Dieses Jahr ist für mich ein Jahr der Jubiläen. Am Halloween-Abend stand die Feier zum 40-jährigen Bandbestehen von Sepultura auf dem Plan. Von der Originalbesetzung ist Bassist Paulo Xisto Pinto Jr. noch an Bord geblieben. Gitarrist Andreas Kisser kam 1987 dazu und Sänger Derrick Green folgte 1998, als neuestes Mitglied ist Schlagzeuger Greyson Nekrutman zu nennen, er löst dieses Jahr Eloy Casagrande für die Abschiedstournee ab. Denn nach der Celebrating Life through Death-Tour ist leider Schluss mit Sepultura, ein Abgang mit Würde.
Erster Tourstopp in Deutschland ist die Stadthalle Offenbach. Hier tummeln sich also um 17 Uhr neben kostümierten Toten mit Sombreros und Hexen auch jede Menge Metalheads und man darf gespannt sein auf den neuen Schlagzeuger.
Zum ersten Mal betrat ich die Stadthalle Offenbach. Die Halle ist ähnlich aufgebaut wie die Jahrhunderthalle, was ihr ein besonderes Flair verleiht. Die Halle ist rechteckig, die Bühne befindet sich in der Mitte der Längsseite, Plätze sind frei wählbar und zu Beginn der ersten der view Shows gab es noch eine gute Auswahl an Sitzplätzen, auch ohne spezielles Sitzplatzticket.
Jesus Pieces
Die fünf Musiker aus Amerika legten sich mächtig ins Zeug und so bekamen wir eine gute Stunde lang Beatdown Hardcore/Deathcore zu hören. Aaron Heard growlte sich die Seele aus dem Leib, dazu sprang er aus dem Stand beeindruckend hoch, bewegte sich ständig über die Bühne, machte Sidekicks, zeigte uns bei einem Song den Mittelfinger und am Ende zog er sein T-Shirt aus. Ich hatte das Gefühl, er wollte seiner ganzen aufgestauten Wut und Energie freien Raum lassen. Spannend fand ich die Tatsache, dass ein Bandkollege bei einigen Songs die Zweitstimme growlte. Der eine oder andere im Publikum fing an sich aufzuwärmen, indem er pogte, hüpfte oder headbangte. Beim letzten Lied kniete sich der Sänger auf den Boden und die beiden Gitarren und der Bass setzten zusammen mit dem Schlagzeug ein und es gab einen kleinen Soundwechsel, bevor es wieder mit dem treibenden Bass, den donnernden Gitarren und dem wütenden Gesang weiterging.
Meiner Meinung nach funktioniert die Musik der Band in einem kleinen Club besser und die Dynamik des Sängers kann besser auf das Publikum übertragen werden. Als Einheizer für die ersten großen Fanlieblinge waren sie aber super gewählt.
Obituary
Die Musiker aus dem sonnigen Florida überzeugten als nächster Support. Sie gehören zu den Urgesteinen der Florida Death Metal Szene. Die Musik ist geprägt von Thrash Metal mit herunter gestimmten Gitarren und Bässen. Obituary sind in der Szene bekannt für ihre Riffs und dissonanten Soli im Stil von Celtic Frosts Morbid Tales.
Dass mit Obituary Szenegrößen die Bühne betraten, merkte man an der wachsenden Zuschauermenge und auch an der lebhaften Atmosphäre auf den Tribünen. Nahm die Menge das Intro und die ersten minutenlangen Gitarrensoli noch mit ihren Handys auf, gab es ab dem ersten Ton von John Tardy kein Halten mehr. Hey-Rufe wurden initiiert, die Hände mit der Metal-Geste (Pommesgabel) in die Höhe gereckt, auf und vor der Bühne geheadbangt und ein kleiner Kreis zum moshen gestartet. Beeindruckend, wenn man bedenkt, dass die Bühne in Nebel gehüllt war. Beim Intro noch in Grün, dann in verschiedenen Farben und mal mehr, mal weniger. Oft ist Nebel eher ein Stimmungskiller, nicht so bei Obituary.
Die Band wechselte von älteren Songs, bei denen John Tardy mit seinem gutturalen Gesang zu überzeugen wusste, zu neueren Songs mit mehr Gesang. Die Gitarrensoli sind auch ohne Hintergrundwissen ein Markenzeichen und bereicherten die Musik. Das Publikum war außer Rand und Band, Sombreros wurden zusammen mit Händen in die Höhe gereckt. Es wurde gemosht und die ersten Crowdsurfer waren unterwegs. Der Sänger sprach wenig, dankte und freute sich auf Deutsch und ließ ansonsten in der guten Stunde die Musik sprechen. Eines meiner Highlights war der Song War. Er begann mit Stakkato und Maschinengewehr und ich hatte einen kurzen Moment, wo ich dachte, ich wäre bei One von Metallica gelandet. Die Gitarren sind thrashiger, die Drums wütender und hier wurde neben Handyaufnahmen noch mehr getanzt und sich ekstatischer bewegt. Mit der ersten veröffentlichten Single Slowly we rot endete die Show. Die Musiker bedankten sich, klatschten sich ab und verließen die Bühne.
