
Es versprach ein Abend voller Emotionen zu werden, als die Sonne am 24.01. in Frankfurt unterging. Kurz danach bildeten sich schon zwei lange Schlangen in beide Richtungen entlang der Gwinnerstraße in Frankfurt, bevor dann um 18 Uhr der Einlass begann. Die Schlangen fusionierten hinter dem Tor der Batschkapp, aber über den Verlauf der nächsten halben Stunde bis zum Beginn des Konzerts wurden sie scheinbar auch nicht kürzer. Da wurde das erste Mal sichtbar, dass das zweite Konzert der Tour das erste Konzert der Tour war, was restlos ausverkauft wurde. Erstaunlich, dass zur ersten Vorband schon so viele Leute kamen.
Noch während noch nicht alle Menschen in der Halle waren, fingen focus. an zu spielen. Die „5 Idioten mit Herzen aus Punkrock“ aus Riesa in Sachsen, machten ordentlich einen drauf. Zu Beginn aber erstmal die obligatorische Frage, ob Frankfurt denn gut drauf sei. Der gemeine Frankfurter kommt zwar schon zur ersten Band pünktlich, aber braucht diese auch um warmzuwerden. Die Reaktion fiel entsprechend etwas mau aus. Auch die Mitsingparts waren erstmal noch ein wenig zaghaft, aber im Verlauf der 30 Minuten Spielzeit wurde es immer besser und spätestens als die Band feststellte, dass Wochenende ziemlich geil sei, war Bewegung in der Halle. „Wer musste fünf Tage arbeiten? Und wer findet das scheiße?“, lustigerweise meldeten sich mehr Personen bei der zweiten Frage als bei der ersten. Zwei Buchstaben waren die Stichwörter: A und U, diese wurden auch immer schneller werdend skandiert, bis sie im Song AU mündeten. Auch wenn am Ende auf die Frage „seid ihr warm?“ nur eher zögerlich geantwortet wurde, es hat sehr viel Spaß gemacht.
Außerdem kam ja noch eine Band vor Hämatom. Engst machten da weiter, wo focus. aufgehört hatten, nämlich auf einer dunklen Bühne. Mit Trommeln und einer Melodie als Intro gingen immer mehr blaue Strahler an, bis am Ende die gesamte Bühne in dunkelblaues Licht gehüllt war. Dann gelbe Strahler von vorne und die Worte „Wir sind Engst aus Berlin“ und es ging direkt in die Vollen. „Geht es euch gut? Reißen wir ab oder was?“ stieß auf deutlich stärkere Reaktionen. Nie wieder Alkohol… vielleicht riss dann auch tatsächlich ab, darauf erstmal ein Bier. Sänger Matthias Engst meinte, es sei in Frankfurt wie nach Hause zu kommen. Darauf erstmal Lärm und Jubel, aber auch für focus. und auch für Hämatom. Damit Engst aber nicht gegen den Rest „abstinkt“, musste der Saal zum Refrain von Alle wollen alles jeweils vier Hüpfer nach rechts und links machen. So viel Bewegung sieht die Batschkapp eher selten, die Empore im hinteren Teil schien auch etwas zu wackeln. Zusätzlich ging es für alle jungen Menschen ohne Arthritis in die Hocke, damit „die Kinder auch etwas sehen“, bevor der Saal gemeinsam aufsprang und eskalierte. Der Saal blieb auch in Bewegung bei König, bei dem zwei Fans auserkoren wurden, je eine Polonaise anzuführen, eine rechts- und eine links rum, bis ganz ans andere Ende der Halle. Es gab aber auch ernste Messages, denn die Single Denker und Dichter sei in Zeiten von Trump, Musk, Merz und Weidel bitter nötig – gegen Faschismus. Wer sich damit nicht identifizieren könne, hatte jetzt die Chance, Bier holen zu gehen. Der Lautstärke des Mitsingparts nach zu schließen, stand die Menge aber eindeutig hinter der Message. Der Gitarrist machte einen Ausflug und surfte über das Publikum, die Band wollte ihn zurück, bis der Song vorbei war. Er blieb natürlich noch ein bisschen länger. Zu Geschichte schreiben richtete Matthias Engst ein noch paar persönliche Worte ans Publikum. Der Song sei seinem Vater gewidmet, der eine kritische OP überlebt hatte und sich freuen kann, dass sein Sohn so viel Spaß auf den Bühnen dieser Welt hat. Mit dieser doch sehr positiven Message endete der Auftritt, natürlich nach dem obligatorischen Foto. Zehn Jahre gibt es Engst jetzt schon, das kann Ende des Jahres bei der 10-Jahre-Jubiläumstour ausgiebig gefeiert werden. In der Umbaupause gab es Griechischer Wein zu hören und trotz des großen Genrekontrasts sang der Saal mit, als stünde Udo Jürgens persönlich vorne.
