Am Freitag gab es in Wacken einen neuen Feind: die Sonne. Während es am Donnerstag noch recht wechselhaft war, war es heute heiß und weitestgehend trocken, aber das ganze Gelände glich einer Sauna. Einige Flächen riefen Erinnerungen an den großen Staubsturm aus dem letzten Jahr wach und die Matschfelder wurden größtenteils begehbarer, in manchen Bereichen saugten sich die Stiefel aber nur noch stärker fest.
Wie startet man in so einen Tag? Natürlich mit Frühschoppen auf der Louder Stage, wir sind ja schließlich auf einem Festival und weil es ein Metalfestival ist, ist keine Band besser dafür geeignet als J.B.O. Für 12 Uhr war schon sehr viel los, es gab sehr viel pink und allerlei schräge Gestalten zu sehen. Natürlich auch Crowdsurfer in allen Varianten, unter anderem auch auf einem aufgepusteten rosa Herz. Es gab heute viel „alte Scheiße“ zu hören, Vader Abraham hatte einen Gastauftritt und es wurde auch ein ernster Song gespielt: Keep Rocking in a Free World in Gedenken an den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Trotzdem war die Stimmung unfassbar gut und alle hatten Spaß – man darf sich selbst einfach nicht zu ernst nehmen.
Vor der Harder Stage versammelten sich ebenfalls schon viele Menschen, obwohl einige vermutlich schon Erste-Reihe-Plätze für den heutigen Headliner sichern wollten. Die meisten kamen aber vermutlich für die Punk Rocker von Kärbholz. Diese weckten nun auch diejenigen, die nicht beim Frühschoppen dabei waren. Trotzdem war es noch etwas zu früh, wie sich am unkoordinierten Versuch, einen Circle Pit zu bilden zeigte – vielleicht lag es auch an der Bodenbeschaffenheit. Der Circle Pit zeigte aber auch, dass es tatsächlich möglich ist, Tattoos per Körperreibung zu übertragen, zumindest wenn man der Umfrage im Publikum glauben schenken möchte. Die Publikumsnähe trotz dieser großen Bühne und der Menge an Menschen war immer zu spüren, auch wurden sie oft in die Show involviert und das nicht nur in Circle Pits, beispielsweise wurden gezielt einige Menschen in der Menge angesprochen oder sich beim Matschwerfen die Hände schmutzig gemacht und das Landleben glorifiziert. Insgesamt versprach die Show sehr viel Spaß.
Eine Viertelstunde später wurde auf der Faster Stage Geschichte geschrieben. Amaranthe spielten hier, was erstmal nichts Außergewöhnliches ist, aber heute wurde das neue Album The Catalyst angekündigt, welches im Februar kommen soll. Natürlich wurde auch hier den Daheimgebliebenen gedacht und ordentlich Lärm für sie gemacht. Das erst im Juni hinzugekommene neueste Mitglied Mikael Sehlin konnte auch direkt schon zeigen, was er draufhat, er bewältigte die gutturalen Gesangsparts mit Bravour. Aber natürlich begeisterten auch die bekannten Gesichter der Band mit ihren Skills. Die Stimmung in der Sonne vor der Bühne war sehr ausgelassen und es hätte die Pyrotechnik gar nicht gebraucht, um die Leute ins Schwitzen zu bringen.
Mit Leaves‘ Eyes gab es ein weiteres Schmankerl auf der Louder Stage. Wie es sich für Wikinger gehört, war die Bühne mit Schilden und Feuerschalen dekoriert. Sogar im Publikum konnte man einige Wikinger finden, die im Takt mit ihren Waffen rasselten oder in ihre Hörner stießen. Aber nicht nur im Publikum, auch auf der Bühne ging es gut ab. Neben Headbanging, dröhnenden Riffs und Pyrotechnik, gab es eine Schaukampftruppe, die die Show bereicherte. So konnte man sehen, wie sich Wikinger die Schädel einschlugen und auch, wie Sänger Alex zwei Gegner mit seinem flammenden Schwert besiegte. Aber trotz all des Kämpfens und der „aggressiven“ Musik, wurde auch betont, dass die Metal Familie keinen Rassismus und keine Diskriminierung kennt und wir alle zusammengehören – word.