Jinjer
Jinjer gehören zu den Durchstartern der letzten Jahre. Die ukrainische Band um Sängerin Tatiana Shmayluk, Gitarrist Roman Ibramkhalilov, Bassist Eugene Abdukhanov und Drummer Vlad Ulasevich ist vor allem für den Gesang und die Growls von Sängerin und Femme Fatale Tatiana Shmayluk bekannt.
Zu stakkatoartigen Lichteffekten begann die Show mit einem Gitarren- und Schlagzeugsolo. Sängerin Tatiana kam auf die Bühne und startete mit dem Growlen. Mit Leichtigkeit und entspannter Gestik wechselte sie, während sie über die Bühne wirbelte, sich auf ihrem Podest abstützte oder über die Bühne tanzte, zwischen klarem und gutturalem Gesang. Das kam beim Publikum gut an und so konnte man einen kleinen Moshpit und die ersten Headbanger beobachten.
Bei Jinjer gab es aber nicht nur Songs zum Moshen und Headbangen und so konnte man den einen oder anderen Song mit wechselnden Gitarren- und Rhythmusvarianten genießen. Auch gesanglich gab es zwischen den überwiegend klar gesungenen Liedern und Liedern mit einem hohen Anteil an gutturalem Gesang, auch Sprechgesang zu hören. Vor allem die Songs mit mehr Biss kamen beim Publikum super an und so wurde sofort geheadbangt oder gemosht.
Sängerin Tatiana bedankte sich für zehn Jahre Support. Neben den unterschiedlichen Gesangsstilrichtungen arbeitet die Band oft mit dem Element, dass die Bühne verdunkelt und mal in roten, blauen oder weißen Tönen beleuchtet wurde. Die Energie war auch von den Rängen aus zu sehen und übertrug sich. Der Gitarrist und der Bassist griffen mit einem Enthusiasmus in die Saiten, der auch auf der Tribüne zu spüren war. Die Sängerin wirbelte über die Bühne, mal mit wippenden Hüften, mal mit Sidekick, mal auf einem Podest stehend und mit direktem Blickkontakt zum Publikum, um im nächsten Moment wieder über die Bühne zu fegen.
Auch gesanglich verwundert es kaum, dass Sängerin Tatiana oft als Maßstab für Metalcore-Sängerinnen herangezogen wird. Die Leichtigkeit, mit der sie zwischen klarem und gutturalem Gesang wechselte, war wirklich beeindruckend, vor allem, weil es sich je nach Lied nur um einzelne Worte handelte.
Während des Konzertes wurde uns der neue Song Kafka vorgestellt, ein Song, der zunächst ruhig beginnt und dann in einen fetten Metalcore mit viel gutturalem Gesang übergeht. Viel zu schnell war die Show vorbei und ich muss sagen, dass Jinjer ihren Job richtig gut gemacht haben, um die Übergänge zwischen Deathcore, Florida Death Metal und Sepultura zu finden.
Sepultura
Die Show von Sepultura begann mit dem Intro zu den Tönen von Polícia. Die Bühne war während des Intros in Blautöne getaucht. Mit den typischen Drums und einem Shout aus dem Off betraten die Musiker die Bühne und es stand der Party nichts mehr im Wege. Das Party-Ventil wurde mit den Drums geöffnet. Normalerweise kann man bei Konzerten sagen, dass es Songs gab, bei denen Crowdsurfer dabei waren. Nur bei diesem Konzert fing das Surfen mit den ersten Songs an und hörte nicht mehr auf. Zusätzlich gingen bei Refuse/Resist sofort die Hände in die Luft und es wurde laut ‚Hey‘ gerufen und man konnte die Moshpits in den ersten Reihen beobachten.
Die Bühne war sehr aufwendig aufgebaut, das Schlagzeug stand in der Mitte erhöht auf einem Podest, das die ganze Bühne einnahm. Hier konnte man auch öfter den Bassisten oder ab und an den Gitarristen beim Schlagzeuger beobachten. Die Traversen waren mit LED-Screens bestückt, die passend zu den Songs mit Bildern bespielt wurden.
Territory brachte die Fans in Ekstase. Neben den bereits erwähnten Crowdsurfern, Moshern, Headbangern und in die Luft gereckten Händen wurde auch eine brasilianische Flagge gehisst. Ab Slave New World fiel dann der Backdrop und eine riesige Weltkugel wurde auf die LED Leinwand hinter dem Drummer projiziert. Je nach Song wurden entsprechende Bilder eingeblendet, zum Beispiel für Phantom Self mit Blutadern, für Attidude mit Ureinwohnern oder die Musiker wurden passend zur Farbkombination auf der Leinwand eingeblendet. Sepultura wussten welche Songs bei uns Fans gut funktionieren und so wurden Songs von der ersten Stunde bis zum Schluss gespielt. In guter Thrash Metal-Manier, mit einem Hauch von Folklore. Es war eine Power und Atmosphäre, welche getragen von der Energie eine riesige Feier ist und es einen kaum durchatmen lässt.