Die Bühne wurde in eine große Regenbogenfahne gehüllt, mit dem großen Hämatom-Schriftzug und den Bandmitgliedern als Einhörnern darauf abgebildet. Noch ohne Rose, dafür aber mit West. Dass der Tod von West die Band immer noch sehr beschäftigt, zeigt das Album Für Dich, was am Tag des Konzerts erschienen ist, eindeutig. Ein Mosaik aus vielen kleinen Bildern, die die Maske von West ergeben, ziert das Cover. Aber zurück zum Konzert. Eine umgedichtete Version von Wir sagen Dankeschön ertönte als Intro und gleichzeitig ein Rückblick auf die letzten 20 Jahre der Band. Die inzwischen wirklich sehr gut aufgewärmte Menge sang ausgiebig mit, bevor das Einhorn wie bei jeder Show vor dem Vorhang erstmal die Stimmung testen musste. Natürlich ohne Probleme, denn die Halle hatte Bock und die Band hatte Bock. Auch das Gummibären-Intro wurde aus voller Seele mitgegrölt. Diesmal mit weniger Pyro als gewohnt, aber immer noch mit einer Menge Funken, Fontänen und Kanonenschlägen im Gepäck ging die Party mit Ein‘ auf den Tod – Zwei auf das Leben los. Ohne Pause ging es mit gleicher Energie sofort weiter. Vor der Begrüßung nach Gaga kam Nord erstmal nicht zu Wort, weil er von Hämatom-Rufen übertönt wurde. Erst nach ein paar Minuten war es ruhig genug, dass er die Batschkapp begrüßen konnte. „Wenn hier jemand geisteskrank ist, dann seid ihr das“, war die erste Ansage. Die zweite war die Aufforderung, gemeinsam die Party zu beginnen und die Hütte abzureißen. Gesagt, getan – mit Ich hasse dich zu lieben und Lachend in den Untergang. Die Trauerbewältigungshymne Gott muss ein Arschloch sein folgte, ganz im Namen Wests, der in genau dieser Halle im Mai 2023 sein letztes Konzert mit der Band spielen konnte. Er begleitet die Band weiterhin, der Bass bleibt unbesetzt. Rose ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung, und ist, zumindest laut Nord, mit Sicherheit ein Geschenk von West aus dem Jenseits. Mittelfinger gegen den Himmel, viele Umarmungen auf der Bühne und Hämatom-Rufe, die sich in Rose-Rufe wandelten, waren der Spirit. Das fünfte Bandmitglied wurde nun endgültig von den Fans akzeptiert. Oder eher das fünfte Familienmitglied, denn Wir sind keine Band, wir sind Familie. Zu Erzähl es meinem Mittelfinger konnte jede Person einmal zeigen, wie gut sie springen kann. Bei der Reprise wurde ein Schminktisch aufgestellt und man konnte Nord mit einer Zigarre in der Hand im Spiegel beobachten. Danach wurde die Bühne dunkel.
