord of the Lost, für Vielfalt, Abwechslung… und Blood and Glitter. Direkt zum Beginn mit The Curtain Falls dachte man, alles an Pyro wäre schon rausgehauen worden, aber weit gefehlt! Fontänen, Jets, Feuerbälle und Leuchtraketen jagten einander quer durch das gesamte Set, aber ausgerechnet Destruction Manual mit der Zeile: „let it burn“ blieb ohne Feuer. Bei den Temperaturen auf dem Platz machte das aber auch keinen Unterschied mehr.

In die gleiche Kerbe wie der Vorgänger auf der Club-Stage schlugen auch [:SITD:]. Ebenfalls nur zu zweit, aber damit in vollständiger Besetzung, mit Bässen, welche die Knochen vibrieren lassen und mit mindestens genauso viel Spaß. Mit Brieselang gab es einen sehr neuen Song, ist er doch erst dieses Jahr erschienen, aber auch ältere Klassiker wie Rot V1.0 oder Kreuzgang V waren dabei. Die legendäre Snuff Machinery aus 2001 durfte natürlich auch nicht fehlen. Das Publikum machte bei den Mitmachparts brav mit oder wie es Sänger Casten Jacek es sagte: „Ihr seid der Wahnsinn, wir könnten euch alle umarmen“.

16 Jahre ist es her, seit Epica das letzte Mal auf dem M’era gespielt haben, und dann noch dieses Jahr die einzige Female-Fronted-Symphonic-Metal-Band. Wo bleibt die Quote? Nichtsdestotrotz hatte man das Gefühl, die Band hat Spaß an dem, was sie tut und vor allem, wo sie es tut. Da werden Herzchen auf der Bühne geformt, da wurden Späße gemacht, da wird gestumpt, da wird mal eben schnell gezeigt, welche Tasten da zu drücken sind, oder es wird die rechte Hand vom anderen Gitarristen übernommen. Ständige Interaktionen auf der Bühne und von der Bühne, mit dem Publikum. Darüber der Mezzosopran von Simone Simons, der umrahmt von riesigen Schlangen-Köpfen als Bühnenbild, die Menge begeisterte.

Die Sonne stand voll auf der Bühne, die roten Haare kamen noch mehr zu Geltung, vor allem, als sie an vielen Stellen im Set in Bewegung kamen. Sonnenbrillen sollten für Musiker unter den Bedingungen eigentlich Pflicht werden. Abyss of Time aus dem letzten Album Omega brachte die Menge auf dem Platz direkt auf Schlagzahl, weiter ging’s direkt mit The Essence of Silence, von Stille natürlich keine Spur. Dem widerspräche allein schon die Doppelfußmaschine von Ariën van Weesenbeek, der mit dem Schlagzeugsolo als Intro zu Beyond the Matrix fast schon einen eigenen Slot erhält. Mit dem Klassiker Cry for the Moon geht es in der Epica-Geschichte um 20 Jahre zurück, schade, dass es in dieser Zeitspanne bis heute nur zu einem Auftritt beim M’era gereicht hatte. Am Schluss folgte eine Einladung von Simone Simons nach Amsterdam, wo Epica diesmal mit Orchester die Symphonic Synergy feiert. Bombast und Epicness sind sicher auch dort garantiert.

Wenn man die am längsten existierende Band an den zwei Tagen erraten müsste, dann kämen wahrscheinlich nicht so viele auf Die Krupps, aber es sind nun schon vierundvierzig Jahre… Mancher Besucher und so manche Besucherin waren da noch nicht geboren, als diese Kultband gegründet wurde. Wegweisend und die nachfolgenden Generationen beeinflussend, könnte man durchaus behaupten, dass sie die Vorläufer der später erst titulierten Neuen Deutschen Härte und des EBM sind. Diese hatten nun die Ehre, das M’era der Club-Stage zu beenden. Wie gewohnt gab es keine großen Worte, sondern es ging direkt los. Blick zurück im Zorn, wohl nicht auf ihre lange Bandzeit, nein sicher nicht. 

Der Amboss, als Visage-Cover, darf nicht fehlen, Machineries of Joy auch nicht – eigentlich schwierig als Band, die so lange existiert, ein Set für ein Festival zusammenzustellen. Welchen Song nehmen wir, welcher muss unbedingt dabei sein? Schwierig. Bloodsuckers und Fatherland fand ich eine gute Wahl, diese gab es aber erst als Zugabe. Bei Crossfire wurde das neue Bandmitglied Dylan Smith vorgestellt, der jetzt an der Gitarre auch zur optischen Verjüngung beitragen wird und von den Sisters of Mercy dazugestoßen ist. Insgesamt eine gelungene Zeitreise als Finale auf der Club-Stage. Aber das Ende des Festivals war es noch lange nicht, es folgte ja noch ein Act auf der Main-Stage.

Und das war ein Erlebnis, das ging unter die Haut. Die Sonne war schon länger untergegangen, das M’era leuchtete im Lichtermeer, alle Hände waren oben, schwangen im Takt, man sah überall tausende von Lichtern, die alle in eine Richtung leuchteten: In Richtung Bühne. Auf der stand Ronan, besser bekannt als VNV Nation, der mit seinen Musikern für ein sehr emotionales Ende des M’era Luna sorgte. Nova als vorletztes Lied mit der Zeile „shine your light on me“… pure Gänsehaut, die Härchen blieben beim nachdenklich stimmenden All Our Sins einfach stehen.

Ein sehr emotionaler Abschluss zweier „schwarzer“, sehr sonniger und heißer Tage. Aber davor gab es natürlich auch ordentlich Tempo und Druck, mit Control, dem Klassiker der One-„Ronan“-Show, der im kurzärmeligen Hemd so unscheinbar daher kommt, wie immer bei seinen Auftritten, sich zwischendurch immer wieder bedankt, erstaunt ist über die Menge an Zuhörern, an Fans. Ein druckvolles, gut tanzbares Nemesis, anklagend und aktuell. „Wow, was für eine Party“. Understatement für einen Künstler, der seit 34 Jahren unterwegs ist, aber bei Run immer noch einen emotionalen Ausbruch hat, ein Künstler, der nahbar ist. So würdig, den letzten Slot zu bestreiten.

When is the future? – Klar, nächstes Jahr beim M’era Luna 2025.

Bericht: Patrick Süß, Eric Süß
Bilder: Eric Süß

 

Mehr zum diesjährigen M’era Luna findet ihr hier:

Frühere Beiträge zum M’era Luna findet ihr hier:

Mehr über die Bands bei Dark-Art findet ihr hier:

 

Über Patrick Süß 77 Artikel
- Photographiere Konzerte seit 2012 - Musikrichtungen: Iron Maiden-Fan seit 1982, Epica, WT, Nightwish, Avatar, aus der Region Rhein Main Pentarium, Snow White Blood und alles was rockt. - Wacken-Photographer - Hexentanzfestival Losheim am See / Großrosseln (ab 2023) - Stammgast beim Flörsheimer Open-Air und beim - "das Rind" in Rüsselsheim und das "Moshpit" in Flörsheim sind meine "Wohnzimmer" - Seit November 2020 bei Dark-Art - Wer mehr wissen möchte... einfach fragen.

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