Am Ende von Attidude gab es eine kleine Verschnaufpause und mit einem deutschen ‚Dankeschön‘ wurde der neue Schlagzeuger vorgestellt. Greyson Nekrutman hat bis zu dem Zeitpunkt einen hervorragenden Job gemacht und ich bin wirklich begeistert von den wechselnden Rhythmen und dem treibenden Bass. Sein weiteres Können stellte er gleich unter Beweis, als er im Schlagabtausch mit Gitarrist Andreas Kisser vom letzten Album Means to an End eröffnete. Songwriter Kisser beschreibt das Stück als einen Song mit irrsinnigem Tempo, eigener Dynamik und treibendem Rhythmus. Kein Wunder also, dass hier mehrere Crowdsurfer gleichzeitig unterwegs waren. Es folgen Kairos und Breed Apart.
Guardians of Earth wurde als Song für Indigene und alle, die für die Erde kämpfen, angekündigt. Während der Ansage wurde zum ersten Mal an diesem Abend die Akustikgitarre auf die Bühne gebracht. Es ist eine Gitarre, die nur aus einem offenen Metallkorpus und den Saiten besteht, die Konstruktion hätte ich als Kunst bezeichnet. Aber was für ein akustischer Klang – Wahnsinn. Trommeln luden zum mitklatschen ein und so wurde der ruhige Moment von den Klängen und hunderten klatschenden Händen getragen. Der Song wurde mit symphonischen Klängen beendet und dann ging es in guter alter Manier mit Choke und False weiter.
Danach sprach Gitarrist Andreas Kisser zu uns. 40 Jahre Sepultura sind eine lange Zeit, die Fans hier in Deutschland und in Brasilien waren immer die größten Unterstützer und Förderer der Band und die Band bedankt sich mit ‚Dankeschön für alles‘. Offenbach war die erste Station in Deutschland und der Gitarrist wünschte sich einen Pit über die ganze Seite der Bühne – leider war der Pit nicht ganz so groß, aber trotzdem war Escape to the Void mega. Vor allem die im Hintergrund eingeblendeten alten Tourposter und CD-Cover – da wurde man schon ein bisschen nostalgisch.
Einer der nächsten Höhepunkte war Kayowas, ebenfalls von Gitarrist Andreas Kisser angesagt. Ein Song, der 1994 zum ersten Mal live gespielt wurde. Er läutete die Zeit ein, in der die Folklore in der Musik von Selputura verankert wurde. Kayowas lebt von den Freunden und der Crew der Band, die diesen Song instrumental begleiten. Wir hatten also von Anfang an neben der Band einen zusätzlichen Gitarristen auf der Bühne, der die oben beschriebene Akustikgitarre unterstützte. Sänger Derrick Green und ein Crewmitglied standen am Drumset und gaben zusammen mit dem Schlagzeuger den Rhythmus vor. Im Laufe des Liedes kamen weitere Menschen hinzu, Familie und Freunde der Band. Am Ende des Liedes waren es fünf bis sechs Bass-Drums und der Drummer an den Trommeln. Das Trommeln ging durch und durch.
Bei Troops of Doom war dann wieder eine spannende LED-Installation zu sehen, ein Auge, das in seiner Iris die Musiker zeigte. Inner Self begann damit, dass Sänger Derrick Inner und wir Self riefen. Die Wall of Death wurde leider nicht ganz so groß, was aber eher daran lag, dass ich das Gefühl hatte, dass jeder von uns in seiner Sepultura-Welt war. Es gab so viel zu sehen, von guten alten Songs über LED-Leinwände, Action auf und vor der Bühne. Mit Arise endet der erste Teil der Show.
Sänger Derrick kam erneut auf die Bühne und bedankte sich bei allen Vorgruppen. Er wünschte sich, dass wir alle noch einmal jubeln und springen. Mit den ersten Tönen von Ratamahatta folgte ein minutenlanges Schlagzeugsolo, es war Wahnsinn, welches überging in mein Lieblingslied der Band, und nicht nur meins. Da war noch eine Stufe mehr möglich bei der Ekstase, die Halle kochte und viele hüpften, sprangen und grölten mit. Mit Roots Bloody Roots und einem ’Gute Nacht, schlaft gut, bis später’ verließ dann eine Band die Bühne, die mit ihren Stilen immer besonders war und viele Bands geprägt hat.
Danke Sepultura auch von uns für dieses wahnsinns Abschiedskonzert und wer weiß, es gab schon Bands, von denen man dachte, sie kommen nie wieder. Ich erwähne nur Bands mit Liedern wie Wonderwall oder Wind of change 😉
Setlist
Intro (Policia) // Refuse/Resist // Territory // Slave New World // Phantom Self // Attitude // Means to an End // Kairos // Breed Apart // Guardians of Earth // Choke // False // Escape to the Void // Kayowas // Dead Embryonic Cells // Agony of Defeat // Orgasmatron // Troops of Doom // Inner Self // Arise // Ratamahatta // Roots Bloody Roots
Bericht: Andrea
Bilder: Thomas
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