Auf den vier vertikalen LED-Panels, die auf der Bühne standen, erschienen animierte Figuren von Nord, Ost, Süd und Rose, die zu Scheiße kommt – Scheiße geht, tanzten, bevor es eine weitere Ansage gab. Geburtstage müsse man feiern, deshalb sei spätestens jetzt die Zeit, zu trinken. Abgehen, singen, schreien, sich ausziehen, sei alles okay heute. Bei Diego Maradona erschien Nord mit einer riesigen Kanone auf der Bühne und verschoss T-Shirts ins Publikum. Ein Highlight jeder Hämatom-Show ist das Drum Surfing, denn normales Crowd Surfing ist ja langweilig. Süd ritt also an seinem Schlagzeug über die Wogen der Menge und wollte schon gar nicht mehr zurück auf die Bühne. Ein weiteres Highlight dieses Abends war aber eine ganz besondere Überraschung. Eine Person auf dem Publikum wurde zufällig ausgewählt und durfte auf die Bühne kommen, um einen zufälligen Song aus den letzten 20 Jahren mit Hämatom zusammen zu singen. An der Stelle einmal riesigen Applaus an Matschi für den Mut, tatsächlich auf die Bühne zu gehen. Dafür wurde The Buzzer man, ein Typ mit Buzzer auf dem Kopf, auf die Bühne geholt und sie durfte den Knopf drücken, was das Glücksrad startete. Um sie zu unterstützen, führte die Menge die sogenannte „Westwelle“ aus und es wurde… ohhhhhh… Spannung….. Leichen pflastern unseren Weg! Sichtlich sehr überfordert und überwältigt, trotz Text auf der Bühne, fing sie an zu singen, aber brach dann ab. Nach einer kurzen Umarmung von Nord gab es eine zweite Chance, die dann auch direkt besser klappte als der erste Anlauf.
Es ging noch ein kleines Stück weiter zurück in der Bandgeschichte zum Song Alte Liebe rostet nicht, dem Song, ohne den es Hämatom vielleicht nicht mehr geben würde, denn das war der Durchbruch. Aber Hämatom wären nicht Hämatom, wenn sie dem ganzen nicht einen Twist geben würden und so wurde der Song unplugged von Nord und Ost auf zwei Podesten mitten im Saal performt. Klatschend wurde ein Gang von der Bühne geformt und unter Jubel liefen die beiden nach hinten. Viele sangen mit, ein Meer aus Lichtern begleitet das Ganze. Für den Rückweg gab es dann eine kurze Akustikversion von Schmutzig liebe machen. Für den Tanz auf dem Vulkan bekam Nord einen Fedora und bekam dafür direkt erstmal einen fetten Applaus, denn mit Hut ist er eine Partymaschine. Mit Eva und Bleib in der Schule gab es zum Abschluss nochmal richtige Kracher. Die Bühne wurde dunkel und man muss der Band wirklich lassen: Sie lassen sich wirklich sehr feiern.
Die Zugaberufe und Fangesänge waren schon fast wieder verstummt, als sie endlich wieder auf Bühne kamen und Wir sind Gott anstimmten. Aber Nord fehlte. Wo war er? Es wurde warm im Rücken und ein Blick über die Schulter zeigte: Nord stand am FOH auf einer kleinen Bühne, umringt von vier Feuersäulen. Während Lichterloh wurden auf den LED-Panels Videos von West gezeigt, vor allem von alten Auftritten. Nord kehrte er auf einem Schlauchboot über das Publikum auf die Bühne zurück, mit Funken, die aus seinem Handschuh schossen. Das Publikum sang immer weiter und weiter und weiter, obwohl der Song schon lange vorbei war. Für Pogo Girl gab es einen Mosh Pit ohne Männer, denn es geht im Song schließlich um Pogo Girls und eben nicht Pogo Boys. Es regnet Bier wurde angeteased mit einer kleinen Gitarrenmelodie und das Publikum sang direkt mit. „Alles nur wegen Bier? Da müssen andere Substanzen mit dabei sein!“, kommentierte Nord die Menge. Die Melodie wurde trotzdem geübt, immer lauter und lauter. Beim tatsächlichen Song gab es von Ballons über Luftschlangen bis hin zu Funken und Kanonenschlägen alles. „Danke für diese geile Scheiße“. Als Rausschmeißer gab es eine unplugged Version von Wir sind keine Band, während sich einige Gäste mit Luftschlangen schmückten.
Setliste: Ein‘ auf den Tod – Zwei auf das Leben // Säulen des Wahnsinns // Gaga // Ich hasse dich zu lieben // Lachend in den Untergang // Gott muss ein Arschloch sein // Wir sind keine Band // Erzähl es meinem Mittelfinger // Erzähl es meinem Mittelfinger (Reprise) // Scheiße kommt – Scheiße geht // Ficken unsren Kopf // Diego Maradona // Kids (2 Finger an Kopf) // Leichen pflastern unsern Weg // Alte Liebe rostet nicht (unplugged) // Tanz auf dem Vulkan // Alles wegen Bier // Eva // Bleib in der Schule
Zugabe: Wir sind Gott // Lichterloh // Pogo Girl // Es regnet Bier // Wir sind keine Band (unplugged)
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