Das Metal Battle war am Tag zuvor beendet worden, was bedeutete, dass die W:E:T und die Headbangers Stage jetzt als Platz für größere und längere Auftritte dienten. Wie zum Beispiel für den von Ghostkid. Die Crowd war förmlich am Kochen. Die Sonne brannte, aber das hielt natürlich niemanden auf, Spaß zu haben. Auch der Matsch und die dazugehörigen Gummistiefel galten nicht als Ausrede für einen ausgewachsenen Circle Pit um Bassisten Stanni und Gitarristen Jappo im Publikum. Stanni schien generell die meiste Zeit überall, nur nicht auf der Bühne zu sein. Die enge Verbundenheit der Band zu ihrem Publikum war wirklich in jeder Sekunde spürbar. Sänger Sushi hat heute sogar extra für diesen Anlass ein Kleid angezogen. Es flogen Sticks, Mikrofone und Wasserflaschen durch die Luft, letztere auch ins Publikum. Die Securities bekamen ein Shout Out für ihre gute Arbeit und die, die es nicht aufs Festival geschafft hatten, bekamen ganz viel Liebe durch den Live-Stream zugeschickt. Das Element der großen Wackenfamilie, was sich durch das ganze Festival zog, wurde auch hier wieder aufgegriffen.
Das Highlight von Wacken war aber natürlich der große Headliner: Iron Maiden. Die Legenden, seit nunmehr 47 Jahren dabei, spielten schon etliche Male auf Wacken, und trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb wurden sie heiß ersehnt. Das Infield war bei keiner Band davor oder danach so voll wie hier. Wie immer lief unmittelbar vor dem Beginn der Show Doctor Doctor vom Band und wie immer ging das Publikum hier schon mit. Uhrenticken kündigte die Zeitreise an, auf die wir uns begeben würden, denn das letzte Konzert der Future Past Tour in Europa stand, wie der Name schon andeutet, ganz im Zeichen des Albums Somewhere in Time und natürlich stellte sich die Gänsehaut beim Intro von Alexander the Great sofort auf, schließlich wurde dieser Song auf dieser Tour das erste Mal live performt. Der typische Backdrop, der passend zum jeweiligen Song wechselte, wurde heute durch zwei LED-Wände links und rechts erweitert, auf denen Videoausschnitte liefen. Eddie wurde über die Bühne gejagt und mit Leuchtfackeln beschossen – der altbekannte Kampf der Band gegen ihr übergroßes Maskottchen in einem etwas anderen Gewand. Auf einige Klassiker, die normalerweise immer gespielt wurden, musste leider verzichtet werden, aber wenn 50.000 Kehlen Fear oft he Dark mitsingen und sich die Gänsehaut nur noch verstärkt, ist auch das schnell verziehen. Die Band hat es nach all den Jahren immer noch drauf. Sie sind Kämpfer und werden wohl noch auf Bühnen stehen, bis sie tot umfallen. Das zeigte sich am prominentesten durch Bruce Dickinsons Kehlkopfkrebs, den er erfolgreich besiegte und zuletzt durch Nicko McBrains Schlaganfall, den er im Januar 2023 erlitten hatte und trotzdem bei dieser Tour dabei war. Leider hatte man heute etwas das Gefühl, dass das Publikum mehr Bock hatte als die Band, denn die Show der Jungs wirkte sehr viel weniger verspielt als sonst. Auch sehr schade war es, dass Maiden nicht im Stream zu sehen waren.
RH: Ein weiteres Highlight folgte nach Iron Maiden auch auf der Faster: Wardruna. Die Band aus Bergen, Norwegen wurde bereits während des letztjährigen Wackens für 2023 angekündigt und wurde von den Fans lauthals bejubelt! Kein Wunder, denn die Band war zuvor noch nicht auf Wacken. Aber was wäre ein Wacken mit Wikinger Thema ohne Wardruna? Noch weniger Wikinger als so schon. Mit Nyckelharpa und Gesang ging das ganze auch schnell los, die Bühne gehüllt in weiße Stoffbahnen, die Band die da steht und musiziert. Keine Flammenshows, kein Herumrennen, kein Springen. Nur die Musiker, der löchrige Stoff und das Licht. Und was für Licht, die sphärische Musikerfahrung aus der markanten Stimmen von Einar „Kvitrafn“ Selvik und Lindy Fay Hella sowie den Chören die durch den Gesang der andere Musiker entstehen. Ein Auftritt, bei dem man einfach die Augen schließen möchte, um ihn zu genießen. Während Kvitravn, das das Set eröffnete, sowie Skugge durfte man ein beeindruckendes Schattenspiel auf der großen weißen Stoffbahn beobachten, Zuschauer die weiter vorne standen durften dabei beobachten das die Handbewegungen Kvitrafns nicht immer mit seinen Schatten übereinstimmten, welch heidnische Technik dahintersteckte, überlassen wir eurer Fantasie. Eine Sonnenfinsternis, Bodennebel, Hörner, man muss es erlebt haben und sich eingelassen haben. Auch hier fehlte leider ein Stream für die daheimgebliebenen Zuschauer.
Was kommt nach dem Headliner? Natürlich der Deadliner. Diese Rolle übernahmen heute Lord of the Lost, ihres Zeichens Vorband von Iron Maiden auf zwei Touren, ESC-Teilnehmer für Deutschland, die unseren letzten Platz erfolgreich verteidigen konnten und, wenn man einigen bösen Zungen glauben mag, die Nachfolge von Unheilig im Ausverkauf. Hier war nur noch ein Bruchteil der Menschen anwesend, die noch für Maiden kamen, aber es war ja schließlich auch schon kurz vor 1 Uhr in der Nacht. Chris Harms hat anscheinend von Bruce gelernt, denn auch er wuselte wie ein Wiesel über die Bühne, war mal hier und mal dort. Auch machte er einen Sport daraus, den Kameras auszuweichen. Wer im Vorfeld aufmerksam auf Instagram unterwegs war, war nicht sehr überrascht davon, dass auf einmal Blümchen auf der Bühne stand. Viel überraschender war allerdings die Metal Version von Herz an Herz, die aber sehr gut aufgenommen wurde. Zusammen performten sie aber natürlich auch The Look. Ein-Mann-Circle-Pits, um seine Umstehenden kennenzulernen wurden auch veranstaltet, allerdings klappte das nur bedingt, denn der Boden ließ es kaum zu. Wie schon an anderen Shows an anderen Tagen gruben sich hier viele ein kleines Loch, um wenigstens etwas festen Boden unter den Füßen zu haben. Trotz dessen und trotz der Uhrzeit machten LotL wie immer sehr viel Spaß und bewiesen einmal mehr, dass sie eine absolute Live Band sind.
RH: Während vor der Louder so manches schwarze Herz höher schlug, wurde es vor der Headbanger Stage eisig kalt um jene, die sich für Sólstafir entschieden haben. Die Isländer Band gehört zu jenen, die mit einem Dutzend Lieder Stunden füllen können und innerhalb eines einzelnen fast jedes hitzige Gemüt abkühlen. Ja, das ganze sollte auch eine Metapher sein, das es zu dem Zeitpunkt gut abgekühlt hat und man im Schlamm stehend auch so langsam kalte Füße bekommen konnte. Wie dem auch sei, die Band um Aðalbjörn Tryggvason (ja, ich habe es kopieren müssen..) hat in den vergangenen Jahren einen Wandel hingelegt vom Viking Metal, zu Psychedelic/ Alternative Rock und begeistert nun seit Jahren auch tausende Fans in Deutschland. Der Gesang in isländischer Sprache lullt das Publikum teilweise ein um es kurz darauf mit einem lauteren Schrei wieder zu erwecken, während die Musik sich in langsamen und gedämpften Parts erhebt um aufzuschreien. Insbesondere Live sind Stücke wie Rökkur oder Fjara ein Erlebnis, Aðalbjörn Tryggvason tritt dabei dem Publikum sehr nah und das gehört einfach dazu, das Gefühl des gemeinsamen Erlebens, des Zelebrieren der Musik, im Gegensatz zu anderen Auftritten, bei dem das Publikum diese nur konsumiert. Eine erfrischendes Erlebnis und ein sanpftes Ende eines vielfältigen Konzerttages.
Neben den genannten Bands gab es natürlich noch ganz viele andere tolle Bands, die genannt werden müssen. Auf der Wasteland Stage spielten Autumn Bride, Morast, Frozen Soul, Neverland in Ashes, Our Promise, Eyes und Konvent. Die Wackinger Stage wurde durch Dezperadoz, Harpyie, Peyton Parrish, Twilight Force, Skalmöld, Havukruunu und Tanzwut unsicher gemacht. Die W:E:T-Headbangers Doppelbühne wurde abwechselnd von The Raven Age, Focus, Employed to Serve, The Good the Bad and the Zugly, Dust Bolt, Depressive Age, Get the Shot, The Vintage Caravan, Dog Eat Dog, Dying Fetus, Legion of the Damned, und Crematory bespielt. Auf der Louder gab es Caliban, Takida, Donots, Deicide und VV zu sehen. Auf der Harder Stage rockten While She Sleeps und Santiano, während die Faster Stage Spielplatz für Trivium und Megadeth war. Einige davon haben unsere Fotografen auch sehen können, diese Bilder findet ihr in einem gesonderten Beitrag, zu dem ihr hier gelangt.
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